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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Der Personalkredit des ländlichen Aleingrundbesitzes

dem kleinen Mann ermöglicht erst ein geregelter und festgefügter Kredit die
wirtschaftliche Verwaltung seiner Habe. In den meisten Gegenden Deutsch¬
lands aber lag die Befriedigung des Kleinkredits noch in den Händen privater
Verleiher, und in einzelnen Landesteilen hatte der Mißbrauch des Übergewichts,
das der Gläubiger dem Schuldner gegenüber geltend zu machen imstande ist,
zu schreienden Mißständen geführt."

Es fragte sich, ob ein unmittelbares Eingreifen der Staatsgewalt zur
Schaffung von Einzeleiurichtungen für den Kleinkredit in Vorschlag gebracht
werden sollte. Aber weder von dem Verein für Sozialpolitik, uoch von den
maßgebenden Behörden wurde ein solches Eingreifen des Staates für em¬
pfehlenswert gehalten, weil sich in verschiednen Gegenden freiwillig verschiedne
Einrichtungen die zweckmäßig geordnete Befriedigung des Kleinkredits zur
Aufgabe gemacht hatten.

Seitdem haben sich diese Einrichtungen sehr vermehrt und in dem Zu¬
sammenschluß zu Verbunden einen wirksamen Hebel gefunden. Überraschend ist
die Bewegung in Preußen beschleunigt worden, nachdem der Staat durch die
jüngst ins Leben gerufne ZentralgenoffenschaftSlasfe die Gelegenheit zu einer
billigen und leichten Beschaffung und Anlegung des Geldes auch für die
Gegenden gewährt hat, wo es an einem Zusammenschluß zu einer Haupt-
genossenschaftskasse bisher gefehlt hat.

In der Absicht, zur Beschleunigung der Vervollständigung des Netzes
beizutragen, hat nun der Verein für Sozialpolitik am 1. April 1894 einen
Ausschuß, dem die Herren Knebel, Gering, Sombart-Ermsleben und Thiel
angehören, mit der Anstellung von Ermittlungen beauftragt. Dieser Ausschuß
sollte aus allen Teilen des Reiches Berichterstatter gewinnen. Eine kurze
Denkschrift belehrte die Berichterstatter über den Zweck und die Organisation
der Erhebung. Die Berichterstatter hatten an ihre Vertrauensmänner in den
örtlichen Unterbezirken ihres Berichtskreises einen Fragebogen ^ zu senden,
sie selbst hatten nach Verarbeitung des dnrch die Antworten der Vertrauens¬
männer gewonnenen Materials nach dem Schema des Fragebogens L ihren
Bericht abzufassen.

Waren die Fragebogen nur einigermaßen vollständig beantwortet worden, so
hätte man eine vergleichende Statistik über die Verhältnisse des Personalkredits
in den verschiednen deutschen Landschaften aufstellen können. Aber bei den ab¬
weichenden Auffassungen der Berichterstatter, bei der ungemein verschiedenartigen
Gestaltung der Kassen, und vor allem bei der ungenügenden Beschaffenheit
nner großen Anzahl von Berichten ist an ein so umfassendes Unternehmen
nicht zu denken gewesen.") Die Berichterstatter selbst haben sich oft in übler



") Die Berichte sind I8l)et bei Duncker und Humblot in Leipzig erschienen. Band 1
bebrütete Süddeutschlnnd, Bund ^ Mittel- und Norddeutschlnnd,
Der Personalkredit des ländlichen Aleingrundbesitzes

dem kleinen Mann ermöglicht erst ein geregelter und festgefügter Kredit die
wirtschaftliche Verwaltung seiner Habe. In den meisten Gegenden Deutsch¬
lands aber lag die Befriedigung des Kleinkredits noch in den Händen privater
Verleiher, und in einzelnen Landesteilen hatte der Mißbrauch des Übergewichts,
das der Gläubiger dem Schuldner gegenüber geltend zu machen imstande ist,
zu schreienden Mißständen geführt."

Es fragte sich, ob ein unmittelbares Eingreifen der Staatsgewalt zur
Schaffung von Einzeleiurichtungen für den Kleinkredit in Vorschlag gebracht
werden sollte. Aber weder von dem Verein für Sozialpolitik, uoch von den
maßgebenden Behörden wurde ein solches Eingreifen des Staates für em¬
pfehlenswert gehalten, weil sich in verschiednen Gegenden freiwillig verschiedne
Einrichtungen die zweckmäßig geordnete Befriedigung des Kleinkredits zur
Aufgabe gemacht hatten.

Seitdem haben sich diese Einrichtungen sehr vermehrt und in dem Zu¬
sammenschluß zu Verbunden einen wirksamen Hebel gefunden. Überraschend ist
die Bewegung in Preußen beschleunigt worden, nachdem der Staat durch die
jüngst ins Leben gerufne ZentralgenoffenschaftSlasfe die Gelegenheit zu einer
billigen und leichten Beschaffung und Anlegung des Geldes auch für die
Gegenden gewährt hat, wo es an einem Zusammenschluß zu einer Haupt-
genossenschaftskasse bisher gefehlt hat.

In der Absicht, zur Beschleunigung der Vervollständigung des Netzes
beizutragen, hat nun der Verein für Sozialpolitik am 1. April 1894 einen
Ausschuß, dem die Herren Knebel, Gering, Sombart-Ermsleben und Thiel
angehören, mit der Anstellung von Ermittlungen beauftragt. Dieser Ausschuß
sollte aus allen Teilen des Reiches Berichterstatter gewinnen. Eine kurze
Denkschrift belehrte die Berichterstatter über den Zweck und die Organisation
der Erhebung. Die Berichterstatter hatten an ihre Vertrauensmänner in den
örtlichen Unterbezirken ihres Berichtskreises einen Fragebogen ^ zu senden,
sie selbst hatten nach Verarbeitung des dnrch die Antworten der Vertrauens¬
männer gewonnenen Materials nach dem Schema des Fragebogens L ihren
Bericht abzufassen.

Waren die Fragebogen nur einigermaßen vollständig beantwortet worden, so
hätte man eine vergleichende Statistik über die Verhältnisse des Personalkredits
in den verschiednen deutschen Landschaften aufstellen können. Aber bei den ab¬
weichenden Auffassungen der Berichterstatter, bei der ungemein verschiedenartigen
Gestaltung der Kassen, und vor allem bei der ungenügenden Beschaffenheit
nner großen Anzahl von Berichten ist an ein so umfassendes Unternehmen
nicht zu denken gewesen.") Die Berichterstatter selbst haben sich oft in übler



") Die Berichte sind I8l)et bei Duncker und Humblot in Leipzig erschienen. Band 1
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[0543] Der Personalkredit des ländlichen Aleingrundbesitzes dem kleinen Mann ermöglicht erst ein geregelter und festgefügter Kredit die wirtschaftliche Verwaltung seiner Habe. In den meisten Gegenden Deutsch¬ lands aber lag die Befriedigung des Kleinkredits noch in den Händen privater Verleiher, und in einzelnen Landesteilen hatte der Mißbrauch des Übergewichts, das der Gläubiger dem Schuldner gegenüber geltend zu machen imstande ist, zu schreienden Mißständen geführt." Es fragte sich, ob ein unmittelbares Eingreifen der Staatsgewalt zur Schaffung von Einzeleiurichtungen für den Kleinkredit in Vorschlag gebracht werden sollte. Aber weder von dem Verein für Sozialpolitik, uoch von den maßgebenden Behörden wurde ein solches Eingreifen des Staates für em¬ pfehlenswert gehalten, weil sich in verschiednen Gegenden freiwillig verschiedne Einrichtungen die zweckmäßig geordnete Befriedigung des Kleinkredits zur Aufgabe gemacht hatten. Seitdem haben sich diese Einrichtungen sehr vermehrt und in dem Zu¬ sammenschluß zu Verbunden einen wirksamen Hebel gefunden. Überraschend ist die Bewegung in Preußen beschleunigt worden, nachdem der Staat durch die jüngst ins Leben gerufne ZentralgenoffenschaftSlasfe die Gelegenheit zu einer billigen und leichten Beschaffung und Anlegung des Geldes auch für die Gegenden gewährt hat, wo es an einem Zusammenschluß zu einer Haupt- genossenschaftskasse bisher gefehlt hat. In der Absicht, zur Beschleunigung der Vervollständigung des Netzes beizutragen, hat nun der Verein für Sozialpolitik am 1. April 1894 einen Ausschuß, dem die Herren Knebel, Gering, Sombart-Ermsleben und Thiel angehören, mit der Anstellung von Ermittlungen beauftragt. Dieser Ausschuß sollte aus allen Teilen des Reiches Berichterstatter gewinnen. Eine kurze Denkschrift belehrte die Berichterstatter über den Zweck und die Organisation der Erhebung. Die Berichterstatter hatten an ihre Vertrauensmänner in den örtlichen Unterbezirken ihres Berichtskreises einen Fragebogen ^ zu senden, sie selbst hatten nach Verarbeitung des dnrch die Antworten der Vertrauens¬ männer gewonnenen Materials nach dem Schema des Fragebogens L ihren Bericht abzufassen. Waren die Fragebogen nur einigermaßen vollständig beantwortet worden, so hätte man eine vergleichende Statistik über die Verhältnisse des Personalkredits in den verschiednen deutschen Landschaften aufstellen können. Aber bei den ab¬ weichenden Auffassungen der Berichterstatter, bei der ungemein verschiedenartigen Gestaltung der Kassen, und vor allem bei der ungenügenden Beschaffenheit nner großen Anzahl von Berichten ist an ein so umfassendes Unternehmen nicht zu denken gewesen.") Die Berichterstatter selbst haben sich oft in übler ") Die Berichte sind I8l)et bei Duncker und Humblot in Leipzig erschienen. Band 1 bebrütete Süddeutschlnnd, Bund ^ Mittel- und Norddeutschlnnd,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/543>, abgerufen am 15.05.2024.