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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Aornpreise und Industrie

durch andre Nutzung des Ackers ersetzt wird. Der Landwirt rief nach Hilfe,
aber die überwiegenden Interessen der Industrie widersetzten sich erfolgreich.
Der Staat meinte, die Entwicklung der Industrie und des Außenhandels
müsse vor allem gefordert werden, und sei es auch auf Kosten des Ackerbaus.
..Baut Gemüse, erzeugt Fleisch, Milch u. dergl. -- sagten die Industriellen
oder doch deren berufne oder unberufne Vertreter --, wir brauchen euer
Brotkvrn nicht; das holen wir uns anderswo her und bezahlen es mit unsern
Fabrikaten. Verbessert eure Wirtschaft -- sagten sie weiter --, indem ihr von
uus besseres Gerät und Maschinen kauft, steigert eure Erträge durch künstliche
Düngemittel und rationellere Ausnutzung des Landes!" Das that auch der
Lcmdwirt, aber die Steigerung der Roherträge brachte doch keine wesentliche
Steigerung der Neinertrüge, denn die Kornpreise fielen und sielen. Soweit der
Bauer, von Schulden wenig belastet, sein Land mit eigner Hand oder mit Hilfe
von Kindern und Enkeln bestellte, konnte er sich halten; wer aber verschuldet
war, wer fremde Hände bezahlen mußte, versank weiter und weiter in Schulden.
Der Wucher blühte üppig auf, und das Kapital der Banken fand seinen
Gewinn dabei. "Ich will geringere Zinsen von euch nehmen," sagte das
Kapital. "Das Brot lasse ich nicht künstlich verteuern," sagte die Industrie.
"So muß ich den Köruerbau weiter einschränken," antwortete der Landwirt,
und viele sagten: "So muß ich zu Grunde gehen."

Es erhob sich ein Kampf zwischen Landmann und Geldmann, der unser
Volksleben aufs äußerste verbitterte. Der Ackerbauer beschuldigte den Händler,
daß er ihm auf unbillige Weise den Lohn seiner Arbeit schmälere, indem er
die Kornpreise durch Bedrohung mit papiernen Getreidemengen niederhalte.
Er setzte es durch, daß der Staat gewaltsam den papiernen Kornhandel zu
zerstören versuchte. Aber dabei wurde das Kind mit dem Bade ausgeschüttet,
und dem Ackerbauer war nicht geholfen: man hatte den organisirten zentralen
Kornmarkt von Berlin zerstört und keine ausreichende Neuordnung, wie sie der
Landmann braucht, geschaffen. Der Kampf setzte sich fort, und mau ist soweit
gekommen, daß kürzlich der Landmann ein Verbot aller Korneinfuhr forderte,
daß andrerseits Gegner verlangen, der große Grundbesitz solle gewaltsam zer¬
schlagen werden. Von den Lehren der freien wirtschaftlichen Entwicklung haben
sich beide Parteien längst und völlig losgesagt; beide rufen uach staatlicher
Gewalt. Wohin soll das führen? Werden auf diesem Wege nicht die Grund¬
lagen unsers Volkslebens gelockert, wird nicht das Eigentum hier, der Handel
dort im Innersten bedroht und so unser wirtschaftliches Leben der festen
Rechtsstützen beraubt, die es vor den unterwühlenden Fluten des sozialdemo¬
kratischen Schlammes bewahren? Leidenschaft, Haß, Einseitigkeit überall, und
sie werden auf allen möglichen Gebieten, die weder mit Ackerbau noch mit
Handel oder Industrie etwas zu schaffen haben, gcschttrt. Es ist Zeit, sich
darauf zu besinnen, daß auch in dem Kampf der wirtschaftlichen Interessen


Aornpreise und Industrie

durch andre Nutzung des Ackers ersetzt wird. Der Landwirt rief nach Hilfe,
aber die überwiegenden Interessen der Industrie widersetzten sich erfolgreich.
Der Staat meinte, die Entwicklung der Industrie und des Außenhandels
müsse vor allem gefordert werden, und sei es auch auf Kosten des Ackerbaus.
..Baut Gemüse, erzeugt Fleisch, Milch u. dergl. — sagten die Industriellen
oder doch deren berufne oder unberufne Vertreter —, wir brauchen euer
Brotkvrn nicht; das holen wir uns anderswo her und bezahlen es mit unsern
Fabrikaten. Verbessert eure Wirtschaft — sagten sie weiter —, indem ihr von
uus besseres Gerät und Maschinen kauft, steigert eure Erträge durch künstliche
Düngemittel und rationellere Ausnutzung des Landes!" Das that auch der
Lcmdwirt, aber die Steigerung der Roherträge brachte doch keine wesentliche
Steigerung der Neinertrüge, denn die Kornpreise fielen und sielen. Soweit der
Bauer, von Schulden wenig belastet, sein Land mit eigner Hand oder mit Hilfe
von Kindern und Enkeln bestellte, konnte er sich halten; wer aber verschuldet
war, wer fremde Hände bezahlen mußte, versank weiter und weiter in Schulden.
Der Wucher blühte üppig auf, und das Kapital der Banken fand seinen
Gewinn dabei. „Ich will geringere Zinsen von euch nehmen," sagte das
Kapital. „Das Brot lasse ich nicht künstlich verteuern," sagte die Industrie.
„So muß ich den Köruerbau weiter einschränken," antwortete der Landwirt,
und viele sagten: „So muß ich zu Grunde gehen."

Es erhob sich ein Kampf zwischen Landmann und Geldmann, der unser
Volksleben aufs äußerste verbitterte. Der Ackerbauer beschuldigte den Händler,
daß er ihm auf unbillige Weise den Lohn seiner Arbeit schmälere, indem er
die Kornpreise durch Bedrohung mit papiernen Getreidemengen niederhalte.
Er setzte es durch, daß der Staat gewaltsam den papiernen Kornhandel zu
zerstören versuchte. Aber dabei wurde das Kind mit dem Bade ausgeschüttet,
und dem Ackerbauer war nicht geholfen: man hatte den organisirten zentralen
Kornmarkt von Berlin zerstört und keine ausreichende Neuordnung, wie sie der
Landmann braucht, geschaffen. Der Kampf setzte sich fort, und mau ist soweit
gekommen, daß kürzlich der Landmann ein Verbot aller Korneinfuhr forderte,
daß andrerseits Gegner verlangen, der große Grundbesitz solle gewaltsam zer¬
schlagen werden. Von den Lehren der freien wirtschaftlichen Entwicklung haben
sich beide Parteien längst und völlig losgesagt; beide rufen uach staatlicher
Gewalt. Wohin soll das führen? Werden auf diesem Wege nicht die Grund¬
lagen unsers Volkslebens gelockert, wird nicht das Eigentum hier, der Handel
dort im Innersten bedroht und so unser wirtschaftliches Leben der festen
Rechtsstützen beraubt, die es vor den unterwühlenden Fluten des sozialdemo¬
kratischen Schlammes bewahren? Leidenschaft, Haß, Einseitigkeit überall, und
sie werden auf allen möglichen Gebieten, die weder mit Ackerbau noch mit
Handel oder Industrie etwas zu schaffen haben, gcschttrt. Es ist Zeit, sich
darauf zu besinnen, daß auch in dem Kampf der wirtschaftlichen Interessen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/10>, abgerufen am 26.05.2024.