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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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vom Idealismus in der Wissenschaft

emsig weiter und hatte über Thorwcildsen und Cornelius Abrechnung und
Brief vergessen. Heiter, wie immer, wenn ihn eine anziehende Arbeit be¬
schäftigte/kam er zu Tisch. Hier erst erinnerte er sich des Briefes, holte ihn
und gab ihn seiner Frau. Als diese bei dem Gedanken an die Erziehung ihrer
fünf Kinder die Thränen nicht zurückhalten konnte, sagte Hagen: Aber, liebe
Mollh, wie kannst du nur darüber weinen, ist es doch ganz egal, ob wir das
Zeug haben oder nicht. Nun mußte trotzdem der Mutter, die in Brauns¬
berg bleiben wollte, eine Rente, die testamentarisch auf das Kapital gelegt
war, weiter gezahlt werden. Weitere Verluste und der zunehmende Aufwand
für die Ausbildung der Kinder machte" große Einschränkungen nötig, das
eigne Haus mußte aufgegeben werden, die Sorge klopfte an, alles äußere
wurde anders, aber die Freude fehlte nicht, und das Glück blieb. Wir lassen
eine besonders schöne Stelle des Buches hier folgen. "Es war tief rührend,
als der Greis nicht gar lange vor seinem Tode über seine Vermögensverhält¬
nisse sprach und seinem Schmerz, daß so wenig übrig geblieben wäre, Worte
lieh. "Ein praktischerer Vater hätte für euch, meine geliebten Kinder, besser
gesorgt." Als er gebeten wurde, sich nicht unnütze Sorgen zu machen, daß
alle seine Kinder einmütig seine Güte viel höher als Güter schätzten, bewegte
er sein ehrwürdiges Haupt leise hin nud her, trat an das Fenster seiner
Studirstube und blickte mit seuchtem Auge sinnend unter die alten Bäume usw.,
und wie danken ihm seine Kinder noch heute und in alle Zukunft, daß er mit
dem Gelde so verfuhr, wie es hier dargestellt ist! Sie danken es ihm, daß
er es für edle Zwecke fortgab, daß er sie nicht zu kalten, egoistischen Rechnern
erzog und ihnen so einen Schatz hinterließ, der mehr wert ist als alle Schätze
des Krösus. Mögen nur seine Kindeskinder ihm als Rechner in den Haupt¬
zügen ähnlich zu werden streben, dann wird uoch lange jener Ausspruch eines
Verwandten aus ältester Zeit, den Vater und Großvater mit Stolz nach¬
sprachen: Es giebt, so viele ihrer sind, keinen Hagen, der nicht sür ehrenhaft
gilt -- wahr bleiben und, so Gott will, auch des letzten aller Hagen, der
einst auf dieser Erde wandeln wird, größter Ehrenschild sein."

Das schöne Buch, das wir hiermit aus der Hand legen, enthält noch
mancherlei unterhaltendes, auch heiteres und sogar Scherzhaftes. Wir haben
seiner Grundstimmung entsprechend die ernstern Seiten hervorgehoben. Mag
sich der Leser am Schluß noch einen Augenblick hineindenken in die Namen
und Zahlen des Verzeichnisses der "Nachkommen des August Hagen," so wird
ihm dabei gewiß etwas in den Sinn kommen, wie des Vaters Segen der den
,A. pH. Kindern Häuser baut,




vom Idealismus in der Wissenschaft

emsig weiter und hatte über Thorwcildsen und Cornelius Abrechnung und
Brief vergessen. Heiter, wie immer, wenn ihn eine anziehende Arbeit be¬
schäftigte/kam er zu Tisch. Hier erst erinnerte er sich des Briefes, holte ihn
und gab ihn seiner Frau. Als diese bei dem Gedanken an die Erziehung ihrer
fünf Kinder die Thränen nicht zurückhalten konnte, sagte Hagen: Aber, liebe
Mollh, wie kannst du nur darüber weinen, ist es doch ganz egal, ob wir das
Zeug haben oder nicht. Nun mußte trotzdem der Mutter, die in Brauns¬
berg bleiben wollte, eine Rente, die testamentarisch auf das Kapital gelegt
war, weiter gezahlt werden. Weitere Verluste und der zunehmende Aufwand
für die Ausbildung der Kinder machte» große Einschränkungen nötig, das
eigne Haus mußte aufgegeben werden, die Sorge klopfte an, alles äußere
wurde anders, aber die Freude fehlte nicht, und das Glück blieb. Wir lassen
eine besonders schöne Stelle des Buches hier folgen. „Es war tief rührend,
als der Greis nicht gar lange vor seinem Tode über seine Vermögensverhält¬
nisse sprach und seinem Schmerz, daß so wenig übrig geblieben wäre, Worte
lieh. »Ein praktischerer Vater hätte für euch, meine geliebten Kinder, besser
gesorgt.« Als er gebeten wurde, sich nicht unnütze Sorgen zu machen, daß
alle seine Kinder einmütig seine Güte viel höher als Güter schätzten, bewegte
er sein ehrwürdiges Haupt leise hin nud her, trat an das Fenster seiner
Studirstube und blickte mit seuchtem Auge sinnend unter die alten Bäume usw.,
und wie danken ihm seine Kinder noch heute und in alle Zukunft, daß er mit
dem Gelde so verfuhr, wie es hier dargestellt ist! Sie danken es ihm, daß
er es für edle Zwecke fortgab, daß er sie nicht zu kalten, egoistischen Rechnern
erzog und ihnen so einen Schatz hinterließ, der mehr wert ist als alle Schätze
des Krösus. Mögen nur seine Kindeskinder ihm als Rechner in den Haupt¬
zügen ähnlich zu werden streben, dann wird uoch lange jener Ausspruch eines
Verwandten aus ältester Zeit, den Vater und Großvater mit Stolz nach¬
sprachen: Es giebt, so viele ihrer sind, keinen Hagen, der nicht sür ehrenhaft
gilt — wahr bleiben und, so Gott will, auch des letzten aller Hagen, der
einst auf dieser Erde wandeln wird, größter Ehrenschild sein."

Das schöne Buch, das wir hiermit aus der Hand legen, enthält noch
mancherlei unterhaltendes, auch heiteres und sogar Scherzhaftes. Wir haben
seiner Grundstimmung entsprechend die ernstern Seiten hervorgehoben. Mag
sich der Leser am Schluß noch einen Augenblick hineindenken in die Namen
und Zahlen des Verzeichnisses der „Nachkommen des August Hagen," so wird
ihm dabei gewiß etwas in den Sinn kommen, wie des Vaters Segen der den
,A. pH. Kindern Häuser baut,




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/523>, abgerufen am 26.05.2024.