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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Die sogenannte Sonntagsruhe der Postbeamten

dem Abendgottesdienst unmittelbar zum Nachtdienst nach dem Postamt gehen;
"verhindert" werden sie durch den Dienst nicht.

Mehrfach hat man im Reichstag den Versuch gemacht, durch Stellung von
Anträgen, die ans eine Beschränkung des Sonntagsverkehrs in Handel, Industrie
und Gewerbe abzielen, eine hinreichende Sonntagsruhe für die Postbeamten
zu ermöglichen. Erwähnt sei nur der Antrag des Abgeordneten Dr. Lingens,
wonach Warenproben, Drucksachen, Pakete, Geld- und Wertsendungen Sonn¬
tags nur dann angenommen, befördert und bestellt werden sollen, wenn sie als
durch Eilboten zu bestellende bezeichnet wären. Erwähnt sei ferner die 1894
mit großer Mehrheit gefaßte Resolution, "den Herrn Reichskanzler zu ersuchen,
veranlassen zu wollen, daß die Annahme und Bestellung gewöhnlicher Pakete
an Sonn- und Feiertagen mit Ausnahme der Weihnachtszeit auf Eilsendungen
beschränkt werde." ' ' ^ "

Es soll hier nicht näher erörtert werden, ol^ diese Anträge vom fach¬
männischer Standpunkt aus betrachtet überhaupt durchführbar sind oder nicht,
selbst wenn die Postverwaltung geneigt wäre, sich über die zweifellos zu er¬
wartenden Klagen des Publikums hinwegzusetzen. Keinesfalls aber würde
durch die Ausführung der Anträge der vom Reichstag erstrebte Zweck, den
Postbeamten Entlastung und vermehrte Sonntagsruhe zu verschaffen, erreicht
werden, weil die des Sonntags ans Anlaß der Verkehrsbeschränknngen Weg¬
sallenden Dienststunden nach den bestehenden Grundsätzen nicht --- wie die
Antragsteller jedenfalls glauben -- den Beamten, sondern der PostVerwaltung
zu gute kommen. Um die Nichtigkeit dieser Behauptung zu beweisen, muß
durch ein Beispiel veranschaulicht werden, auf welche Weise der Bedarf an
Beamten und Unterbeamten für eine Verkehrsanstalt festgestellt wird.

Zu diesem Zweck berechnet man zunächst die Zahl der Arbeitsstunden,
die bei den einzelnen Dienststellen zur Erledigung der Geschäfte in der Regel
erforderlich sind. So sind z.B. für den Unterbeamtendienst bei dem Postamt
in A. zu veranschlagen:

1, im Annahmedienst täglich 14 Stunden, davon Sonntags ausfallend l8 Stunden
2. im Abfertigungsdienst "1"
!!, im Entkartungsdicnst "Ili "
4. im Bahnhofsdienst "M6
5. im Briefbestelldienst "72Zei "
<i, im Pnketbestelldicnst "24 , "42
7, im Telcgrammbestclldienst "2" "10
also täglich ?l>2 Stunden, davon Sonntags ausfallend: 72 Stunden,

das sind wöchentlich 1344 Stunden. Werden davon 72 Stunden abgerechnet,
so verbleiben 1272 Stunden, sodaß bei einem wöchentlichen Normalleistnngs-
maß von 70 Stunden 18 Unterbeamte erforderlich sind. Der Überschuß von
12 Stunden wöchentlich füllt selbstverständlich dem Personal zur Last. Würden


Die sogenannte Sonntagsruhe der Postbeamten

dem Abendgottesdienst unmittelbar zum Nachtdienst nach dem Postamt gehen;
„verhindert" werden sie durch den Dienst nicht.

Mehrfach hat man im Reichstag den Versuch gemacht, durch Stellung von
Anträgen, die ans eine Beschränkung des Sonntagsverkehrs in Handel, Industrie
und Gewerbe abzielen, eine hinreichende Sonntagsruhe für die Postbeamten
zu ermöglichen. Erwähnt sei nur der Antrag des Abgeordneten Dr. Lingens,
wonach Warenproben, Drucksachen, Pakete, Geld- und Wertsendungen Sonn¬
tags nur dann angenommen, befördert und bestellt werden sollen, wenn sie als
durch Eilboten zu bestellende bezeichnet wären. Erwähnt sei ferner die 1894
mit großer Mehrheit gefaßte Resolution, „den Herrn Reichskanzler zu ersuchen,
veranlassen zu wollen, daß die Annahme und Bestellung gewöhnlicher Pakete
an Sonn- und Feiertagen mit Ausnahme der Weihnachtszeit auf Eilsendungen
beschränkt werde." ' ' ^ "

Es soll hier nicht näher erörtert werden, ol^ diese Anträge vom fach¬
männischer Standpunkt aus betrachtet überhaupt durchführbar sind oder nicht,
selbst wenn die Postverwaltung geneigt wäre, sich über die zweifellos zu er¬
wartenden Klagen des Publikums hinwegzusetzen. Keinesfalls aber würde
durch die Ausführung der Anträge der vom Reichstag erstrebte Zweck, den
Postbeamten Entlastung und vermehrte Sonntagsruhe zu verschaffen, erreicht
werden, weil die des Sonntags ans Anlaß der Verkehrsbeschränknngen Weg¬
sallenden Dienststunden nach den bestehenden Grundsätzen nicht —- wie die
Antragsteller jedenfalls glauben — den Beamten, sondern der PostVerwaltung
zu gute kommen. Um die Nichtigkeit dieser Behauptung zu beweisen, muß
durch ein Beispiel veranschaulicht werden, auf welche Weise der Bedarf an
Beamten und Unterbeamten für eine Verkehrsanstalt festgestellt wird.

Zu diesem Zweck berechnet man zunächst die Zahl der Arbeitsstunden,
die bei den einzelnen Dienststellen zur Erledigung der Geschäfte in der Regel
erforderlich sind. So sind z.B. für den Unterbeamtendienst bei dem Postamt
in A. zu veranschlagen:

1, im Annahmedienst täglich 14 Stunden, davon Sonntags ausfallend l8 Stunden
2. im Abfertigungsdienst „1»
!!, im Entkartungsdicnst „Ili „
4. im Bahnhofsdienst „M6
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<i, im Pnketbestelldicnst „24 , „42
7, im Telcgrammbestclldienst „2« „10
also täglich ?l>2 Stunden, davon Sonntags ausfallend: 72 Stunden,

das sind wöchentlich 1344 Stunden. Werden davon 72 Stunden abgerechnet,
so verbleiben 1272 Stunden, sodaß bei einem wöchentlichen Normalleistnngs-
maß von 70 Stunden 18 Unterbeamte erforderlich sind. Der Überschuß von
12 Stunden wöchentlich füllt selbstverständlich dem Personal zur Last. Würden


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[0088] Die sogenannte Sonntagsruhe der Postbeamten dem Abendgottesdienst unmittelbar zum Nachtdienst nach dem Postamt gehen; „verhindert" werden sie durch den Dienst nicht. Mehrfach hat man im Reichstag den Versuch gemacht, durch Stellung von Anträgen, die ans eine Beschränkung des Sonntagsverkehrs in Handel, Industrie und Gewerbe abzielen, eine hinreichende Sonntagsruhe für die Postbeamten zu ermöglichen. Erwähnt sei nur der Antrag des Abgeordneten Dr. Lingens, wonach Warenproben, Drucksachen, Pakete, Geld- und Wertsendungen Sonn¬ tags nur dann angenommen, befördert und bestellt werden sollen, wenn sie als durch Eilboten zu bestellende bezeichnet wären. Erwähnt sei ferner die 1894 mit großer Mehrheit gefaßte Resolution, „den Herrn Reichskanzler zu ersuchen, veranlassen zu wollen, daß die Annahme und Bestellung gewöhnlicher Pakete an Sonn- und Feiertagen mit Ausnahme der Weihnachtszeit auf Eilsendungen beschränkt werde." ' ' ^ " Es soll hier nicht näher erörtert werden, ol^ diese Anträge vom fach¬ männischer Standpunkt aus betrachtet überhaupt durchführbar sind oder nicht, selbst wenn die Postverwaltung geneigt wäre, sich über die zweifellos zu er¬ wartenden Klagen des Publikums hinwegzusetzen. Keinesfalls aber würde durch die Ausführung der Anträge der vom Reichstag erstrebte Zweck, den Postbeamten Entlastung und vermehrte Sonntagsruhe zu verschaffen, erreicht werden, weil die des Sonntags ans Anlaß der Verkehrsbeschränknngen Weg¬ sallenden Dienststunden nach den bestehenden Grundsätzen nicht —- wie die Antragsteller jedenfalls glauben — den Beamten, sondern der PostVerwaltung zu gute kommen. Um die Nichtigkeit dieser Behauptung zu beweisen, muß durch ein Beispiel veranschaulicht werden, auf welche Weise der Bedarf an Beamten und Unterbeamten für eine Verkehrsanstalt festgestellt wird. Zu diesem Zweck berechnet man zunächst die Zahl der Arbeitsstunden, die bei den einzelnen Dienststellen zur Erledigung der Geschäfte in der Regel erforderlich sind. So sind z.B. für den Unterbeamtendienst bei dem Postamt in A. zu veranschlagen: 1, im Annahmedienst täglich 14 Stunden, davon Sonntags ausfallend l8 Stunden 2. im Abfertigungsdienst „1» !!, im Entkartungsdicnst „Ili „ 4. im Bahnhofsdienst „M6 5. im Briefbestelldienst „72Zei „ <i, im Pnketbestelldicnst „24 , „42 7, im Telcgrammbestclldienst „2« „10 also täglich ?l>2 Stunden, davon Sonntags ausfallend: 72 Stunden, das sind wöchentlich 1344 Stunden. Werden davon 72 Stunden abgerechnet, so verbleiben 1272 Stunden, sodaß bei einem wöchentlichen Normalleistnngs- maß von 70 Stunden 18 Unterbeamte erforderlich sind. Der Überschuß von 12 Stunden wöchentlich füllt selbstverständlich dem Personal zur Last. Würden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/88>, abgerufen am 15.06.2024.