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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Litteratur

dem Herzen gesprochen! "Die Popularität der Jungfrau ist ein Zeugnis der
deutschen Objektivität und Vorurteilslosigkeit in allem Patriotismus, ein Zeugnis,
das wir uus unter den Nationen ganz ruhig selbst ausstellen dürfen." Ganz
gewiß, aber uns, d. h. den Grenzboten, wäre es lieber, wir Deutschen wären in
diesem einen Punkte etwas weniger "objektiv" und hätten etwas mehr von dem
empfindlichern, nach außen wirkenden Nationalgefühl, das sogar einzelne viel kleinere
und jüngere Staatengebilde haben, und das wir am liebsten in Eifersüchteleien
unter einander zu verpuffen scheinen, wie das der Aufsatz über die Kaisermanöver
sHeft 29) wieder aufs neue an einem bestimmten Beispiel dargelegt hat. Dann
wollten wir umso lieber den Partikularismus im Reiche des Geistes, wo er sein
gutes hat, sich ausarbeiten lassen, daß die Funken fliegen. Der Verfasser ist
Schwabe, ein guter Schwabe! Ihn cirgerts, daß die Goethephilologie, die im
Norden ihren Sitz hat, Schiller immer höchstens soweit mit behandelt, als ob er
gerade noch gut genug für die Buben wäre, die Herren Professoren und Ästhetiker
dagegen allein mit Goethe zu thun hätten, während doch die Verehrer Schillers
sich immer redlich bemühten, Goethe zu geben, was ihm gebührt. Deswegen
-- so meint er --, wo sichs um Gesundung unsrer angekränkelten Geisteskultur
und darum handelt, daß der "nervöse Femininismns und die primanerhafte Frllh-
nnd Überreife des Modernen wieder einer männlichem Art Platz mache, da mag
eine erneute Vertiefung in Schillers Geist, wie sie der König von Württemberg
eben in nationalem Interesse gewünscht hat, gerade unsrer Übergangszeit ersprie߬
liche Dienste leisten." Wir stimmen dem aus vollem Herzen zu und meinen, die
beiden, die hier unter vor hundert Jahren Hand in Hand gegangen sind, könnte
nichts froher machen, als daß sie nnn von oben herab sehen, wie das Heer der
Nachfolger wieder zweigeteilt gegen einander tritt, und jeder Haufe seine" Helden
im Schilde führt, und bei dem Kampfe so treffliche Bücher herausspringen wie
dieses, das der Verfasser dem neuen schwäbischen Schillerverein gewidmet hat.
Daß Schiller eine abgethane historische Erscheinung sei, das kommt ja auch im
Norden keinem Urteilsfähigen in den Sinn. Wie Weitbrecht zeigt, daß die heutigen
Dramatiker Kinder gegen ihn sind, so beweisen andre tagtäglich, wie unentbehrlich
uns wieder seine Prosa und seine ästhetische Theorie geworden ist, und die breite
Masse des Volks lernt ans seinem Tell immer aufs neue, was nationale Gesinnung
ist. Es ist werdendes Kapital, kein totes, was in seinen Werken beschlossen liegt:
wer das nicht wüßte, könnte es aus diesem Buche sehen, und darum verdient sein
Inhalt eine viel eingehendere Beachtung und Behandlung, als sie ihm eine kurze
Anzeige gewähren kauu.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes.Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Will), Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Leipzig
Litteratur

dem Herzen gesprochen! „Die Popularität der Jungfrau ist ein Zeugnis der
deutschen Objektivität und Vorurteilslosigkeit in allem Patriotismus, ein Zeugnis,
das wir uus unter den Nationen ganz ruhig selbst ausstellen dürfen." Ganz
gewiß, aber uns, d. h. den Grenzboten, wäre es lieber, wir Deutschen wären in
diesem einen Punkte etwas weniger „objektiv" und hätten etwas mehr von dem
empfindlichern, nach außen wirkenden Nationalgefühl, das sogar einzelne viel kleinere
und jüngere Staatengebilde haben, und das wir am liebsten in Eifersüchteleien
unter einander zu verpuffen scheinen, wie das der Aufsatz über die Kaisermanöver
sHeft 29) wieder aufs neue an einem bestimmten Beispiel dargelegt hat. Dann
wollten wir umso lieber den Partikularismus im Reiche des Geistes, wo er sein
gutes hat, sich ausarbeiten lassen, daß die Funken fliegen. Der Verfasser ist
Schwabe, ein guter Schwabe! Ihn cirgerts, daß die Goethephilologie, die im
Norden ihren Sitz hat, Schiller immer höchstens soweit mit behandelt, als ob er
gerade noch gut genug für die Buben wäre, die Herren Professoren und Ästhetiker
dagegen allein mit Goethe zu thun hätten, während doch die Verehrer Schillers
sich immer redlich bemühten, Goethe zu geben, was ihm gebührt. Deswegen
— so meint er —, wo sichs um Gesundung unsrer angekränkelten Geisteskultur
und darum handelt, daß der „nervöse Femininismns und die primanerhafte Frllh-
nnd Überreife des Modernen wieder einer männlichem Art Platz mache, da mag
eine erneute Vertiefung in Schillers Geist, wie sie der König von Württemberg
eben in nationalem Interesse gewünscht hat, gerade unsrer Übergangszeit ersprie߬
liche Dienste leisten." Wir stimmen dem aus vollem Herzen zu und meinen, die
beiden, die hier unter vor hundert Jahren Hand in Hand gegangen sind, könnte
nichts froher machen, als daß sie nnn von oben herab sehen, wie das Heer der
Nachfolger wieder zweigeteilt gegen einander tritt, und jeder Haufe seine» Helden
im Schilde führt, und bei dem Kampfe so treffliche Bücher herausspringen wie
dieses, das der Verfasser dem neuen schwäbischen Schillerverein gewidmet hat.
Daß Schiller eine abgethane historische Erscheinung sei, das kommt ja auch im
Norden keinem Urteilsfähigen in den Sinn. Wie Weitbrecht zeigt, daß die heutigen
Dramatiker Kinder gegen ihn sind, so beweisen andre tagtäglich, wie unentbehrlich
uns wieder seine Prosa und seine ästhetische Theorie geworden ist, und die breite
Masse des Volks lernt ans seinem Tell immer aufs neue, was nationale Gesinnung
ist. Es ist werdendes Kapital, kein totes, was in seinen Werken beschlossen liegt:
wer das nicht wüßte, könnte es aus diesem Buche sehen, und darum verdient sein
Inhalt eine viel eingehendere Beachtung und Behandlung, als sie ihm eine kurze
Anzeige gewähren kauu.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes.Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Will), Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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[0344] Litteratur dem Herzen gesprochen! „Die Popularität der Jungfrau ist ein Zeugnis der deutschen Objektivität und Vorurteilslosigkeit in allem Patriotismus, ein Zeugnis, das wir uus unter den Nationen ganz ruhig selbst ausstellen dürfen." Ganz gewiß, aber uns, d. h. den Grenzboten, wäre es lieber, wir Deutschen wären in diesem einen Punkte etwas weniger „objektiv" und hätten etwas mehr von dem empfindlichern, nach außen wirkenden Nationalgefühl, das sogar einzelne viel kleinere und jüngere Staatengebilde haben, und das wir am liebsten in Eifersüchteleien unter einander zu verpuffen scheinen, wie das der Aufsatz über die Kaisermanöver sHeft 29) wieder aufs neue an einem bestimmten Beispiel dargelegt hat. Dann wollten wir umso lieber den Partikularismus im Reiche des Geistes, wo er sein gutes hat, sich ausarbeiten lassen, daß die Funken fliegen. Der Verfasser ist Schwabe, ein guter Schwabe! Ihn cirgerts, daß die Goethephilologie, die im Norden ihren Sitz hat, Schiller immer höchstens soweit mit behandelt, als ob er gerade noch gut genug für die Buben wäre, die Herren Professoren und Ästhetiker dagegen allein mit Goethe zu thun hätten, während doch die Verehrer Schillers sich immer redlich bemühten, Goethe zu geben, was ihm gebührt. Deswegen — so meint er —, wo sichs um Gesundung unsrer angekränkelten Geisteskultur und darum handelt, daß der „nervöse Femininismns und die primanerhafte Frllh- nnd Überreife des Modernen wieder einer männlichem Art Platz mache, da mag eine erneute Vertiefung in Schillers Geist, wie sie der König von Württemberg eben in nationalem Interesse gewünscht hat, gerade unsrer Übergangszeit ersprie߬ liche Dienste leisten." Wir stimmen dem aus vollem Herzen zu und meinen, die beiden, die hier unter vor hundert Jahren Hand in Hand gegangen sind, könnte nichts froher machen, als daß sie nnn von oben herab sehen, wie das Heer der Nachfolger wieder zweigeteilt gegen einander tritt, und jeder Haufe seine» Helden im Schilde führt, und bei dem Kampfe so treffliche Bücher herausspringen wie dieses, das der Verfasser dem neuen schwäbischen Schillerverein gewidmet hat. Daß Schiller eine abgethane historische Erscheinung sei, das kommt ja auch im Norden keinem Urteilsfähigen in den Sinn. Wie Weitbrecht zeigt, daß die heutigen Dramatiker Kinder gegen ihn sind, so beweisen andre tagtäglich, wie unentbehrlich uns wieder seine Prosa und seine ästhetische Theorie geworden ist, und die breite Masse des Volks lernt ans seinem Tell immer aufs neue, was nationale Gesinnung ist. Es ist werdendes Kapital, kein totes, was in seinen Werken beschlossen liegt: wer das nicht wüßte, könnte es aus diesem Buche sehen, und darum verdient sein Inhalt eine viel eingehendere Beachtung und Behandlung, als sie ihm eine kurze Anzeige gewähren kauu. Für die Redaktion verantwortlich: Johannes.Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Will), Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/344>, abgerufen am 15.05.2024.