Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

haftig nicht im deutschen Interesse lag, allerdings ein Ergebnis gehabt, das zum
Vorteile Deutschlands ausgeschlagen ist. Frankreich hat sich an Rußland ge¬
bunden, und Nußland will heute keinen Krieg in Europa, sondern etwas ganz
andres: die Ausbreitung und Befestigung seiner Macht in Asien. Damit aber
schwindet für Deutschland die Kriegsgefahr im Westen. Ja noch mehr. Seitdem
es der deutschen Politik gelungen ist, das gute Verhältnis zu Nußland wieder
herzustellen, zeigt sich die Möglichkeit, durch Rußlands Vermittlung zu einem
Einvernehmen mit Frankreich und somit zum Zusammenschluß der festländischen
Großmächte zu gelangen. Das ist offenbar das Ziel, das Kaiser Wilhelm II.
seit Jahren mit zäher Geduld verfolgt. Wir haben seitdem das Gefühl, daß
die Leitung der auswärtigen Politik des Reichs in festen Händen ruht und
unsre Interessen mit ruhigem Nachdruck zur Geltung bringt, soweit es die
Mittel gestatten, die uns zur Verfügung stehen. Daß diese Mittel für die
Wahrung unsrer Weltinteressen noch bei weitem nicht dem entsprechen, was
Deutschland leisten müßte und könnte, das allein hemmt unsre Negierung;
es ist also die allernächste und dringendste Pflicht, ihr das zur Verfügung zu
stellen, was sie zur Lösung ihrer unabweislichen Aufgaben bedarf: eine Kriegs¬
flotte, die uns in den großen Zukunftsentscheidungen bündnisfähig macht.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Die Genossen in Hamburg.

Durch ihre thörichten revolutionären Phrasen,
durch die selbstbewußte Proklamation des "Weltfeiertages der Arbeit," durch die
lächerliche Anmaßung, mit der sie die bürgerlichen Arbeiterfreunde von oben herab
als Vertreter eines überwnndnen und wissenschaftlich nicht mehr zulässigen Stand¬
punktes behandeln, durch den Grimm, mit dem sie sich im Sommer 1895 gegen
die große Nationalfeier gestemmt haben, haben die Sozialistenführer sich und den
sozialdemokratischen Arbeitern eine Reihe derber Züchtigungen zugezogen, die ihre
Wirkung nicht verfehlen, wie man aus den Hamburger Verhandlungen ersieht. Der
Genosse Stollen konnte die Aufhebung des unausführbaren Beschlusses wegen der
Arbeitsruhe am 1. Mai beantragen, ohne hinausgeworfen zu werden. Schippel
konnte in den Verdacht kommen, Kanonen bewilligt zu haben, und durfte eine
etwaige Bewilligung, deren er sich allerdings nicht schuldig gemacht haben will,
sogar rechtfertigen, und die Berliner Genossen, jn die meisten Mitglieder der
Reichstagsfraltion konnten auf seine Seite treten, ohne daß sie exkommuuizirt
worden wären. Liebknecht erllcirte sich sehr entschieden gegen die revolutionären
Phrasen; Bebel gestand offen, daß er kein zweites Sozialistengesetz erleben möchte,


Maßgebliches und Unmaßgebliches

haftig nicht im deutschen Interesse lag, allerdings ein Ergebnis gehabt, das zum
Vorteile Deutschlands ausgeschlagen ist. Frankreich hat sich an Rußland ge¬
bunden, und Nußland will heute keinen Krieg in Europa, sondern etwas ganz
andres: die Ausbreitung und Befestigung seiner Macht in Asien. Damit aber
schwindet für Deutschland die Kriegsgefahr im Westen. Ja noch mehr. Seitdem
es der deutschen Politik gelungen ist, das gute Verhältnis zu Nußland wieder
herzustellen, zeigt sich die Möglichkeit, durch Rußlands Vermittlung zu einem
Einvernehmen mit Frankreich und somit zum Zusammenschluß der festländischen
Großmächte zu gelangen. Das ist offenbar das Ziel, das Kaiser Wilhelm II.
seit Jahren mit zäher Geduld verfolgt. Wir haben seitdem das Gefühl, daß
die Leitung der auswärtigen Politik des Reichs in festen Händen ruht und
unsre Interessen mit ruhigem Nachdruck zur Geltung bringt, soweit es die
Mittel gestatten, die uns zur Verfügung stehen. Daß diese Mittel für die
Wahrung unsrer Weltinteressen noch bei weitem nicht dem entsprechen, was
Deutschland leisten müßte und könnte, das allein hemmt unsre Negierung;
es ist also die allernächste und dringendste Pflicht, ihr das zur Verfügung zu
stellen, was sie zur Lösung ihrer unabweislichen Aufgaben bedarf: eine Kriegs¬
flotte, die uns in den großen Zukunftsentscheidungen bündnisfähig macht.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Die Genossen in Hamburg.

Durch ihre thörichten revolutionären Phrasen,
durch die selbstbewußte Proklamation des „Weltfeiertages der Arbeit," durch die
lächerliche Anmaßung, mit der sie die bürgerlichen Arbeiterfreunde von oben herab
als Vertreter eines überwnndnen und wissenschaftlich nicht mehr zulässigen Stand¬
punktes behandeln, durch den Grimm, mit dem sie sich im Sommer 1895 gegen
die große Nationalfeier gestemmt haben, haben die Sozialistenführer sich und den
sozialdemokratischen Arbeitern eine Reihe derber Züchtigungen zugezogen, die ihre
Wirkung nicht verfehlen, wie man aus den Hamburger Verhandlungen ersieht. Der
Genosse Stollen konnte die Aufhebung des unausführbaren Beschlusses wegen der
Arbeitsruhe am 1. Mai beantragen, ohne hinausgeworfen zu werden. Schippel
konnte in den Verdacht kommen, Kanonen bewilligt zu haben, und durfte eine
etwaige Bewilligung, deren er sich allerdings nicht schuldig gemacht haben will,
sogar rechtfertigen, und die Berliner Genossen, jn die meisten Mitglieder der
Reichstagsfraltion konnten auf seine Seite treten, ohne daß sie exkommuuizirt
worden wären. Liebknecht erllcirte sich sehr entschieden gegen die revolutionären
Phrasen; Bebel gestand offen, daß er kein zweites Sozialistengesetz erleben möchte,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0101" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226333"/>
          <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_229" prev="#ID_228"> haftig nicht im deutschen Interesse lag, allerdings ein Ergebnis gehabt, das zum<lb/>
Vorteile Deutschlands ausgeschlagen ist. Frankreich hat sich an Rußland ge¬<lb/>
bunden, und Nußland will heute keinen Krieg in Europa, sondern etwas ganz<lb/>
andres: die Ausbreitung und Befestigung seiner Macht in Asien. Damit aber<lb/>
schwindet für Deutschland die Kriegsgefahr im Westen. Ja noch mehr. Seitdem<lb/>
es der deutschen Politik gelungen ist, das gute Verhältnis zu Nußland wieder<lb/>
herzustellen, zeigt sich die Möglichkeit, durch Rußlands Vermittlung zu einem<lb/>
Einvernehmen mit Frankreich und somit zum Zusammenschluß der festländischen<lb/>
Großmächte zu gelangen. Das ist offenbar das Ziel, das Kaiser Wilhelm II.<lb/>
seit Jahren mit zäher Geduld verfolgt. Wir haben seitdem das Gefühl, daß<lb/>
die Leitung der auswärtigen Politik des Reichs in festen Händen ruht und<lb/>
unsre Interessen mit ruhigem Nachdruck zur Geltung bringt, soweit es die<lb/>
Mittel gestatten, die uns zur Verfügung stehen. Daß diese Mittel für die<lb/>
Wahrung unsrer Weltinteressen noch bei weitem nicht dem entsprechen, was<lb/>
Deutschland leisten müßte und könnte, das allein hemmt unsre Negierung;<lb/>
es ist also die allernächste und dringendste Pflicht, ihr das zur Verfügung zu<lb/>
stellen, was sie zur Lösung ihrer unabweislichen Aufgaben bedarf: eine Kriegs¬<lb/>
flotte, die uns in den großen Zukunftsentscheidungen bündnisfähig macht.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Maßgebliches und Unmaßgebliches</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> Die Genossen in Hamburg.</head>
            <p xml:id="ID_230" next="#ID_231"> Durch ihre thörichten revolutionären Phrasen,<lb/>
durch die selbstbewußte Proklamation des &#x201E;Weltfeiertages der Arbeit," durch die<lb/>
lächerliche Anmaßung, mit der sie die bürgerlichen Arbeiterfreunde von oben herab<lb/>
als Vertreter eines überwnndnen und wissenschaftlich nicht mehr zulässigen Stand¬<lb/>
punktes behandeln, durch den Grimm, mit dem sie sich im Sommer 1895 gegen<lb/>
die große Nationalfeier gestemmt haben, haben die Sozialistenführer sich und den<lb/>
sozialdemokratischen Arbeitern eine Reihe derber Züchtigungen zugezogen, die ihre<lb/>
Wirkung nicht verfehlen, wie man aus den Hamburger Verhandlungen ersieht. Der<lb/>
Genosse Stollen konnte die Aufhebung des unausführbaren Beschlusses wegen der<lb/>
Arbeitsruhe am 1. Mai beantragen, ohne hinausgeworfen zu werden. Schippel<lb/>
konnte in den Verdacht kommen, Kanonen bewilligt zu haben, und durfte eine<lb/>
etwaige Bewilligung, deren er sich allerdings nicht schuldig gemacht haben will,<lb/>
sogar rechtfertigen, und die Berliner Genossen, jn die meisten Mitglieder der<lb/>
Reichstagsfraltion konnten auf seine Seite treten, ohne daß sie exkommuuizirt<lb/>
worden wären. Liebknecht erllcirte sich sehr entschieden gegen die revolutionären<lb/>
Phrasen; Bebel gestand offen, daß er kein zweites Sozialistengesetz erleben möchte,</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0101] Maßgebliches und Unmaßgebliches haftig nicht im deutschen Interesse lag, allerdings ein Ergebnis gehabt, das zum Vorteile Deutschlands ausgeschlagen ist. Frankreich hat sich an Rußland ge¬ bunden, und Nußland will heute keinen Krieg in Europa, sondern etwas ganz andres: die Ausbreitung und Befestigung seiner Macht in Asien. Damit aber schwindet für Deutschland die Kriegsgefahr im Westen. Ja noch mehr. Seitdem es der deutschen Politik gelungen ist, das gute Verhältnis zu Nußland wieder herzustellen, zeigt sich die Möglichkeit, durch Rußlands Vermittlung zu einem Einvernehmen mit Frankreich und somit zum Zusammenschluß der festländischen Großmächte zu gelangen. Das ist offenbar das Ziel, das Kaiser Wilhelm II. seit Jahren mit zäher Geduld verfolgt. Wir haben seitdem das Gefühl, daß die Leitung der auswärtigen Politik des Reichs in festen Händen ruht und unsre Interessen mit ruhigem Nachdruck zur Geltung bringt, soweit es die Mittel gestatten, die uns zur Verfügung stehen. Daß diese Mittel für die Wahrung unsrer Weltinteressen noch bei weitem nicht dem entsprechen, was Deutschland leisten müßte und könnte, das allein hemmt unsre Negierung; es ist also die allernächste und dringendste Pflicht, ihr das zur Verfügung zu stellen, was sie zur Lösung ihrer unabweislichen Aufgaben bedarf: eine Kriegs¬ flotte, die uns in den großen Zukunftsentscheidungen bündnisfähig macht. Maßgebliches und Unmaßgebliches Die Genossen in Hamburg. Durch ihre thörichten revolutionären Phrasen, durch die selbstbewußte Proklamation des „Weltfeiertages der Arbeit," durch die lächerliche Anmaßung, mit der sie die bürgerlichen Arbeiterfreunde von oben herab als Vertreter eines überwnndnen und wissenschaftlich nicht mehr zulässigen Stand¬ punktes behandeln, durch den Grimm, mit dem sie sich im Sommer 1895 gegen die große Nationalfeier gestemmt haben, haben die Sozialistenführer sich und den sozialdemokratischen Arbeitern eine Reihe derber Züchtigungen zugezogen, die ihre Wirkung nicht verfehlen, wie man aus den Hamburger Verhandlungen ersieht. Der Genosse Stollen konnte die Aufhebung des unausführbaren Beschlusses wegen der Arbeitsruhe am 1. Mai beantragen, ohne hinausgeworfen zu werden. Schippel konnte in den Verdacht kommen, Kanonen bewilligt zu haben, und durfte eine etwaige Bewilligung, deren er sich allerdings nicht schuldig gemacht haben will, sogar rechtfertigen, und die Berliner Genossen, jn die meisten Mitglieder der Reichstagsfraltion konnten auf seine Seite treten, ohne daß sie exkommuuizirt worden wären. Liebknecht erllcirte sich sehr entschieden gegen die revolutionären Phrasen; Bebel gestand offen, daß er kein zweites Sozialistengesetz erleben möchte,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/101
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/101>, abgerufen am 17.06.2024.