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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Miquel Und Bennigsen

Solche Worte waren süßer Wohllaut in den Ohren der nationalliberalen
Zionswächter. Hört, hört! Sie sind alle in derselben Verdammnis, da ist
auch -- Ja, aber nur keinen Namen nennen, man kann nicht in die Zukunft
sehen, und wir wissen ja doch alle, wer gemeint ist. Gar zu gern Hütte die
nationalliberale Presse "voll und ganz" in das Verdammungsurteil der Frei¬
sinnigen mit eingestimmt, aber das ist es ja gerade, daß uns die Vollheit und
die Ganzheit fehlt. Es ist gut, wenn die Thüren offen gehalten werden: wer
weiß, ob man nicht in nächster Zeit schon selbst aus der einen hinausschlüpfen
und in die andre den Verlornen Sohn wieder hereinlassen muß. Ach Gott,
wenn es doch noch so wäre wie früher! Aber seit der Aufstellung des Heidel¬
berger Programms ist er immer unsichrer geworden, und jetzt -- dem Himmel
sei Dank, daß wir wenigstens den andern noch haben! Bennigsen will zwar
gehen, und das ist ihm nicht zu verdenken, denn das Leben ist ihm von oben
her sauer genug gemacht worden, aber er ist doch der unsre geblieben, und
das ist nicht bloß ein Trost, sondern giebt uns auch Mut und Kraft, auf den
unsichern Pfaden weiter zu wandern, in die uns die unklare Politik der
Negierung getrieben hat. Noch hören wir den starken Flügelschlag seines
Geistes zu unsern Häupten, laßt uns getrost der von ihm gewiesenen Bahn
folgen: es giebt keine, die zu bessern Zielen führte!

So sprechen oder denken die Nationallibercilen, und in ihrer großen Mehr¬
heit glauben sie es auch, aber es wäre besser für sie und das deutsche Volk,
wenn sie es nicht dächten und glaubten. Rudolf von Bennigsen ist allerdings
noch mitten unter ihnen, aber er ist ein andrer, als der vor Jahrzehnten den
Kern des Bürgertums zu politischer Thätigkeit aufrief. Zu so hoher, daß
sich die häßliche Stimme der Selbstsucht neben ihren reinen Akkorden kaum
hörbar machen konnte. Aber vor dieser Zeit lag noch eine andre, die in dem
rückwärts blickenden Geiste fast noch schönere Erinnerungen wachruft. Oder
kann der vaterlandsliebende Mann, der geschichtlichen Sinn für große politische
Wandlungen hat, ein erhebenderes Andenken feiern, als wenn er aus ferner Zeit
wieder die Töne in seinem Ohr erklingen läßt, die die dramatische Verschlingung
in dem Abbruch des deutschen Partikularismus anstimmten? In Hannover
hatte Bennigsen den sogenannten Urantrag auf Anschluß an Preußen gestellt,
und sein Freund Miquel hielt dazu die Verteidigungsrede. Niemals hat der
jetzige Vizepräsident des preußischen Staatsministeriums besser gesprochen. Die
durch das Gewicht des großen Augenblicks verursachte persönliche Erregung
mag der Bildung dieses Urteils förderlich gewesen sein, aber es ist dennoch
eine Thatsache, daß nirgends in einem Drama die musikalische Begleitung zu
der fortschreitenden Handlung besser gestimmt hat, als damals in den Miquelscheu
Worten die rednerische Leistung zu den großenteils noch verborgen liegenden
Motiven der schaffenden Staatskunst. Der, der diese Worte schreibt, war in
jenen Tagen ein junger Mann, aber trotz der einunddreißig Jahre, die seitdem


Miquel Und Bennigsen

Solche Worte waren süßer Wohllaut in den Ohren der nationalliberalen
Zionswächter. Hört, hört! Sie sind alle in derselben Verdammnis, da ist
auch — Ja, aber nur keinen Namen nennen, man kann nicht in die Zukunft
sehen, und wir wissen ja doch alle, wer gemeint ist. Gar zu gern Hütte die
nationalliberale Presse „voll und ganz" in das Verdammungsurteil der Frei¬
sinnigen mit eingestimmt, aber das ist es ja gerade, daß uns die Vollheit und
die Ganzheit fehlt. Es ist gut, wenn die Thüren offen gehalten werden: wer
weiß, ob man nicht in nächster Zeit schon selbst aus der einen hinausschlüpfen
und in die andre den Verlornen Sohn wieder hereinlassen muß. Ach Gott,
wenn es doch noch so wäre wie früher! Aber seit der Aufstellung des Heidel¬
berger Programms ist er immer unsichrer geworden, und jetzt — dem Himmel
sei Dank, daß wir wenigstens den andern noch haben! Bennigsen will zwar
gehen, und das ist ihm nicht zu verdenken, denn das Leben ist ihm von oben
her sauer genug gemacht worden, aber er ist doch der unsre geblieben, und
das ist nicht bloß ein Trost, sondern giebt uns auch Mut und Kraft, auf den
unsichern Pfaden weiter zu wandern, in die uns die unklare Politik der
Negierung getrieben hat. Noch hören wir den starken Flügelschlag seines
Geistes zu unsern Häupten, laßt uns getrost der von ihm gewiesenen Bahn
folgen: es giebt keine, die zu bessern Zielen führte!

So sprechen oder denken die Nationallibercilen, und in ihrer großen Mehr¬
heit glauben sie es auch, aber es wäre besser für sie und das deutsche Volk,
wenn sie es nicht dächten und glaubten. Rudolf von Bennigsen ist allerdings
noch mitten unter ihnen, aber er ist ein andrer, als der vor Jahrzehnten den
Kern des Bürgertums zu politischer Thätigkeit aufrief. Zu so hoher, daß
sich die häßliche Stimme der Selbstsucht neben ihren reinen Akkorden kaum
hörbar machen konnte. Aber vor dieser Zeit lag noch eine andre, die in dem
rückwärts blickenden Geiste fast noch schönere Erinnerungen wachruft. Oder
kann der vaterlandsliebende Mann, der geschichtlichen Sinn für große politische
Wandlungen hat, ein erhebenderes Andenken feiern, als wenn er aus ferner Zeit
wieder die Töne in seinem Ohr erklingen läßt, die die dramatische Verschlingung
in dem Abbruch des deutschen Partikularismus anstimmten? In Hannover
hatte Bennigsen den sogenannten Urantrag auf Anschluß an Preußen gestellt,
und sein Freund Miquel hielt dazu die Verteidigungsrede. Niemals hat der
jetzige Vizepräsident des preußischen Staatsministeriums besser gesprochen. Die
durch das Gewicht des großen Augenblicks verursachte persönliche Erregung
mag der Bildung dieses Urteils förderlich gewesen sein, aber es ist dennoch
eine Thatsache, daß nirgends in einem Drama die musikalische Begleitung zu
der fortschreitenden Handlung besser gestimmt hat, als damals in den Miquelscheu
Worten die rednerische Leistung zu den großenteils noch verborgen liegenden
Motiven der schaffenden Staatskunst. Der, der diese Worte schreibt, war in
jenen Tagen ein junger Mann, aber trotz der einunddreißig Jahre, die seitdem


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[0346] Miquel Und Bennigsen Solche Worte waren süßer Wohllaut in den Ohren der nationalliberalen Zionswächter. Hört, hört! Sie sind alle in derselben Verdammnis, da ist auch — Ja, aber nur keinen Namen nennen, man kann nicht in die Zukunft sehen, und wir wissen ja doch alle, wer gemeint ist. Gar zu gern Hütte die nationalliberale Presse „voll und ganz" in das Verdammungsurteil der Frei¬ sinnigen mit eingestimmt, aber das ist es ja gerade, daß uns die Vollheit und die Ganzheit fehlt. Es ist gut, wenn die Thüren offen gehalten werden: wer weiß, ob man nicht in nächster Zeit schon selbst aus der einen hinausschlüpfen und in die andre den Verlornen Sohn wieder hereinlassen muß. Ach Gott, wenn es doch noch so wäre wie früher! Aber seit der Aufstellung des Heidel¬ berger Programms ist er immer unsichrer geworden, und jetzt — dem Himmel sei Dank, daß wir wenigstens den andern noch haben! Bennigsen will zwar gehen, und das ist ihm nicht zu verdenken, denn das Leben ist ihm von oben her sauer genug gemacht worden, aber er ist doch der unsre geblieben, und das ist nicht bloß ein Trost, sondern giebt uns auch Mut und Kraft, auf den unsichern Pfaden weiter zu wandern, in die uns die unklare Politik der Negierung getrieben hat. Noch hören wir den starken Flügelschlag seines Geistes zu unsern Häupten, laßt uns getrost der von ihm gewiesenen Bahn folgen: es giebt keine, die zu bessern Zielen führte! So sprechen oder denken die Nationallibercilen, und in ihrer großen Mehr¬ heit glauben sie es auch, aber es wäre besser für sie und das deutsche Volk, wenn sie es nicht dächten und glaubten. Rudolf von Bennigsen ist allerdings noch mitten unter ihnen, aber er ist ein andrer, als der vor Jahrzehnten den Kern des Bürgertums zu politischer Thätigkeit aufrief. Zu so hoher, daß sich die häßliche Stimme der Selbstsucht neben ihren reinen Akkorden kaum hörbar machen konnte. Aber vor dieser Zeit lag noch eine andre, die in dem rückwärts blickenden Geiste fast noch schönere Erinnerungen wachruft. Oder kann der vaterlandsliebende Mann, der geschichtlichen Sinn für große politische Wandlungen hat, ein erhebenderes Andenken feiern, als wenn er aus ferner Zeit wieder die Töne in seinem Ohr erklingen läßt, die die dramatische Verschlingung in dem Abbruch des deutschen Partikularismus anstimmten? In Hannover hatte Bennigsen den sogenannten Urantrag auf Anschluß an Preußen gestellt, und sein Freund Miquel hielt dazu die Verteidigungsrede. Niemals hat der jetzige Vizepräsident des preußischen Staatsministeriums besser gesprochen. Die durch das Gewicht des großen Augenblicks verursachte persönliche Erregung mag der Bildung dieses Urteils förderlich gewesen sein, aber es ist dennoch eine Thatsache, daß nirgends in einem Drama die musikalische Begleitung zu der fortschreitenden Handlung besser gestimmt hat, als damals in den Miquelscheu Worten die rednerische Leistung zu den großenteils noch verborgen liegenden Motiven der schaffenden Staatskunst. Der, der diese Worte schreibt, war in jenen Tagen ein junger Mann, aber trotz der einunddreißig Jahre, die seitdem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/346>, abgerufen am 15.05.2024.