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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Idealismus und Akademismus

der ärgsten Art massenweise vorgerückt worden sind, könnte ich mich vielmehr
glücklich schätzen, wenigstens dies mit ihnen gemein(sam) zu haben. Fehler¬
freies soll überhaupt erst noch geschrieben werden, aber schon Schiller hat
gesagt, nicht die Abwesenheit von Mängeln, sondern das Vorhandensein von
Vorzügen entscheiden den Wert eines Werkes."

Diese Zuversicht hat deu gräflichen Dichter durch eine lange und viel¬
seitige litterarische Entwicklung begleitet und ihn gegen Angriffe und Ver-
kennungen gefeit. Nie hat ihn ein ernstlicher Zweisel über das Vorhandensein
von Vorzügen in seiner Poesie erfaßt, und in der That konnte auch die
schärfste oder mißgünstigste Kritik, sofern sie überhaupt Kritik und nicht
Schmähung wäre, gewisse Vorzüge der Schackschen Dichtung nicht leugnen.
Der Reichtum an Welteindrücken wie an Wissen, den Graf Schack unterstützt
von der Gunst äußerer Lebensverhültnisse erworben hatte, bleibt nicht ohne
Widerschein in der Reihe seiner Werke, die leidenschaftliche Bewunderung, mit
der er von früh auf den großen Dichtern der Weltlitteratur gehuldigt und
die ihn zu einem Anempfinder im größten Stil gemacht hat, etwa in dem
Sinne, wie Herder ein Anempfinder war, die ernste Hingebung, die er bei der
Übersetzung englischer, spanischer, persischer und indischer Dichtungen an den
Tag legte, giebt seinen eignen poetischen Versuchen Schwung, Große der Ge¬
sinnung, geistige Vielseitigkeit. Die frühe Sprach- und Versbeherrschung
steigert sich in seinen spätern Schöpfungen zu einer Sicherheit und Selbständig¬
keit des Ausdrucks, die für die vielen, denen die Form als etwas Äußerliches
und zu Überlieferndes gilt, den Stempel der Vollendung trägt. Der durch¬
gebildete, an den verschiedensten großen Mustern genährte Geschmack des Kunst¬
kenners schützt ihn vor allem poetischen Schulmeistertum, und die sittliche
Strenge seines Geistes wird nie zur moralisirenden Langenweile. Wahrhaftig
Vorzüge genug, um zu begreifen, daß gewisse Kreise in Schack einen der Ararat-
gipfel sehen, die stehen bleiben, wenn die Sintflnten des Naturalismus, der
gedankenlosen Temperamentskunst und einer Welt- und Kunstanschauung, der
Roheit und Wahrheit gleichbedeutend sind, glücklich abgelaufen sein werden.
Trügen nicht gewisse Anzeichen, so hat ohnehin das letzte Stündlein all dieser
Augenblicksgewalten geschlagen, und die neue Ausgabe von Schacks Werken
streift, obwohl noch auf deu wüsten Wassern dahintreibend, der Arche gleich
schon wieder den festern Grund.

Es ist kein Spott, den uus diese Zuversicht der Idealisten einflößt,
sondern wir halten es für sehr möglich, daß bald eine Zeit kommt, wo die
angedeuteten Vorzüge der Schackschen Dichtungen in demselben Maße werden
überschätzt werden, als sie gegenwärtig zu gering geschätzt sind. Leider sagt
uns die Erfahrung, daß der Umschwung von dem einen zum andern Äußersten
bei unserm stets voll der Mode beherrschten und gewaltsam angezognen Publikum
nur zu leicht und herkömmlich ist. Geschähe, was wir hier andeuten, so hätte
freilich die ganze Gnhrung, die wir seit einem Jahrzehnt erleben, nicht einmal


Idealismus und Akademismus

der ärgsten Art massenweise vorgerückt worden sind, könnte ich mich vielmehr
glücklich schätzen, wenigstens dies mit ihnen gemein(sam) zu haben. Fehler¬
freies soll überhaupt erst noch geschrieben werden, aber schon Schiller hat
gesagt, nicht die Abwesenheit von Mängeln, sondern das Vorhandensein von
Vorzügen entscheiden den Wert eines Werkes."

Diese Zuversicht hat deu gräflichen Dichter durch eine lange und viel¬
seitige litterarische Entwicklung begleitet und ihn gegen Angriffe und Ver-
kennungen gefeit. Nie hat ihn ein ernstlicher Zweisel über das Vorhandensein
von Vorzügen in seiner Poesie erfaßt, und in der That konnte auch die
schärfste oder mißgünstigste Kritik, sofern sie überhaupt Kritik und nicht
Schmähung wäre, gewisse Vorzüge der Schackschen Dichtung nicht leugnen.
Der Reichtum an Welteindrücken wie an Wissen, den Graf Schack unterstützt
von der Gunst äußerer Lebensverhültnisse erworben hatte, bleibt nicht ohne
Widerschein in der Reihe seiner Werke, die leidenschaftliche Bewunderung, mit
der er von früh auf den großen Dichtern der Weltlitteratur gehuldigt und
die ihn zu einem Anempfinder im größten Stil gemacht hat, etwa in dem
Sinne, wie Herder ein Anempfinder war, die ernste Hingebung, die er bei der
Übersetzung englischer, spanischer, persischer und indischer Dichtungen an den
Tag legte, giebt seinen eignen poetischen Versuchen Schwung, Große der Ge¬
sinnung, geistige Vielseitigkeit. Die frühe Sprach- und Versbeherrschung
steigert sich in seinen spätern Schöpfungen zu einer Sicherheit und Selbständig¬
keit des Ausdrucks, die für die vielen, denen die Form als etwas Äußerliches
und zu Überlieferndes gilt, den Stempel der Vollendung trägt. Der durch¬
gebildete, an den verschiedensten großen Mustern genährte Geschmack des Kunst¬
kenners schützt ihn vor allem poetischen Schulmeistertum, und die sittliche
Strenge seines Geistes wird nie zur moralisirenden Langenweile. Wahrhaftig
Vorzüge genug, um zu begreifen, daß gewisse Kreise in Schack einen der Ararat-
gipfel sehen, die stehen bleiben, wenn die Sintflnten des Naturalismus, der
gedankenlosen Temperamentskunst und einer Welt- und Kunstanschauung, der
Roheit und Wahrheit gleichbedeutend sind, glücklich abgelaufen sein werden.
Trügen nicht gewisse Anzeichen, so hat ohnehin das letzte Stündlein all dieser
Augenblicksgewalten geschlagen, und die neue Ausgabe von Schacks Werken
streift, obwohl noch auf deu wüsten Wassern dahintreibend, der Arche gleich
schon wieder den festern Grund.

Es ist kein Spott, den uus diese Zuversicht der Idealisten einflößt,
sondern wir halten es für sehr möglich, daß bald eine Zeit kommt, wo die
angedeuteten Vorzüge der Schackschen Dichtungen in demselben Maße werden
überschätzt werden, als sie gegenwärtig zu gering geschätzt sind. Leider sagt
uns die Erfahrung, daß der Umschwung von dem einen zum andern Äußersten
bei unserm stets voll der Mode beherrschten und gewaltsam angezognen Publikum
nur zu leicht und herkömmlich ist. Geschähe, was wir hier andeuten, so hätte
freilich die ganze Gnhrung, die wir seit einem Jahrzehnt erleben, nicht einmal


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[0562] Idealismus und Akademismus der ärgsten Art massenweise vorgerückt worden sind, könnte ich mich vielmehr glücklich schätzen, wenigstens dies mit ihnen gemein(sam) zu haben. Fehler¬ freies soll überhaupt erst noch geschrieben werden, aber schon Schiller hat gesagt, nicht die Abwesenheit von Mängeln, sondern das Vorhandensein von Vorzügen entscheiden den Wert eines Werkes." Diese Zuversicht hat deu gräflichen Dichter durch eine lange und viel¬ seitige litterarische Entwicklung begleitet und ihn gegen Angriffe und Ver- kennungen gefeit. Nie hat ihn ein ernstlicher Zweisel über das Vorhandensein von Vorzügen in seiner Poesie erfaßt, und in der That konnte auch die schärfste oder mißgünstigste Kritik, sofern sie überhaupt Kritik und nicht Schmähung wäre, gewisse Vorzüge der Schackschen Dichtung nicht leugnen. Der Reichtum an Welteindrücken wie an Wissen, den Graf Schack unterstützt von der Gunst äußerer Lebensverhültnisse erworben hatte, bleibt nicht ohne Widerschein in der Reihe seiner Werke, die leidenschaftliche Bewunderung, mit der er von früh auf den großen Dichtern der Weltlitteratur gehuldigt und die ihn zu einem Anempfinder im größten Stil gemacht hat, etwa in dem Sinne, wie Herder ein Anempfinder war, die ernste Hingebung, die er bei der Übersetzung englischer, spanischer, persischer und indischer Dichtungen an den Tag legte, giebt seinen eignen poetischen Versuchen Schwung, Große der Ge¬ sinnung, geistige Vielseitigkeit. Die frühe Sprach- und Versbeherrschung steigert sich in seinen spätern Schöpfungen zu einer Sicherheit und Selbständig¬ keit des Ausdrucks, die für die vielen, denen die Form als etwas Äußerliches und zu Überlieferndes gilt, den Stempel der Vollendung trägt. Der durch¬ gebildete, an den verschiedensten großen Mustern genährte Geschmack des Kunst¬ kenners schützt ihn vor allem poetischen Schulmeistertum, und die sittliche Strenge seines Geistes wird nie zur moralisirenden Langenweile. Wahrhaftig Vorzüge genug, um zu begreifen, daß gewisse Kreise in Schack einen der Ararat- gipfel sehen, die stehen bleiben, wenn die Sintflnten des Naturalismus, der gedankenlosen Temperamentskunst und einer Welt- und Kunstanschauung, der Roheit und Wahrheit gleichbedeutend sind, glücklich abgelaufen sein werden. Trügen nicht gewisse Anzeichen, so hat ohnehin das letzte Stündlein all dieser Augenblicksgewalten geschlagen, und die neue Ausgabe von Schacks Werken streift, obwohl noch auf deu wüsten Wassern dahintreibend, der Arche gleich schon wieder den festern Grund. Es ist kein Spott, den uus diese Zuversicht der Idealisten einflößt, sondern wir halten es für sehr möglich, daß bald eine Zeit kommt, wo die angedeuteten Vorzüge der Schackschen Dichtungen in demselben Maße werden überschätzt werden, als sie gegenwärtig zu gering geschätzt sind. Leider sagt uns die Erfahrung, daß der Umschwung von dem einen zum andern Äußersten bei unserm stets voll der Mode beherrschten und gewaltsam angezognen Publikum nur zu leicht und herkömmlich ist. Geschähe, was wir hier andeuten, so hätte freilich die ganze Gnhrung, die wir seit einem Jahrzehnt erleben, nicht einmal

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/562>, abgerufen am 16.06.2024.