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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Zur Polenfiage

buben bekommt. Viertens hat er die Sorge: werden sie auch kommen? Und
wenn sie da sind: werden sie auch nicht weglaufen? Denn es kommt öfter
vor, daß eines Morgens, wenn die Arbeit beginnen soll, die dreißig Pollackeu
ausgerückt sind. Irgend welche Versprechungen eines Landsmannes: auf dem
und dem Gute sei Arbeitsbedarf und besseres Leben, oder irgend eine un¬
geschickte Grobheit ihres Aufsehers, dessen Sprache sie nicht verstehen, hat die
Leutchen, die natürlich von Vertragstreue nichts wissen, veranlaßt, sich in der
Nacht aufzumachen und vielleicht einige Stunden mit der Eisenbahn zu fahren.
In einigen Tagen werden sie polizeilich zurückgebracht; aber von dieser Unter¬
brechung kann der Besitzer tausend Mark Schaden haben. Natürlich hat die
Arbeit mit Polen auch ihre Vorteile. Sie sind gehorsamer und bescheidner,
wohnen schlechter, beköstigen sich selbst, und ein Aufseher, zuweilen auch ein Pole,
ist bei der Arbeit für alle verantwortlich. Außerdem behaupte!? die Landwirte,
daß zur Nübenkultur die Polen unentbehrlich seien, weil bei der mühsamen
Arbeit des Nübenzichens die Einheimischen nicht mitmachen wollten, und ein
Polcnmüdchcn hierbei mehr leiste als zwei hiesige Arbeiter. Aber sie bedauern
das, denn Summa Summarum: einheimische Arbeiter wären den Herren lieber.

Die Dinge liegen nämlich in der That nicht so, daß die Polen zuziehen
und die Deutschen auf die Straße werfen, sondern umgekehrt: der Deutsche
zieht ab, und der Pole dringt nach. Es liegt keine Unterbietung vor, sonst
müßten die außer Arbeit gesetzten einheimischen Leute wenigstens restweise auf
dem Lande zu sehen sein; das ist aber nicht der Fall. Manchem Ritter¬
gutsbesitzer, der bis jetzt grundsätzlich nur mit Einheimischen gewirtschaftet hat,
wird es immer mühsamer, sie sich zu erhalten. Es besteht Arbeitermangel.
Dafür giebt es zwei Beweise. Erstens sind die Löhne der Knechte und Tage¬
löhner gegen früher gestiegen, nicht nur dem Gelde nach, worauf nicht viel zu
geben wäre. Wer Gelegenheit hat, alte Leute zu fragen, die selber als Knechte
groß geworden sind, der wird die Antwort erhalten, daß die jungen Leute
heute viel besser leben können als früher. Eine Ware steigt aber nur dann
im Preise, wenn sie selten wird. Zweitens ist der Mangel an weiblichen
Arbeitskräften, an Mügdcn, hierzulande jedem Auge sichtbar. Deun obwohl
in jedem Herbst viele Polenmüdchen als Mägde beim Bauern bleiben, so
können sie doch die Lücken nicht füllen. Die Mügde fehlen nicht nur auf den
Rittergütern und bei den Herrschaften, sondern besonders auf den großen
Bauernhöfen. Man kann uicht sagen, daß sie deshalb fehlten, weil sie es da
zu schlecht haben würden. Sie würden die reichlichste Kost haben, sie würden
dieselbe Arbeit haben, wie die Frau und die Bauerutochtcr. Wo eine er¬
wachsene Tochter im Hause ist, da braucht der Bauer natürlich keine Magd.
Aber ich habe erlebt, daß Bauersleute ihre Tochter nur deshalb nicht zum
Dienst außer Hause geben konnten, wie sie gern gethan hätten, weil keine
Magd zu haben war, und ich habe ferner erlebt, daß Bauern ihre lungenkranke
Tochter, die sie zur Schonung zu Verwandte" gegeben hatten, wiederhole"


Zur Polenfiage

buben bekommt. Viertens hat er die Sorge: werden sie auch kommen? Und
wenn sie da sind: werden sie auch nicht weglaufen? Denn es kommt öfter
vor, daß eines Morgens, wenn die Arbeit beginnen soll, die dreißig Pollackeu
ausgerückt sind. Irgend welche Versprechungen eines Landsmannes: auf dem
und dem Gute sei Arbeitsbedarf und besseres Leben, oder irgend eine un¬
geschickte Grobheit ihres Aufsehers, dessen Sprache sie nicht verstehen, hat die
Leutchen, die natürlich von Vertragstreue nichts wissen, veranlaßt, sich in der
Nacht aufzumachen und vielleicht einige Stunden mit der Eisenbahn zu fahren.
In einigen Tagen werden sie polizeilich zurückgebracht; aber von dieser Unter¬
brechung kann der Besitzer tausend Mark Schaden haben. Natürlich hat die
Arbeit mit Polen auch ihre Vorteile. Sie sind gehorsamer und bescheidner,
wohnen schlechter, beköstigen sich selbst, und ein Aufseher, zuweilen auch ein Pole,
ist bei der Arbeit für alle verantwortlich. Außerdem behaupte!? die Landwirte,
daß zur Nübenkultur die Polen unentbehrlich seien, weil bei der mühsamen
Arbeit des Nübenzichens die Einheimischen nicht mitmachen wollten, und ein
Polcnmüdchcn hierbei mehr leiste als zwei hiesige Arbeiter. Aber sie bedauern
das, denn Summa Summarum: einheimische Arbeiter wären den Herren lieber.

Die Dinge liegen nämlich in der That nicht so, daß die Polen zuziehen
und die Deutschen auf die Straße werfen, sondern umgekehrt: der Deutsche
zieht ab, und der Pole dringt nach. Es liegt keine Unterbietung vor, sonst
müßten die außer Arbeit gesetzten einheimischen Leute wenigstens restweise auf
dem Lande zu sehen sein; das ist aber nicht der Fall. Manchem Ritter¬
gutsbesitzer, der bis jetzt grundsätzlich nur mit Einheimischen gewirtschaftet hat,
wird es immer mühsamer, sie sich zu erhalten. Es besteht Arbeitermangel.
Dafür giebt es zwei Beweise. Erstens sind die Löhne der Knechte und Tage¬
löhner gegen früher gestiegen, nicht nur dem Gelde nach, worauf nicht viel zu
geben wäre. Wer Gelegenheit hat, alte Leute zu fragen, die selber als Knechte
groß geworden sind, der wird die Antwort erhalten, daß die jungen Leute
heute viel besser leben können als früher. Eine Ware steigt aber nur dann
im Preise, wenn sie selten wird. Zweitens ist der Mangel an weiblichen
Arbeitskräften, an Mügdcn, hierzulande jedem Auge sichtbar. Deun obwohl
in jedem Herbst viele Polenmüdchen als Mägde beim Bauern bleiben, so
können sie doch die Lücken nicht füllen. Die Mügde fehlen nicht nur auf den
Rittergütern und bei den Herrschaften, sondern besonders auf den großen
Bauernhöfen. Man kann uicht sagen, daß sie deshalb fehlten, weil sie es da
zu schlecht haben würden. Sie würden die reichlichste Kost haben, sie würden
dieselbe Arbeit haben, wie die Frau und die Bauerutochtcr. Wo eine er¬
wachsene Tochter im Hause ist, da braucht der Bauer natürlich keine Magd.
Aber ich habe erlebt, daß Bauersleute ihre Tochter nur deshalb nicht zum
Dienst außer Hause geben konnten, wie sie gern gethan hätten, weil keine
Magd zu haben war, und ich habe ferner erlebt, daß Bauern ihre lungenkranke
Tochter, die sie zur Schonung zu Verwandte» gegeben hatten, wiederhole»


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[0016] Zur Polenfiage buben bekommt. Viertens hat er die Sorge: werden sie auch kommen? Und wenn sie da sind: werden sie auch nicht weglaufen? Denn es kommt öfter vor, daß eines Morgens, wenn die Arbeit beginnen soll, die dreißig Pollackeu ausgerückt sind. Irgend welche Versprechungen eines Landsmannes: auf dem und dem Gute sei Arbeitsbedarf und besseres Leben, oder irgend eine un¬ geschickte Grobheit ihres Aufsehers, dessen Sprache sie nicht verstehen, hat die Leutchen, die natürlich von Vertragstreue nichts wissen, veranlaßt, sich in der Nacht aufzumachen und vielleicht einige Stunden mit der Eisenbahn zu fahren. In einigen Tagen werden sie polizeilich zurückgebracht; aber von dieser Unter¬ brechung kann der Besitzer tausend Mark Schaden haben. Natürlich hat die Arbeit mit Polen auch ihre Vorteile. Sie sind gehorsamer und bescheidner, wohnen schlechter, beköstigen sich selbst, und ein Aufseher, zuweilen auch ein Pole, ist bei der Arbeit für alle verantwortlich. Außerdem behaupte!? die Landwirte, daß zur Nübenkultur die Polen unentbehrlich seien, weil bei der mühsamen Arbeit des Nübenzichens die Einheimischen nicht mitmachen wollten, und ein Polcnmüdchcn hierbei mehr leiste als zwei hiesige Arbeiter. Aber sie bedauern das, denn Summa Summarum: einheimische Arbeiter wären den Herren lieber. Die Dinge liegen nämlich in der That nicht so, daß die Polen zuziehen und die Deutschen auf die Straße werfen, sondern umgekehrt: der Deutsche zieht ab, und der Pole dringt nach. Es liegt keine Unterbietung vor, sonst müßten die außer Arbeit gesetzten einheimischen Leute wenigstens restweise auf dem Lande zu sehen sein; das ist aber nicht der Fall. Manchem Ritter¬ gutsbesitzer, der bis jetzt grundsätzlich nur mit Einheimischen gewirtschaftet hat, wird es immer mühsamer, sie sich zu erhalten. Es besteht Arbeitermangel. Dafür giebt es zwei Beweise. Erstens sind die Löhne der Knechte und Tage¬ löhner gegen früher gestiegen, nicht nur dem Gelde nach, worauf nicht viel zu geben wäre. Wer Gelegenheit hat, alte Leute zu fragen, die selber als Knechte groß geworden sind, der wird die Antwort erhalten, daß die jungen Leute heute viel besser leben können als früher. Eine Ware steigt aber nur dann im Preise, wenn sie selten wird. Zweitens ist der Mangel an weiblichen Arbeitskräften, an Mügdcn, hierzulande jedem Auge sichtbar. Deun obwohl in jedem Herbst viele Polenmüdchen als Mägde beim Bauern bleiben, so können sie doch die Lücken nicht füllen. Die Mügde fehlen nicht nur auf den Rittergütern und bei den Herrschaften, sondern besonders auf den großen Bauernhöfen. Man kann uicht sagen, daß sie deshalb fehlten, weil sie es da zu schlecht haben würden. Sie würden die reichlichste Kost haben, sie würden dieselbe Arbeit haben, wie die Frau und die Bauerutochtcr. Wo eine er¬ wachsene Tochter im Hause ist, da braucht der Bauer natürlich keine Magd. Aber ich habe erlebt, daß Bauersleute ihre Tochter nur deshalb nicht zum Dienst außer Hause geben konnten, wie sie gern gethan hätten, weil keine Magd zu haben war, und ich habe ferner erlebt, daß Bauern ihre lungenkranke Tochter, die sie zur Schonung zu Verwandte» gegeben hatten, wiederhole»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/16>, abgerufen am 16.05.2024.