Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

dieser Aufgabe die "wissenschaftliche Durchdringung des Nechtsznstands, der
geschichtlich begründeten öffentlich-rechtlichen Beziehungen der Einzelnen und der
Berufskreise, der Gemeinden und des Staats als solchen" bildet. Eine schöpfe¬
rische Initiative wird von den Trägern der höhern Verwaltung im allgemeinen ^
nicht gefordert, eine solche ist sogar zum guten Teile dadurch unmöglich ge¬
macht, daß die Thätigkeit der Verwaltung an ganz bestimmte Vorschriften und
Regeln gebunden ist, die den zu wandelnden Weg im allgemeinen vorzeichnen.
Damit soll natürlich nicht in Abrede gestellt werden, daß es nicht weniger als
gleichgiltig ist, wer diese Vorschriften und Regeln zur Anwendung zu bringen
hat, ob die damit betraute" Männer am Buchstaben kleben, oder ob sie den
Geist dieser Vorschriften erfaßt haben, um die Anwendung innerhalb des vom
Gesetzgeber selbst gelassenen Spielraums den Bedürfnissen des einzelnen Falles
nach Möglichkeit anzupassen, und daß die beste Gewähr hierfür eben die mit
Recht geforderte wissenschaftliche Durchdringung des öffentlichen Rechts bildet.
Bei der Gemeindeverwaltung dagegen liegt das Schwergewicht unbedingt
auf der schöpferischen Initiative; hier erwachsen fortwährend neue Aufgaben,
für deren Bewältigung es keine Vorschrift über den einzuschlagenden Weg giebt.
Ob ein Schlachthaus gebaut werden soll oder nicht, ob die Straßenbeleuchtung
von der Gemeinde selbst in die Hand genommen oder einer Privatgesellschaft
überlassen werden soll, für die Lösung dieser Und ähnlicher Fragen giebt es
keinerlei Anhalt in bestehenden Vorschriften, sie müssen völlig frei unter Be¬
rücksichtigung der Verhältnisse entschieden werden, die in jedem einzelnen Orte
wieder ganz besonders liegen, so daß selbst Erfahrungen, die in andern Städten
gemacht worden sind, nur mit großer Vorsicht benutzt werden können. Gewiß
ist es für den zur Erledigung solcher Aufgaben berufnen Mann kein Fehler,
wenn er eine wissenschaftliche Durchdringung der geschichtlichen Entwicklung
des öffentlichen Rechtes mit in sein Amt bringt. Aber als die erste Forderung,
die an ihn zu stellen ist, kann diese Ausbildung nicht betrachtet werden. Unter
Umständen schließt ihre allzustarke Betonung sogar die Gefahr ein, daß dadurch
die freie Empfänglichkeit für die Bedürfnisse der Gegenwart beeinträchtigt wird.
Das wird noch deutlicher, wenn man die einzige von staatlichen Verwaltungs¬
beamten ausgeübte Thätigkeit zum Vergleich heranzieht, die überhaupt mit der
Thätigkeit des Leiters einer Gemeinde einen gewissen Vergleich zuläßt, nämlich
die des Kreislandrath. Der Vergleich ist ja nur mit Einschränkungen möglich,
teils weil auch der Landrat vor allem Staatsbeamter ist und daher die für
eine schöpferische Wohlfahrtsthätigkeit erforderliche Freiheit der Bewegung bei
weitem nicht in dem Grade hat wie ein Oberbürgermeister, teils weil ein Kreis
einen Verwaltungsbereich von viel loserem Zusammenhange bildet als ein
städtisches Gemeinwesen, sodaß die Thätigkeit des Landrath zum guten Teil
eben auch nur Aufsichtsthätigkeit ist.

Immerhin besteht doch eine gewisse Ähnlichkeit. Und da ist es denn recht


dieser Aufgabe die „wissenschaftliche Durchdringung des Nechtsznstands, der
geschichtlich begründeten öffentlich-rechtlichen Beziehungen der Einzelnen und der
Berufskreise, der Gemeinden und des Staats als solchen" bildet. Eine schöpfe¬
rische Initiative wird von den Trägern der höhern Verwaltung im allgemeinen ^
nicht gefordert, eine solche ist sogar zum guten Teile dadurch unmöglich ge¬
macht, daß die Thätigkeit der Verwaltung an ganz bestimmte Vorschriften und
Regeln gebunden ist, die den zu wandelnden Weg im allgemeinen vorzeichnen.
Damit soll natürlich nicht in Abrede gestellt werden, daß es nicht weniger als
gleichgiltig ist, wer diese Vorschriften und Regeln zur Anwendung zu bringen
hat, ob die damit betraute» Männer am Buchstaben kleben, oder ob sie den
Geist dieser Vorschriften erfaßt haben, um die Anwendung innerhalb des vom
Gesetzgeber selbst gelassenen Spielraums den Bedürfnissen des einzelnen Falles
nach Möglichkeit anzupassen, und daß die beste Gewähr hierfür eben die mit
Recht geforderte wissenschaftliche Durchdringung des öffentlichen Rechts bildet.
Bei der Gemeindeverwaltung dagegen liegt das Schwergewicht unbedingt
auf der schöpferischen Initiative; hier erwachsen fortwährend neue Aufgaben,
für deren Bewältigung es keine Vorschrift über den einzuschlagenden Weg giebt.
Ob ein Schlachthaus gebaut werden soll oder nicht, ob die Straßenbeleuchtung
von der Gemeinde selbst in die Hand genommen oder einer Privatgesellschaft
überlassen werden soll, für die Lösung dieser Und ähnlicher Fragen giebt es
keinerlei Anhalt in bestehenden Vorschriften, sie müssen völlig frei unter Be¬
rücksichtigung der Verhältnisse entschieden werden, die in jedem einzelnen Orte
wieder ganz besonders liegen, so daß selbst Erfahrungen, die in andern Städten
gemacht worden sind, nur mit großer Vorsicht benutzt werden können. Gewiß
ist es für den zur Erledigung solcher Aufgaben berufnen Mann kein Fehler,
wenn er eine wissenschaftliche Durchdringung der geschichtlichen Entwicklung
des öffentlichen Rechtes mit in sein Amt bringt. Aber als die erste Forderung,
die an ihn zu stellen ist, kann diese Ausbildung nicht betrachtet werden. Unter
Umständen schließt ihre allzustarke Betonung sogar die Gefahr ein, daß dadurch
die freie Empfänglichkeit für die Bedürfnisse der Gegenwart beeinträchtigt wird.
Das wird noch deutlicher, wenn man die einzige von staatlichen Verwaltungs¬
beamten ausgeübte Thätigkeit zum Vergleich heranzieht, die überhaupt mit der
Thätigkeit des Leiters einer Gemeinde einen gewissen Vergleich zuläßt, nämlich
die des Kreislandrath. Der Vergleich ist ja nur mit Einschränkungen möglich,
teils weil auch der Landrat vor allem Staatsbeamter ist und daher die für
eine schöpferische Wohlfahrtsthätigkeit erforderliche Freiheit der Bewegung bei
weitem nicht in dem Grade hat wie ein Oberbürgermeister, teils weil ein Kreis
einen Verwaltungsbereich von viel loserem Zusammenhange bildet als ein
städtisches Gemeinwesen, sodaß die Thätigkeit des Landrath zum guten Teil
eben auch nur Aufsichtsthätigkeit ist.

Immerhin besteht doch eine gewisse Ähnlichkeit. Und da ist es denn recht


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0078" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224324"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_214" prev="#ID_213"> dieser Aufgabe die &#x201E;wissenschaftliche Durchdringung des Nechtsznstands, der<lb/>
geschichtlich begründeten öffentlich-rechtlichen Beziehungen der Einzelnen und der<lb/>
Berufskreise, der Gemeinden und des Staats als solchen" bildet. Eine schöpfe¬<lb/>
rische Initiative wird von den Trägern der höhern Verwaltung im allgemeinen ^<lb/>
nicht gefordert, eine solche ist sogar zum guten Teile dadurch unmöglich ge¬<lb/>
macht, daß die Thätigkeit der Verwaltung an ganz bestimmte Vorschriften und<lb/>
Regeln gebunden ist, die den zu wandelnden Weg im allgemeinen vorzeichnen.<lb/>
Damit soll natürlich nicht in Abrede gestellt werden, daß es nicht weniger als<lb/>
gleichgiltig ist, wer diese Vorschriften und Regeln zur Anwendung zu bringen<lb/>
hat, ob die damit betraute» Männer am Buchstaben kleben, oder ob sie den<lb/>
Geist dieser Vorschriften erfaßt haben, um die Anwendung innerhalb des vom<lb/>
Gesetzgeber selbst gelassenen Spielraums den Bedürfnissen des einzelnen Falles<lb/>
nach Möglichkeit anzupassen, und daß die beste Gewähr hierfür eben die mit<lb/>
Recht geforderte wissenschaftliche Durchdringung des öffentlichen Rechts bildet.<lb/>
Bei der Gemeindeverwaltung dagegen liegt das Schwergewicht unbedingt<lb/>
auf der schöpferischen Initiative; hier erwachsen fortwährend neue Aufgaben,<lb/>
für deren Bewältigung es keine Vorschrift über den einzuschlagenden Weg giebt.<lb/>
Ob ein Schlachthaus gebaut werden soll oder nicht, ob die Straßenbeleuchtung<lb/>
von der Gemeinde selbst in die Hand genommen oder einer Privatgesellschaft<lb/>
überlassen werden soll, für die Lösung dieser Und ähnlicher Fragen giebt es<lb/>
keinerlei Anhalt in bestehenden Vorschriften, sie müssen völlig frei unter Be¬<lb/>
rücksichtigung der Verhältnisse entschieden werden, die in jedem einzelnen Orte<lb/>
wieder ganz besonders liegen, so daß selbst Erfahrungen, die in andern Städten<lb/>
gemacht worden sind, nur mit großer Vorsicht benutzt werden können. Gewiß<lb/>
ist es für den zur Erledigung solcher Aufgaben berufnen Mann kein Fehler,<lb/>
wenn er eine wissenschaftliche Durchdringung der geschichtlichen Entwicklung<lb/>
des öffentlichen Rechtes mit in sein Amt bringt. Aber als die erste Forderung,<lb/>
die an ihn zu stellen ist, kann diese Ausbildung nicht betrachtet werden. Unter<lb/>
Umständen schließt ihre allzustarke Betonung sogar die Gefahr ein, daß dadurch<lb/>
die freie Empfänglichkeit für die Bedürfnisse der Gegenwart beeinträchtigt wird.<lb/>
Das wird noch deutlicher, wenn man die einzige von staatlichen Verwaltungs¬<lb/>
beamten ausgeübte Thätigkeit zum Vergleich heranzieht, die überhaupt mit der<lb/>
Thätigkeit des Leiters einer Gemeinde einen gewissen Vergleich zuläßt, nämlich<lb/>
die des Kreislandrath. Der Vergleich ist ja nur mit Einschränkungen möglich,<lb/>
teils weil auch der Landrat vor allem Staatsbeamter ist und daher die für<lb/>
eine schöpferische Wohlfahrtsthätigkeit erforderliche Freiheit der Bewegung bei<lb/>
weitem nicht in dem Grade hat wie ein Oberbürgermeister, teils weil ein Kreis<lb/>
einen Verwaltungsbereich von viel loserem Zusammenhange bildet als ein<lb/>
städtisches Gemeinwesen, sodaß die Thätigkeit des Landrath zum guten Teil<lb/>
eben auch nur Aufsichtsthätigkeit ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_215" next="#ID_216"> Immerhin besteht doch eine gewisse Ähnlichkeit. Und da ist es denn recht</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0078] dieser Aufgabe die „wissenschaftliche Durchdringung des Nechtsznstands, der geschichtlich begründeten öffentlich-rechtlichen Beziehungen der Einzelnen und der Berufskreise, der Gemeinden und des Staats als solchen" bildet. Eine schöpfe¬ rische Initiative wird von den Trägern der höhern Verwaltung im allgemeinen ^ nicht gefordert, eine solche ist sogar zum guten Teile dadurch unmöglich ge¬ macht, daß die Thätigkeit der Verwaltung an ganz bestimmte Vorschriften und Regeln gebunden ist, die den zu wandelnden Weg im allgemeinen vorzeichnen. Damit soll natürlich nicht in Abrede gestellt werden, daß es nicht weniger als gleichgiltig ist, wer diese Vorschriften und Regeln zur Anwendung zu bringen hat, ob die damit betraute» Männer am Buchstaben kleben, oder ob sie den Geist dieser Vorschriften erfaßt haben, um die Anwendung innerhalb des vom Gesetzgeber selbst gelassenen Spielraums den Bedürfnissen des einzelnen Falles nach Möglichkeit anzupassen, und daß die beste Gewähr hierfür eben die mit Recht geforderte wissenschaftliche Durchdringung des öffentlichen Rechts bildet. Bei der Gemeindeverwaltung dagegen liegt das Schwergewicht unbedingt auf der schöpferischen Initiative; hier erwachsen fortwährend neue Aufgaben, für deren Bewältigung es keine Vorschrift über den einzuschlagenden Weg giebt. Ob ein Schlachthaus gebaut werden soll oder nicht, ob die Straßenbeleuchtung von der Gemeinde selbst in die Hand genommen oder einer Privatgesellschaft überlassen werden soll, für die Lösung dieser Und ähnlicher Fragen giebt es keinerlei Anhalt in bestehenden Vorschriften, sie müssen völlig frei unter Be¬ rücksichtigung der Verhältnisse entschieden werden, die in jedem einzelnen Orte wieder ganz besonders liegen, so daß selbst Erfahrungen, die in andern Städten gemacht worden sind, nur mit großer Vorsicht benutzt werden können. Gewiß ist es für den zur Erledigung solcher Aufgaben berufnen Mann kein Fehler, wenn er eine wissenschaftliche Durchdringung der geschichtlichen Entwicklung des öffentlichen Rechtes mit in sein Amt bringt. Aber als die erste Forderung, die an ihn zu stellen ist, kann diese Ausbildung nicht betrachtet werden. Unter Umständen schließt ihre allzustarke Betonung sogar die Gefahr ein, daß dadurch die freie Empfänglichkeit für die Bedürfnisse der Gegenwart beeinträchtigt wird. Das wird noch deutlicher, wenn man die einzige von staatlichen Verwaltungs¬ beamten ausgeübte Thätigkeit zum Vergleich heranzieht, die überhaupt mit der Thätigkeit des Leiters einer Gemeinde einen gewissen Vergleich zuläßt, nämlich die des Kreislandrath. Der Vergleich ist ja nur mit Einschränkungen möglich, teils weil auch der Landrat vor allem Staatsbeamter ist und daher die für eine schöpferische Wohlfahrtsthätigkeit erforderliche Freiheit der Bewegung bei weitem nicht in dem Grade hat wie ein Oberbürgermeister, teils weil ein Kreis einen Verwaltungsbereich von viel loserem Zusammenhange bildet als ein städtisches Gemeinwesen, sodaß die Thätigkeit des Landrath zum guten Teil eben auch nur Aufsichtsthätigkeit ist. Immerhin besteht doch eine gewisse Ähnlichkeit. Und da ist es denn recht

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/78
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/78>, abgerufen am 15.06.2024.