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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Aus unsrer Vstmark

ergrauten Libertins vom Adel.*) Das Bewußtsein des doppelten, des natio¬
nalen Gegensatzes gegen die protestantischen und deutschen Preußen ist der
feste Kitt, der alle Polen in allen Kämpfen zusammenhält. Auch bei den
nächsten Wahlen wird sich das zeigen.

Nur ein Thor wird etwas darauf geben, daß die Polen in ihrer Presse
tagtäglich mit so viel Lärm vor ganz Europa ihre schmutzige Wäsche waschen,
daß dabei Ströme von Tinte vergossen werden und die Luft durch heftige
Worte erschüttert wird. Die polnischen Zeitungen haben nur eine geringe
Verbreitung, nach einer polnischen Berechnung in Westpreußen 12000, in
Posen 30000 und in Oberschlesien 25000 Abonnenten; die Massen nehmen
von ihren Wortgefechten keine Notiz. Ja, wenn es sich noch um tiefgehende
Gegensätze handelte! Es handelt sich aber, seit Herr von Koscielski, der "Chef
der Hofpartei" und der Stein alles Anstoßes, beseitigt ist, überwiegend um
persönliche Zänkereien, um Brotneid und Fragen der Taktik.

Die Verteidigung der "höchsten Güter der Nation," die mit all dem Pathos
und der Beredsamkeit, die den Polen angeboren sind und so gut stehen, betrieben
wird, ist, um auf weniger bekanntes aufmerksam zu machen, sür ihre Politiker
von Beruf, auch für manche Litteraten eine Erwerbsquelle geworden; für Füg¬
samkeit und eifrige Thätigkeit in ihrem Sinne werden sie von der herrschenden,
die Zügel straff anziehenden Koterie mit Ämtern und Ämtcheu, mit Sinekuren,
wie die andern sagen, bedacht; wer dagegen ein widerhariger Geselle ist, eigne
Meinungen hat und allzu sehr auf seine Selbständigkeit pocht, der wird von der
Krippe ferngehalten und sucht sich durch Schelten und Schmähen zu rächen.
Das macht dann auswärts den Eindruck, als ob unter den Polen der Krieg
aller gegen alle wütete.

Die Polen lassen sich leicht in zwei Typen scheiden. Die einen, die
Wciberknechte, die impulsiver Naturen, leben in Illusionen und berauschen
sich an großen Worten. Sie sind, mit Vismarck zu sprechen, in der Politik
Poeten; sie haben, nicht bloß in Lemberg, fortwährend die geheimsten Gedanken
auf der Zunge und schreien sie in alle Welt hinaus; sie wären fähig, Unglück
anzurichten, Revolten anzuzetteln, Thaten voll Grausamkeit und Fanatismus
zu verüben, wie solche die mit Blut geschriebne Geschichte des Aufstands von
1863 auf jeder Seite verzeichnet. Auf sie paßt der Ausspruch des Fürsten von
Ligne, des Zeitgenossen Friedrichs des Großen: I^es ?olouais sont vÄpMos
als Wut, mais vous ü> risn. Nicht recht paßt auf sie und gar nicht auf die



") Was jahrhundertelange Bedrückungen nicht zuwege gebracht hatten, ist dem Klerus in
den letzten beiden Menschennltern gelungen: die Austilgung des Kalvinistentuins bis auf wenige
Spuren. Gerade in Großvolen bekannte sich noch um Ende des vorigen Jahrhunderts ein
erheblicher Bruchteil des Adels zur reformirten Kirche. Bei der Huldigung uach der Besitz¬
ergreifung im Jahre 1703 wurde der Note Adlerorden je drei katholischen und drei protestantischen
Edelleuten verliehen.
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ergrauten Libertins vom Adel.*) Das Bewußtsein des doppelten, des natio¬
nalen Gegensatzes gegen die protestantischen und deutschen Preußen ist der
feste Kitt, der alle Polen in allen Kämpfen zusammenhält. Auch bei den
nächsten Wahlen wird sich das zeigen.

Nur ein Thor wird etwas darauf geben, daß die Polen in ihrer Presse
tagtäglich mit so viel Lärm vor ganz Europa ihre schmutzige Wäsche waschen,
daß dabei Ströme von Tinte vergossen werden und die Luft durch heftige
Worte erschüttert wird. Die polnischen Zeitungen haben nur eine geringe
Verbreitung, nach einer polnischen Berechnung in Westpreußen 12000, in
Posen 30000 und in Oberschlesien 25000 Abonnenten; die Massen nehmen
von ihren Wortgefechten keine Notiz. Ja, wenn es sich noch um tiefgehende
Gegensätze handelte! Es handelt sich aber, seit Herr von Koscielski, der „Chef
der Hofpartei" und der Stein alles Anstoßes, beseitigt ist, überwiegend um
persönliche Zänkereien, um Brotneid und Fragen der Taktik.

Die Verteidigung der „höchsten Güter der Nation," die mit all dem Pathos
und der Beredsamkeit, die den Polen angeboren sind und so gut stehen, betrieben
wird, ist, um auf weniger bekanntes aufmerksam zu machen, sür ihre Politiker
von Beruf, auch für manche Litteraten eine Erwerbsquelle geworden; für Füg¬
samkeit und eifrige Thätigkeit in ihrem Sinne werden sie von der herrschenden,
die Zügel straff anziehenden Koterie mit Ämtern und Ämtcheu, mit Sinekuren,
wie die andern sagen, bedacht; wer dagegen ein widerhariger Geselle ist, eigne
Meinungen hat und allzu sehr auf seine Selbständigkeit pocht, der wird von der
Krippe ferngehalten und sucht sich durch Schelten und Schmähen zu rächen.
Das macht dann auswärts den Eindruck, als ob unter den Polen der Krieg
aller gegen alle wütete.

Die Polen lassen sich leicht in zwei Typen scheiden. Die einen, die
Wciberknechte, die impulsiver Naturen, leben in Illusionen und berauschen
sich an großen Worten. Sie sind, mit Vismarck zu sprechen, in der Politik
Poeten; sie haben, nicht bloß in Lemberg, fortwährend die geheimsten Gedanken
auf der Zunge und schreien sie in alle Welt hinaus; sie wären fähig, Unglück
anzurichten, Revolten anzuzetteln, Thaten voll Grausamkeit und Fanatismus
zu verüben, wie solche die mit Blut geschriebne Geschichte des Aufstands von
1863 auf jeder Seite verzeichnet. Auf sie paßt der Ausspruch des Fürsten von
Ligne, des Zeitgenossen Friedrichs des Großen: I^es ?olouais sont vÄpMos
als Wut, mais vous ü> risn. Nicht recht paßt auf sie und gar nicht auf die



") Was jahrhundertelange Bedrückungen nicht zuwege gebracht hatten, ist dem Klerus in
den letzten beiden Menschennltern gelungen: die Austilgung des Kalvinistentuins bis auf wenige
Spuren. Gerade in Großvolen bekannte sich noch um Ende des vorigen Jahrhunderts ein
erheblicher Bruchteil des Adels zur reformirten Kirche. Bei der Huldigung uach der Besitz¬
ergreifung im Jahre 1703 wurde der Note Adlerorden je drei katholischen und drei protestantischen
Edelleuten verliehen.
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[0406] Aus unsrer Vstmark ergrauten Libertins vom Adel.*) Das Bewußtsein des doppelten, des natio¬ nalen Gegensatzes gegen die protestantischen und deutschen Preußen ist der feste Kitt, der alle Polen in allen Kämpfen zusammenhält. Auch bei den nächsten Wahlen wird sich das zeigen. Nur ein Thor wird etwas darauf geben, daß die Polen in ihrer Presse tagtäglich mit so viel Lärm vor ganz Europa ihre schmutzige Wäsche waschen, daß dabei Ströme von Tinte vergossen werden und die Luft durch heftige Worte erschüttert wird. Die polnischen Zeitungen haben nur eine geringe Verbreitung, nach einer polnischen Berechnung in Westpreußen 12000, in Posen 30000 und in Oberschlesien 25000 Abonnenten; die Massen nehmen von ihren Wortgefechten keine Notiz. Ja, wenn es sich noch um tiefgehende Gegensätze handelte! Es handelt sich aber, seit Herr von Koscielski, der „Chef der Hofpartei" und der Stein alles Anstoßes, beseitigt ist, überwiegend um persönliche Zänkereien, um Brotneid und Fragen der Taktik. Die Verteidigung der „höchsten Güter der Nation," die mit all dem Pathos und der Beredsamkeit, die den Polen angeboren sind und so gut stehen, betrieben wird, ist, um auf weniger bekanntes aufmerksam zu machen, sür ihre Politiker von Beruf, auch für manche Litteraten eine Erwerbsquelle geworden; für Füg¬ samkeit und eifrige Thätigkeit in ihrem Sinne werden sie von der herrschenden, die Zügel straff anziehenden Koterie mit Ämtern und Ämtcheu, mit Sinekuren, wie die andern sagen, bedacht; wer dagegen ein widerhariger Geselle ist, eigne Meinungen hat und allzu sehr auf seine Selbständigkeit pocht, der wird von der Krippe ferngehalten und sucht sich durch Schelten und Schmähen zu rächen. Das macht dann auswärts den Eindruck, als ob unter den Polen der Krieg aller gegen alle wütete. Die Polen lassen sich leicht in zwei Typen scheiden. Die einen, die Wciberknechte, die impulsiver Naturen, leben in Illusionen und berauschen sich an großen Worten. Sie sind, mit Vismarck zu sprechen, in der Politik Poeten; sie haben, nicht bloß in Lemberg, fortwährend die geheimsten Gedanken auf der Zunge und schreien sie in alle Welt hinaus; sie wären fähig, Unglück anzurichten, Revolten anzuzetteln, Thaten voll Grausamkeit und Fanatismus zu verüben, wie solche die mit Blut geschriebne Geschichte des Aufstands von 1863 auf jeder Seite verzeichnet. Auf sie paßt der Ausspruch des Fürsten von Ligne, des Zeitgenossen Friedrichs des Großen: I^es ?olouais sont vÄpMos als Wut, mais vous ü> risn. Nicht recht paßt auf sie und gar nicht auf die ") Was jahrhundertelange Bedrückungen nicht zuwege gebracht hatten, ist dem Klerus in den letzten beiden Menschennltern gelungen: die Austilgung des Kalvinistentuins bis auf wenige Spuren. Gerade in Großvolen bekannte sich noch um Ende des vorigen Jahrhunderts ein erheblicher Bruchteil des Adels zur reformirten Kirche. Bei der Huldigung uach der Besitz¬ ergreifung im Jahre 1703 wurde der Note Adlerorden je drei katholischen und drei protestantischen Edelleuten verliehen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/406>, abgerufen am 15.05.2024.