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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Die landwirtschaftlichen Botriebe im deutschen Reiche

stellen durch Zerschlagung der Großbetriebe im großen Umfang und in kurzer
Zeit zu empfehlen? Wir möchten auch nach dieser Richtung ein maßvolles
Vorgehen für das richtige halten. Den Unsinn, eine Vernichtung der Gro߬
grundbesitzer im Osten zu verlangen, lassen wir natürlich hier ganz beiseite.
Aber es scheint uns doch überhaupt vielfach eine Unterschätzung des wirtschaft¬
lichen, sozialen und politischen Wertes unsrer größern Betriebe obzuwalten,
die freilich dnrch das ungeberdige Verhalten vieler extrem agrarischer Vertreter
dieser Besitzerklasse jetzt ganz besonders gefördert wird. Trotz dieser mit aller
Schärfe zurückzuweisenden Unarten und Übergriffe der ostdeutschen Ritterguts¬
besitzer soll man doch nie vergessen, daß sie ein gar nicht hoch genug zu
schützendes Kulturelemcnt in den altpreußischen Provinzen sind. Wenn man
a" Stelle der Rittergüter, ja nur an Stelle der Hälfte, in den nächsten 20
bis 30 Jahren lauter Bauergüter von 5 bis 20, ja auch bis 50 Hektar setzen
wollte, so würde man damit noch lange keine Zustände schaffen, die sich auch
nur annähernd mit denen im Rheinland, in Baden, in der Pfalz, in Hesfeu-
Nasfan, ja anch in Württemberg, Hannover und Westfalen vergleichen ließen.
Viel zu große Bezirke würden dann im Osten aller Besitzer mit höherer Gemein-
bildung beraubt sein; die Pastoren und Landdvktoren thuns nicht allein, so
wichtig sie auch sind, und so segensreich sie heute vielfach ihr Gewicht gegen
das Junkertum, wie man sagt, in die Wagschale werfen können. Um den ge¬
bildeten Manu im Osten dauernd auf dem Lande zu halten, dazu gehört schon
ein Großbetrieb, in vielen Gegenden weit größer sogar als 100 .Hektar. Das
schließt nicht aus, daß in manchen Bezirken schon jetzt tüchtig zerstückelt
werden sollte, namentlich anch in der Nachbarschaft unsrer zahlreichen kleinen
Landstädte, die durch den sie einschließenden Großgrundbesitz ganz hernbgedrückt
werden, durch benachbarte Bauerndörfer aber wieder emporkommen können.
Und auch das ist zu bedenken bei der Frage der Zerschlagung der Rittergüter:
Schafft oder erhält mau in unsern Dörfern das Übermaß von Großbauern
mit zahlreichem unverheirateten Gesinde, ohne denen, die heiraten wollen, Ge¬
legenheit zu geben, die Selbständigkeit mit dem Besitz ganz kleiner Betriebe
zu beginnen und sich mit der Zeit zu vergrößern, so sollte man mit der Ver¬
nichtung der Großbetriebe, die den verheirateten Nichtbesitzern die einzige
Arbeitsgelegenheit bieten, doch recht langsam vorgehen. Man könnte den
Bauern sonst einen schlechten Gefallen erweisen. Wo sollen sie dann die
Knechte und Mägde hernehmen? Wir kennen Gegenden mit Banergemeinden
und ohne Rittergüter, wo diese Kalamität schon sehr groß ist, man aber
trotzdem leine "kleinen Leute" in der Gemeinde haben will, und kein Knecht
ein Ar zu laufen bekäme. In Schleswig-Holstein, auch in Bezirken von
Oldenburg und Ostfriesland sollen solche Großbauergemeiudeu ohne Gesinde-
uachwnchs recht zahlreich sein. Also wo man Bauernbetriebe schaffen will, da
schaffe man auch Parzellenbetriebe und die Möglichkeit für deren Inhaber, sich


Die landwirtschaftlichen Botriebe im deutschen Reiche

stellen durch Zerschlagung der Großbetriebe im großen Umfang und in kurzer
Zeit zu empfehlen? Wir möchten auch nach dieser Richtung ein maßvolles
Vorgehen für das richtige halten. Den Unsinn, eine Vernichtung der Gro߬
grundbesitzer im Osten zu verlangen, lassen wir natürlich hier ganz beiseite.
Aber es scheint uns doch überhaupt vielfach eine Unterschätzung des wirtschaft¬
lichen, sozialen und politischen Wertes unsrer größern Betriebe obzuwalten,
die freilich dnrch das ungeberdige Verhalten vieler extrem agrarischer Vertreter
dieser Besitzerklasse jetzt ganz besonders gefördert wird. Trotz dieser mit aller
Schärfe zurückzuweisenden Unarten und Übergriffe der ostdeutschen Ritterguts¬
besitzer soll man doch nie vergessen, daß sie ein gar nicht hoch genug zu
schützendes Kulturelemcnt in den altpreußischen Provinzen sind. Wenn man
a» Stelle der Rittergüter, ja nur an Stelle der Hälfte, in den nächsten 20
bis 30 Jahren lauter Bauergüter von 5 bis 20, ja auch bis 50 Hektar setzen
wollte, so würde man damit noch lange keine Zustände schaffen, die sich auch
nur annähernd mit denen im Rheinland, in Baden, in der Pfalz, in Hesfeu-
Nasfan, ja anch in Württemberg, Hannover und Westfalen vergleichen ließen.
Viel zu große Bezirke würden dann im Osten aller Besitzer mit höherer Gemein-
bildung beraubt sein; die Pastoren und Landdvktoren thuns nicht allein, so
wichtig sie auch sind, und so segensreich sie heute vielfach ihr Gewicht gegen
das Junkertum, wie man sagt, in die Wagschale werfen können. Um den ge¬
bildeten Manu im Osten dauernd auf dem Lande zu halten, dazu gehört schon
ein Großbetrieb, in vielen Gegenden weit größer sogar als 100 .Hektar. Das
schließt nicht aus, daß in manchen Bezirken schon jetzt tüchtig zerstückelt
werden sollte, namentlich anch in der Nachbarschaft unsrer zahlreichen kleinen
Landstädte, die durch den sie einschließenden Großgrundbesitz ganz hernbgedrückt
werden, durch benachbarte Bauerndörfer aber wieder emporkommen können.
Und auch das ist zu bedenken bei der Frage der Zerschlagung der Rittergüter:
Schafft oder erhält mau in unsern Dörfern das Übermaß von Großbauern
mit zahlreichem unverheirateten Gesinde, ohne denen, die heiraten wollen, Ge¬
legenheit zu geben, die Selbständigkeit mit dem Besitz ganz kleiner Betriebe
zu beginnen und sich mit der Zeit zu vergrößern, so sollte man mit der Ver¬
nichtung der Großbetriebe, die den verheirateten Nichtbesitzern die einzige
Arbeitsgelegenheit bieten, doch recht langsam vorgehen. Man könnte den
Bauern sonst einen schlechten Gefallen erweisen. Wo sollen sie dann die
Knechte und Mägde hernehmen? Wir kennen Gegenden mit Banergemeinden
und ohne Rittergüter, wo diese Kalamität schon sehr groß ist, man aber
trotzdem leine „kleinen Leute" in der Gemeinde haben will, und kein Knecht
ein Ar zu laufen bekäme. In Schleswig-Holstein, auch in Bezirken von
Oldenburg und Ostfriesland sollen solche Großbauergemeiudeu ohne Gesinde-
uachwnchs recht zahlreich sein. Also wo man Bauernbetriebe schaffen will, da
schaffe man auch Parzellenbetriebe und die Möglichkeit für deren Inhaber, sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/59>, abgerufen am 18.05.2024.