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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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vom Neudarwinismus

Gesetz befolgen. Und indem nun bei diesem Spiel der Atome gewisse Figuren
herauskommen, ist es klar, daß diese Figuren der Zweck sind (vielleicht noch
nicht der allerletzte, der Endzweck, aber der vorläufige Zweck jedenfalls), der
durch die Anordnung, den Anstoß und die Vewegungsrichtung oder das Gesetz
beabsichtigt war. Ein geschickter Billardspieler kann vielleicht die ganze Reihe
von Figuren voraussagen, die der eine Stoß, den er führt, hervorbringen
wird. Die Schlußfigur ist der Endzweck, die dazwischen liegenden Gruppirungen
sind die unerläßlichen Zwischenglieder. Aus der ersten Bewegung des ge¬
stoßenen Balles gehen alle andern Bewegungen und Gruppirungen mit
Notwendigkeit hervor. Aber Bedingung für, das Spiel der Bälle ist, daß
der Spieler stößt, daß er genau mit der Kraft und in der Richtung stößt,
wie es seine Absicht fordert, daß die Bälle gerade so und nicht anders an¬
geordnet sind, und daß sie sich nach den dem Spieler bekannten Naturgesetzen
der Elastizität, der Schwere, der Reibung bewegen. Die ersten beiden Be¬
dingungen erfüllt der Spieler, die dritte haben seine Mitspieler erfüllt, die
vierte ist durch die vorhcmdne Körperwelt gegeben. Beim Spiel der Atome
können wir nur einen hinzudenken, der alle vier Bedingungen ein für allemal
erfüllt hat. Und das thut denn auch Weismann. Während er in der letzten
seiner Studien zur Deszendenztheorie (Über die mechanische Auffassung der
Natur) lange und heftig gegen E. von Hartmann und Karl Ernst von Baer
polemisirt, die ein "metaphysisches Prinzip" in die Natnrerklärung einführten,
während er wiederholt die nicht allein unbegründete, sondern ganz unverständ¬
liche Behauptung aufstellt, Notwendigkeit*) und Zweck schlössen einander aus,
bequemt er sich doch auf S. 315 zu dem Geständnis, die Vaersche Forderung**)
enthalte eine Wahrheit, "die auch von denjenigen nicht verkannt werden sollte,
welche einer mechanischen Naturauffassung huldigen. Es ist dieselbe Wahrheit,
welche auch von den philosophischen Gegnern dieser Auffassung geltend gemacht
wird, daß nämlich die Welt als Ganzes sich nicht aus blinden Notwendigkeiten
entstanden denken läßt, daß die unendliche Harmonie, welche in allen Er¬
scheinungen der organischen wie der unorganischen Natur an allen Enden und
Ecken sich offenbart, unmöglich als das Werk des Zufalls gedacht werden kann,
vielmehr nur als das Resultat eines planmäßig gerichteten, großartigen Ent¬
wicklungsprozesses." Ja S. 324 nimmt er die Behauptung, daß Notwendigkeit
und Zweck einander ausschlossen, ausdrücklich zurück und protestirt nur noch
dagegen, daß man die zwecksetzende Kraft in den Ablauf der Notwendigkeiten
eingreifen lasse; die Vertreter der mechanischen Naturauffassung seien durchaus




Naturnotwendigkeit ist nichts andres als die zur Verwirklichung des Zwecks getroffne
und darum unabänderliche Einrichtung.
Die Forderung lautet: "Soll der Darwinischen Hypothese wissenschaftliche Berechtigung
zuerkannt werden, so wird sie sich dieser allgemeinen Zielstrebigkeit fügen müssen. Kann sie das
nicht, so wird man ihr die Geltung zu versagen haben."
vom Neudarwinismus

Gesetz befolgen. Und indem nun bei diesem Spiel der Atome gewisse Figuren
herauskommen, ist es klar, daß diese Figuren der Zweck sind (vielleicht noch
nicht der allerletzte, der Endzweck, aber der vorläufige Zweck jedenfalls), der
durch die Anordnung, den Anstoß und die Vewegungsrichtung oder das Gesetz
beabsichtigt war. Ein geschickter Billardspieler kann vielleicht die ganze Reihe
von Figuren voraussagen, die der eine Stoß, den er führt, hervorbringen
wird. Die Schlußfigur ist der Endzweck, die dazwischen liegenden Gruppirungen
sind die unerläßlichen Zwischenglieder. Aus der ersten Bewegung des ge¬
stoßenen Balles gehen alle andern Bewegungen und Gruppirungen mit
Notwendigkeit hervor. Aber Bedingung für, das Spiel der Bälle ist, daß
der Spieler stößt, daß er genau mit der Kraft und in der Richtung stößt,
wie es seine Absicht fordert, daß die Bälle gerade so und nicht anders an¬
geordnet sind, und daß sie sich nach den dem Spieler bekannten Naturgesetzen
der Elastizität, der Schwere, der Reibung bewegen. Die ersten beiden Be¬
dingungen erfüllt der Spieler, die dritte haben seine Mitspieler erfüllt, die
vierte ist durch die vorhcmdne Körperwelt gegeben. Beim Spiel der Atome
können wir nur einen hinzudenken, der alle vier Bedingungen ein für allemal
erfüllt hat. Und das thut denn auch Weismann. Während er in der letzten
seiner Studien zur Deszendenztheorie (Über die mechanische Auffassung der
Natur) lange und heftig gegen E. von Hartmann und Karl Ernst von Baer
polemisirt, die ein „metaphysisches Prinzip" in die Natnrerklärung einführten,
während er wiederholt die nicht allein unbegründete, sondern ganz unverständ¬
liche Behauptung aufstellt, Notwendigkeit*) und Zweck schlössen einander aus,
bequemt er sich doch auf S. 315 zu dem Geständnis, die Vaersche Forderung**)
enthalte eine Wahrheit, „die auch von denjenigen nicht verkannt werden sollte,
welche einer mechanischen Naturauffassung huldigen. Es ist dieselbe Wahrheit,
welche auch von den philosophischen Gegnern dieser Auffassung geltend gemacht
wird, daß nämlich die Welt als Ganzes sich nicht aus blinden Notwendigkeiten
entstanden denken läßt, daß die unendliche Harmonie, welche in allen Er¬
scheinungen der organischen wie der unorganischen Natur an allen Enden und
Ecken sich offenbart, unmöglich als das Werk des Zufalls gedacht werden kann,
vielmehr nur als das Resultat eines planmäßig gerichteten, großartigen Ent¬
wicklungsprozesses." Ja S. 324 nimmt er die Behauptung, daß Notwendigkeit
und Zweck einander ausschlossen, ausdrücklich zurück und protestirt nur noch
dagegen, daß man die zwecksetzende Kraft in den Ablauf der Notwendigkeiten
eingreifen lasse; die Vertreter der mechanischen Naturauffassung seien durchaus




Naturnotwendigkeit ist nichts andres als die zur Verwirklichung des Zwecks getroffne
und darum unabänderliche Einrichtung.
Die Forderung lautet: „Soll der Darwinischen Hypothese wissenschaftliche Berechtigung
zuerkannt werden, so wird sie sich dieser allgemeinen Zielstrebigkeit fügen müssen. Kann sie das
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[0570] vom Neudarwinismus Gesetz befolgen. Und indem nun bei diesem Spiel der Atome gewisse Figuren herauskommen, ist es klar, daß diese Figuren der Zweck sind (vielleicht noch nicht der allerletzte, der Endzweck, aber der vorläufige Zweck jedenfalls), der durch die Anordnung, den Anstoß und die Vewegungsrichtung oder das Gesetz beabsichtigt war. Ein geschickter Billardspieler kann vielleicht die ganze Reihe von Figuren voraussagen, die der eine Stoß, den er führt, hervorbringen wird. Die Schlußfigur ist der Endzweck, die dazwischen liegenden Gruppirungen sind die unerläßlichen Zwischenglieder. Aus der ersten Bewegung des ge¬ stoßenen Balles gehen alle andern Bewegungen und Gruppirungen mit Notwendigkeit hervor. Aber Bedingung für, das Spiel der Bälle ist, daß der Spieler stößt, daß er genau mit der Kraft und in der Richtung stößt, wie es seine Absicht fordert, daß die Bälle gerade so und nicht anders an¬ geordnet sind, und daß sie sich nach den dem Spieler bekannten Naturgesetzen der Elastizität, der Schwere, der Reibung bewegen. Die ersten beiden Be¬ dingungen erfüllt der Spieler, die dritte haben seine Mitspieler erfüllt, die vierte ist durch die vorhcmdne Körperwelt gegeben. Beim Spiel der Atome können wir nur einen hinzudenken, der alle vier Bedingungen ein für allemal erfüllt hat. Und das thut denn auch Weismann. Während er in der letzten seiner Studien zur Deszendenztheorie (Über die mechanische Auffassung der Natur) lange und heftig gegen E. von Hartmann und Karl Ernst von Baer polemisirt, die ein „metaphysisches Prinzip" in die Natnrerklärung einführten, während er wiederholt die nicht allein unbegründete, sondern ganz unverständ¬ liche Behauptung aufstellt, Notwendigkeit*) und Zweck schlössen einander aus, bequemt er sich doch auf S. 315 zu dem Geständnis, die Vaersche Forderung**) enthalte eine Wahrheit, „die auch von denjenigen nicht verkannt werden sollte, welche einer mechanischen Naturauffassung huldigen. Es ist dieselbe Wahrheit, welche auch von den philosophischen Gegnern dieser Auffassung geltend gemacht wird, daß nämlich die Welt als Ganzes sich nicht aus blinden Notwendigkeiten entstanden denken läßt, daß die unendliche Harmonie, welche in allen Er¬ scheinungen der organischen wie der unorganischen Natur an allen Enden und Ecken sich offenbart, unmöglich als das Werk des Zufalls gedacht werden kann, vielmehr nur als das Resultat eines planmäßig gerichteten, großartigen Ent¬ wicklungsprozesses." Ja S. 324 nimmt er die Behauptung, daß Notwendigkeit und Zweck einander ausschlossen, ausdrücklich zurück und protestirt nur noch dagegen, daß man die zwecksetzende Kraft in den Ablauf der Notwendigkeiten eingreifen lasse; die Vertreter der mechanischen Naturauffassung seien durchaus Naturnotwendigkeit ist nichts andres als die zur Verwirklichung des Zwecks getroffne und darum unabänderliche Einrichtung. Die Forderung lautet: „Soll der Darwinischen Hypothese wissenschaftliche Berechtigung zuerkannt werden, so wird sie sich dieser allgemeinen Zielstrebigkeit fügen müssen. Kann sie das nicht, so wird man ihr die Geltung zu versagen haben."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/570>, abgerufen am 19.05.2024.