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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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vom Idealismus in der Wissenschaft

berg gekommen sei, habe sich nach dem jungen Dichter erkundigt, den ihr
Goethe empfohlen habe. "Ich wünsche aber^ nicht, daß der Beifall des Goethe,
der mir nichts desto weniger sehr angenehm gewesen, ein Reiz für dich sein
möge, dich ausschließend der Poetik zu widmen. Die Stellung, welche Goethe
einnimmt und durch poetisches Talent erworben, ist gewiß die einzige in Europa.
Ich weiß auch, daß du zu bescheiden bist, auf dergleichen zu rechnen. Noch
bis jetzt bin ich mit dir nicht einverstanden, daß neben der Ästhetik ohne Nach¬
teil nicht auch juristische Kenntnisse erworben werden könnten. Eben fällt mir
nur Goethe ein, der außer Kunst und schönen Wissenschaften auch Naturforscher,
Physiker, Politiker und Finanzier ist."

Hagen hatte bereits 1820 ein romantisches Epos in zehn Gesängen ver¬
öffentlicht. Goethe hatte sich in zwei anerkennenden Anzeigen freundlich
darüber ausgesprochen, jetzt ließ er sich von ihm den Plan eines Trauerspiels
auseinandersetzen und gab ihm ermutigende Wünsche mit auf seinen Weg nach
Italien. Wer wollte es dem jungen Manne verdenken, daß er nun die für
sein Leben bestimmenden Kräfte erkannt zu haben meinte, daß er das Brot-
studium aufgab und die Welt des Schönen in Kunst und Poesie auf sich
wirken ließ, und daß er bald darauf in seiner Vaterstadt, die er so sehr liebte,
als Privatdozent das Katheder bestieg? Zwar paßte er wenig zu seinen
nüchtern behäbigen, rechnenden und erwerbenden Landsleuten, die, wenn er
Altertümer aufstöberte, zusammentrug, mit Etiketten versah und erklärte, manch¬
mal äußerten, es schiene mit ihm nicht mehr ganz richtig zu sein. Zu einem
vollen Lehrfach ließ sich das Kunststudium in Königsberg nicht machen, aus
der Studentenschaft fanden sich immer nur wenige Zuhörer ein, dafür kamen
ältere Männer und Damen, und jahraus jahrein widmete er unverdrossen
einem solchen kleinen Kreise höher interessirter Menschen seine Kräfte. Hätte
ihn nicht die reinste Liebe zu seinem Gegenstande beseelt, so hätte er an der
Kleinheit dieser Aufgabe wohl verzagen müssen. Äußerlich brachte sie ihm
freilich bald die verdienten Beförderungen zum außerordentlichen (1825) und
zum ordentlichen Professor (1830), und der schmale materielle Ertrag seiner
Ämter machte ihm einstweilen keine Sorge: was er mit Vorlesungen und
schriftstellerischen Arbeiten verdiente, verwendete er sogar gewissenhaft wieder
für Zwecke feines Faches.

Mehr in die Augen fielen mit der Zeit die sichtbaren Erfolge seiner
organisatorischen Thätigkeit. Aber welche unsäglichen Anstrengungen hatte es
ihn auch gekostet, diese aus dem Nichts erschciffnen Gründungen unter Dach
zu bringen! Treffend heißt es in einem Briefe, deu Franz Kugler als
Ministerialrefcrent an ihn wegen eines Direktors für die zu eröffnende Kunst¬
akademie richtet (1845): "Ihr Herren in Ostpreußen seid ein wenig spröde,
ihr habt eure bestimmten Tendenzen, Absichten und Bestrebungen. Wehe dem,
der da mit einer Tendenz einträte, die ihr und Wohl auch noch andre mit
euch als reaktionär bezeichnet!" Hagen hatte immer das Beste und Höchste


vom Idealismus in der Wissenschaft

berg gekommen sei, habe sich nach dem jungen Dichter erkundigt, den ihr
Goethe empfohlen habe. „Ich wünsche aber^ nicht, daß der Beifall des Goethe,
der mir nichts desto weniger sehr angenehm gewesen, ein Reiz für dich sein
möge, dich ausschließend der Poetik zu widmen. Die Stellung, welche Goethe
einnimmt und durch poetisches Talent erworben, ist gewiß die einzige in Europa.
Ich weiß auch, daß du zu bescheiden bist, auf dergleichen zu rechnen. Noch
bis jetzt bin ich mit dir nicht einverstanden, daß neben der Ästhetik ohne Nach¬
teil nicht auch juristische Kenntnisse erworben werden könnten. Eben fällt mir
nur Goethe ein, der außer Kunst und schönen Wissenschaften auch Naturforscher,
Physiker, Politiker und Finanzier ist."

Hagen hatte bereits 1820 ein romantisches Epos in zehn Gesängen ver¬
öffentlicht. Goethe hatte sich in zwei anerkennenden Anzeigen freundlich
darüber ausgesprochen, jetzt ließ er sich von ihm den Plan eines Trauerspiels
auseinandersetzen und gab ihm ermutigende Wünsche mit auf seinen Weg nach
Italien. Wer wollte es dem jungen Manne verdenken, daß er nun die für
sein Leben bestimmenden Kräfte erkannt zu haben meinte, daß er das Brot-
studium aufgab und die Welt des Schönen in Kunst und Poesie auf sich
wirken ließ, und daß er bald darauf in seiner Vaterstadt, die er so sehr liebte,
als Privatdozent das Katheder bestieg? Zwar paßte er wenig zu seinen
nüchtern behäbigen, rechnenden und erwerbenden Landsleuten, die, wenn er
Altertümer aufstöberte, zusammentrug, mit Etiketten versah und erklärte, manch¬
mal äußerten, es schiene mit ihm nicht mehr ganz richtig zu sein. Zu einem
vollen Lehrfach ließ sich das Kunststudium in Königsberg nicht machen, aus
der Studentenschaft fanden sich immer nur wenige Zuhörer ein, dafür kamen
ältere Männer und Damen, und jahraus jahrein widmete er unverdrossen
einem solchen kleinen Kreise höher interessirter Menschen seine Kräfte. Hätte
ihn nicht die reinste Liebe zu seinem Gegenstande beseelt, so hätte er an der
Kleinheit dieser Aufgabe wohl verzagen müssen. Äußerlich brachte sie ihm
freilich bald die verdienten Beförderungen zum außerordentlichen (1825) und
zum ordentlichen Professor (1830), und der schmale materielle Ertrag seiner
Ämter machte ihm einstweilen keine Sorge: was er mit Vorlesungen und
schriftstellerischen Arbeiten verdiente, verwendete er sogar gewissenhaft wieder
für Zwecke feines Faches.

Mehr in die Augen fielen mit der Zeit die sichtbaren Erfolge seiner
organisatorischen Thätigkeit. Aber welche unsäglichen Anstrengungen hatte es
ihn auch gekostet, diese aus dem Nichts erschciffnen Gründungen unter Dach
zu bringen! Treffend heißt es in einem Briefe, deu Franz Kugler als
Ministerialrefcrent an ihn wegen eines Direktors für die zu eröffnende Kunst¬
akademie richtet (1845): „Ihr Herren in Ostpreußen seid ein wenig spröde,
ihr habt eure bestimmten Tendenzen, Absichten und Bestrebungen. Wehe dem,
der da mit einer Tendenz einträte, die ihr und Wohl auch noch andre mit
euch als reaktionär bezeichnet!" Hagen hatte immer das Beste und Höchste


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[0520] vom Idealismus in der Wissenschaft berg gekommen sei, habe sich nach dem jungen Dichter erkundigt, den ihr Goethe empfohlen habe. „Ich wünsche aber^ nicht, daß der Beifall des Goethe, der mir nichts desto weniger sehr angenehm gewesen, ein Reiz für dich sein möge, dich ausschließend der Poetik zu widmen. Die Stellung, welche Goethe einnimmt und durch poetisches Talent erworben, ist gewiß die einzige in Europa. Ich weiß auch, daß du zu bescheiden bist, auf dergleichen zu rechnen. Noch bis jetzt bin ich mit dir nicht einverstanden, daß neben der Ästhetik ohne Nach¬ teil nicht auch juristische Kenntnisse erworben werden könnten. Eben fällt mir nur Goethe ein, der außer Kunst und schönen Wissenschaften auch Naturforscher, Physiker, Politiker und Finanzier ist." Hagen hatte bereits 1820 ein romantisches Epos in zehn Gesängen ver¬ öffentlicht. Goethe hatte sich in zwei anerkennenden Anzeigen freundlich darüber ausgesprochen, jetzt ließ er sich von ihm den Plan eines Trauerspiels auseinandersetzen und gab ihm ermutigende Wünsche mit auf seinen Weg nach Italien. Wer wollte es dem jungen Manne verdenken, daß er nun die für sein Leben bestimmenden Kräfte erkannt zu haben meinte, daß er das Brot- studium aufgab und die Welt des Schönen in Kunst und Poesie auf sich wirken ließ, und daß er bald darauf in seiner Vaterstadt, die er so sehr liebte, als Privatdozent das Katheder bestieg? Zwar paßte er wenig zu seinen nüchtern behäbigen, rechnenden und erwerbenden Landsleuten, die, wenn er Altertümer aufstöberte, zusammentrug, mit Etiketten versah und erklärte, manch¬ mal äußerten, es schiene mit ihm nicht mehr ganz richtig zu sein. Zu einem vollen Lehrfach ließ sich das Kunststudium in Königsberg nicht machen, aus der Studentenschaft fanden sich immer nur wenige Zuhörer ein, dafür kamen ältere Männer und Damen, und jahraus jahrein widmete er unverdrossen einem solchen kleinen Kreise höher interessirter Menschen seine Kräfte. Hätte ihn nicht die reinste Liebe zu seinem Gegenstande beseelt, so hätte er an der Kleinheit dieser Aufgabe wohl verzagen müssen. Äußerlich brachte sie ihm freilich bald die verdienten Beförderungen zum außerordentlichen (1825) und zum ordentlichen Professor (1830), und der schmale materielle Ertrag seiner Ämter machte ihm einstweilen keine Sorge: was er mit Vorlesungen und schriftstellerischen Arbeiten verdiente, verwendete er sogar gewissenhaft wieder für Zwecke feines Faches. Mehr in die Augen fielen mit der Zeit die sichtbaren Erfolge seiner organisatorischen Thätigkeit. Aber welche unsäglichen Anstrengungen hatte es ihn auch gekostet, diese aus dem Nichts erschciffnen Gründungen unter Dach zu bringen! Treffend heißt es in einem Briefe, deu Franz Kugler als Ministerialrefcrent an ihn wegen eines Direktors für die zu eröffnende Kunst¬ akademie richtet (1845): „Ihr Herren in Ostpreußen seid ein wenig spröde, ihr habt eure bestimmten Tendenzen, Absichten und Bestrebungen. Wehe dem, der da mit einer Tendenz einträte, die ihr und Wohl auch noch andre mit euch als reaktionär bezeichnet!" Hagen hatte immer das Beste und Höchste

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/520>, abgerufen am 22.05.2024.