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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Litteratur

so zieht er den Tod der gefühlten Schande eines Bnnkerotts vor. Nehmen wir
an, daß die Apothekenkänfer dreißig bis vierzig Jahre alt sind, so übersteigt die
Zahl der hierher gehörigen Selbstmörder die Zahl der Durchschnittssclbstmörder
um mehr als ein Drittel, denn sie beträgt 19,75 statt 14 Prozent.

Daß die Zahl der Selbstmörder über vierzig bis fünfzig Jahren viel niedriger
als die allgemeine Durchschnittszahl ist, daß sie nämlich nur 16 statt 19,3 Prozent
beträgt, spricht sür die relative Behaglichkeit des Standes der Apothckenbesitzer.

Den Grund des Selbstmords fand ich nur in der Hälfte der hier verzeichneten
Fälle angegeben. Bon diesen sechzehn Fällen betraf die Mehrzahl, nämlich sechs,
eben in Besitz gekommne junge Apotheker, wahrend mir einen ältern Herrn pekuniäre
Schwierigkeiten in den Tod trieben. "Familienvcrhnltnisse" gaben von fünf ver¬
heirateten Apothekern nur einmal Veranlassung zum Selbstmord, einer entzog sich
der Hand des irdischen Richters durch den Tod, weil er ein Eigentumsverbrechcn
sühnen sollte, ein andrer, weil er ganz unnötigerweise Strafverfolgung sür eine
unbedachte Beleidigung des Physikus fürchtete. Zwei Lehrlinge und einen Gehilfen
trieb Liebeskummer in den Tod, eiuer sühute seinen Leichtsinn, und zwei thaten
den Schritt in "geistiger Umnachtung."

Die geographische Verbreitung meiner Selbstmordfälle scheint den unheilvollen
Einfluß der großen Verkehrszeutreu zu bestätigen. An der Spitze steht die Mark
mit neun Fällen (darunter Berlin mit sieben), dann kommen die Rheinprovinz und
Holstein mit je drei, Pommern, Posen, Preußen, Hessen, Baiern und Sachsen
mit je zwei, Schlesien, Westfalen, Mecklenburg. Anhalt und das Ausland mit je
einem Fall.

Eine Unterscheidung der Selbstmorde nach dem Geschlecht kann bei der
Phcirmazie nicht in Frage kommen, da sie bis jetzt den Männern vorbehalten ge¬
blieben ist. Werden aber die Bemühungen der Frauen, auch hier festen Fuß zu
fassen, von Erfolg gekrönt, so dürfte die Selbstmvrdstatistik bald genug traurige
Folgen zeigen. Denn die Apothekerin stünde nicht allein unter den Einflüssen, die
der Beruf auf die jungen Apotheker ausübt, sondern auch unter denen, die Eman¬
zipationsgelüste und das unnatürliche Streben, es dem Manne gleich zu thun, aus¬
üben, und denen die englischen Frauen den traurigen Vorzug verdanken, die höchste
Zahl der Selbstmorde unter deu Frauen aller Kulturstaaten zu haben.


H. Schelenz


Litteratur
Neuere Veröffentlichungen über das Bauernhaus in Deutschland, Österreich-Ungarn und
in der Schweiz. Von Hans Lutsch. Berlin, Wilhelm Ernst und Sohn, 1897

In den Forschungen zur Haustnnde scheinen die Architekten den Archäologen,
Ethnographen und Sprachforschern den Rang ablaufen zu wollen; jedenfalls sind
sie allein im völligen Besitze des technischen Verständnisses, und das ist eben doch
bei diesen Arbeiten die Hauptsache. Auch die vorliegende knappe, aber reiche kleine
Schrift hat einen Architekten zum Verfasser. Es ist eine von kurzen Urteilen be¬
gleitete, sehr sorgfältige Bibliographie der neuern, immer zahlreicher werdenden


Litteratur

so zieht er den Tod der gefühlten Schande eines Bnnkerotts vor. Nehmen wir
an, daß die Apothekenkänfer dreißig bis vierzig Jahre alt sind, so übersteigt die
Zahl der hierher gehörigen Selbstmörder die Zahl der Durchschnittssclbstmörder
um mehr als ein Drittel, denn sie beträgt 19,75 statt 14 Prozent.

Daß die Zahl der Selbstmörder über vierzig bis fünfzig Jahren viel niedriger
als die allgemeine Durchschnittszahl ist, daß sie nämlich nur 16 statt 19,3 Prozent
beträgt, spricht sür die relative Behaglichkeit des Standes der Apothckenbesitzer.

Den Grund des Selbstmords fand ich nur in der Hälfte der hier verzeichneten
Fälle angegeben. Bon diesen sechzehn Fällen betraf die Mehrzahl, nämlich sechs,
eben in Besitz gekommne junge Apotheker, wahrend mir einen ältern Herrn pekuniäre
Schwierigkeiten in den Tod trieben. „Familienvcrhnltnisse" gaben von fünf ver¬
heirateten Apothekern nur einmal Veranlassung zum Selbstmord, einer entzog sich
der Hand des irdischen Richters durch den Tod, weil er ein Eigentumsverbrechcn
sühnen sollte, ein andrer, weil er ganz unnötigerweise Strafverfolgung sür eine
unbedachte Beleidigung des Physikus fürchtete. Zwei Lehrlinge und einen Gehilfen
trieb Liebeskummer in den Tod, eiuer sühute seinen Leichtsinn, und zwei thaten
den Schritt in „geistiger Umnachtung."

Die geographische Verbreitung meiner Selbstmordfälle scheint den unheilvollen
Einfluß der großen Verkehrszeutreu zu bestätigen. An der Spitze steht die Mark
mit neun Fällen (darunter Berlin mit sieben), dann kommen die Rheinprovinz und
Holstein mit je drei, Pommern, Posen, Preußen, Hessen, Baiern und Sachsen
mit je zwei, Schlesien, Westfalen, Mecklenburg. Anhalt und das Ausland mit je
einem Fall.

Eine Unterscheidung der Selbstmorde nach dem Geschlecht kann bei der
Phcirmazie nicht in Frage kommen, da sie bis jetzt den Männern vorbehalten ge¬
blieben ist. Werden aber die Bemühungen der Frauen, auch hier festen Fuß zu
fassen, von Erfolg gekrönt, so dürfte die Selbstmvrdstatistik bald genug traurige
Folgen zeigen. Denn die Apothekerin stünde nicht allein unter den Einflüssen, die
der Beruf auf die jungen Apotheker ausübt, sondern auch unter denen, die Eman¬
zipationsgelüste und das unnatürliche Streben, es dem Manne gleich zu thun, aus¬
üben, und denen die englischen Frauen den traurigen Vorzug verdanken, die höchste
Zahl der Selbstmorde unter deu Frauen aller Kulturstaaten zu haben.


H. Schelenz


Litteratur
Neuere Veröffentlichungen über das Bauernhaus in Deutschland, Österreich-Ungarn und
in der Schweiz. Von Hans Lutsch. Berlin, Wilhelm Ernst und Sohn, 1897

In den Forschungen zur Haustnnde scheinen die Architekten den Archäologen,
Ethnographen und Sprachforschern den Rang ablaufen zu wollen; jedenfalls sind
sie allein im völligen Besitze des technischen Verständnisses, und das ist eben doch
bei diesen Arbeiten die Hauptsache. Auch die vorliegende knappe, aber reiche kleine
Schrift hat einen Architekten zum Verfasser. Es ist eine von kurzen Urteilen be¬
gleitete, sehr sorgfältige Bibliographie der neuern, immer zahlreicher werdenden


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[0359] Litteratur so zieht er den Tod der gefühlten Schande eines Bnnkerotts vor. Nehmen wir an, daß die Apothekenkänfer dreißig bis vierzig Jahre alt sind, so übersteigt die Zahl der hierher gehörigen Selbstmörder die Zahl der Durchschnittssclbstmörder um mehr als ein Drittel, denn sie beträgt 19,75 statt 14 Prozent. Daß die Zahl der Selbstmörder über vierzig bis fünfzig Jahren viel niedriger als die allgemeine Durchschnittszahl ist, daß sie nämlich nur 16 statt 19,3 Prozent beträgt, spricht sür die relative Behaglichkeit des Standes der Apothckenbesitzer. Den Grund des Selbstmords fand ich nur in der Hälfte der hier verzeichneten Fälle angegeben. Bon diesen sechzehn Fällen betraf die Mehrzahl, nämlich sechs, eben in Besitz gekommne junge Apotheker, wahrend mir einen ältern Herrn pekuniäre Schwierigkeiten in den Tod trieben. „Familienvcrhnltnisse" gaben von fünf ver¬ heirateten Apothekern nur einmal Veranlassung zum Selbstmord, einer entzog sich der Hand des irdischen Richters durch den Tod, weil er ein Eigentumsverbrechcn sühnen sollte, ein andrer, weil er ganz unnötigerweise Strafverfolgung sür eine unbedachte Beleidigung des Physikus fürchtete. Zwei Lehrlinge und einen Gehilfen trieb Liebeskummer in den Tod, eiuer sühute seinen Leichtsinn, und zwei thaten den Schritt in „geistiger Umnachtung." Die geographische Verbreitung meiner Selbstmordfälle scheint den unheilvollen Einfluß der großen Verkehrszeutreu zu bestätigen. An der Spitze steht die Mark mit neun Fällen (darunter Berlin mit sieben), dann kommen die Rheinprovinz und Holstein mit je drei, Pommern, Posen, Preußen, Hessen, Baiern und Sachsen mit je zwei, Schlesien, Westfalen, Mecklenburg. Anhalt und das Ausland mit je einem Fall. Eine Unterscheidung der Selbstmorde nach dem Geschlecht kann bei der Phcirmazie nicht in Frage kommen, da sie bis jetzt den Männern vorbehalten ge¬ blieben ist. Werden aber die Bemühungen der Frauen, auch hier festen Fuß zu fassen, von Erfolg gekrönt, so dürfte die Selbstmvrdstatistik bald genug traurige Folgen zeigen. Denn die Apothekerin stünde nicht allein unter den Einflüssen, die der Beruf auf die jungen Apotheker ausübt, sondern auch unter denen, die Eman¬ zipationsgelüste und das unnatürliche Streben, es dem Manne gleich zu thun, aus¬ üben, und denen die englischen Frauen den traurigen Vorzug verdanken, die höchste Zahl der Selbstmorde unter deu Frauen aller Kulturstaaten zu haben. H. Schelenz Litteratur Neuere Veröffentlichungen über das Bauernhaus in Deutschland, Österreich-Ungarn und in der Schweiz. Von Hans Lutsch. Berlin, Wilhelm Ernst und Sohn, 1897 In den Forschungen zur Haustnnde scheinen die Architekten den Archäologen, Ethnographen und Sprachforschern den Rang ablaufen zu wollen; jedenfalls sind sie allein im völligen Besitze des technischen Verständnisses, und das ist eben doch bei diesen Arbeiten die Hauptsache. Auch die vorliegende knappe, aber reiche kleine Schrift hat einen Architekten zum Verfasser. Es ist eine von kurzen Urteilen be¬ gleitete, sehr sorgfältige Bibliographie der neuern, immer zahlreicher werdenden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/359>, abgerufen am 19.05.2024.