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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Fürsten bestätigen, daß er zwar dessen Minister, aber nicht sein Unterthan sei:
als Napoleon durch das Edikt von Trianon vom 26. August 1810 alle auf
dem linken Rheinufer gebornen für Franzosen erklärt hatte, gab Hans Christian
von Gagern den nassauischen Dienst auf und verkaufte seine Güter zu Spott¬
preisen, ließ die Mutter mit den jünger" Geschwistern in Weilburg zurück und
wanderte mit den beiden ältesten Söhnen aus. Friedrich hatte inzwischen das
Gymnasium in Weilburg durchgemacht, denn im Winter 1809/10 den Vater
nach Paris begleitet, um sich dort zum Besuche der polytechnischen Schule vor¬
zubereiten, jedoch als Nichtfranzose keine Aufnahme gefunden. Hierauf studirte
er bis 1812 in Göttingen, erhielt aber wegen zahlreicher Duelle, die aus dem
Gegensatz der Deutschgesinnten gegen die "Neuwestfalen" entsprungen waren,
das eonsilwm Ädsuncli.

Im Frühling 1812 verließ der alte Gagern Weilburg, brachte in München
seinen zweiten Sohn Karl in der bayrischen Armee unter und wandte sich mit
Friedrich nach Wien, wo dieser als Kadett in das Dragouerregiment Niesch
eintrat; nachdem er einexerziert war, folgte er im September dem Regiment
nach Polen. Der Vater schrieb inzwischen an seiner "Nationalgeschichte der
Deutschen" und gehörte mit Hormayr u. a. zu den Vertrauten des Erzherzogs
Johann, die damit umgingen, in Tirol den Volkskrieg gegen Napoleon vor-
zubereiten. Sobald Kaiser Franz durch Verrat Kunde von dem Plan einer
Volkserhebung erhielt, wurde Gagern des Landes verwiesen, und Erzherzog
Johann verschwand in den steirischen Bergen. Gagern wandte sich im März
1813 nach Breslau mit dem geheimen Auftrage des Fürsten Metternich, den
Beitritt Österreichs an die Verbündeten anzukündigen, und traf unterwegs den
Sohn, der inzwischen Leutnant geworden war, zwei Typhnsanfälle überstanden
hatte und zum Vater nach Wien auf Urlaub gehen wollte. In Breslau erhielt
Gagern den Auftrag und die Vollmacht des Prinzen von Oranien, bei dem
bevorstehenden Umschwung der Dinge die Interessen seines Hauses wahr¬
zunehmen; er hielt sich darauf in Sachsen und Schlesien beim Hauptquartier auf
und ging im Juli über Berlin und Schweden nach England. Friedrich hatte
inzwischen den Feldzug in Böhmen und Sachsen samt der Schlacht bei Leipzig
mitgemacht und traf den Vater erst wieder in Frankfurt a. M. am 14. November.
Dieser war mit seinen oranischen Plänen vollauf beschäftigt und zog den Sohn
nach sich in den niederländischen Dienst. Im Dezember schied Friedrich in
Freiburg i. B. aus der ihm lieb gewordnen österreichischen Armee und traf in
den letzten Tagen des Jahres im Haag ein.

Die groß-batavischen Entwürfe hatten auf dem Wiener Kongresse uner¬
wartetes Glück, das erst neu eroberte Königreich der Niederlande wurde das
"Schoßkind der Mächte" und "mit wahrer Affenliebe" großgezogen. Man
hat Gagern aus seiner diplomatischen Thätigkeit dafür später Vorwürfe ge¬
macht und seine deutsche Gesinnung bezweifelt, doch wohl mit Unrecht: er teilte


Fürsten bestätigen, daß er zwar dessen Minister, aber nicht sein Unterthan sei:
als Napoleon durch das Edikt von Trianon vom 26. August 1810 alle auf
dem linken Rheinufer gebornen für Franzosen erklärt hatte, gab Hans Christian
von Gagern den nassauischen Dienst auf und verkaufte seine Güter zu Spott¬
preisen, ließ die Mutter mit den jünger» Geschwistern in Weilburg zurück und
wanderte mit den beiden ältesten Söhnen aus. Friedrich hatte inzwischen das
Gymnasium in Weilburg durchgemacht, denn im Winter 1809/10 den Vater
nach Paris begleitet, um sich dort zum Besuche der polytechnischen Schule vor¬
zubereiten, jedoch als Nichtfranzose keine Aufnahme gefunden. Hierauf studirte
er bis 1812 in Göttingen, erhielt aber wegen zahlreicher Duelle, die aus dem
Gegensatz der Deutschgesinnten gegen die „Neuwestfalen" entsprungen waren,
das eonsilwm Ädsuncli.

Im Frühling 1812 verließ der alte Gagern Weilburg, brachte in München
seinen zweiten Sohn Karl in der bayrischen Armee unter und wandte sich mit
Friedrich nach Wien, wo dieser als Kadett in das Dragouerregiment Niesch
eintrat; nachdem er einexerziert war, folgte er im September dem Regiment
nach Polen. Der Vater schrieb inzwischen an seiner „Nationalgeschichte der
Deutschen" und gehörte mit Hormayr u. a. zu den Vertrauten des Erzherzogs
Johann, die damit umgingen, in Tirol den Volkskrieg gegen Napoleon vor-
zubereiten. Sobald Kaiser Franz durch Verrat Kunde von dem Plan einer
Volkserhebung erhielt, wurde Gagern des Landes verwiesen, und Erzherzog
Johann verschwand in den steirischen Bergen. Gagern wandte sich im März
1813 nach Breslau mit dem geheimen Auftrage des Fürsten Metternich, den
Beitritt Österreichs an die Verbündeten anzukündigen, und traf unterwegs den
Sohn, der inzwischen Leutnant geworden war, zwei Typhnsanfälle überstanden
hatte und zum Vater nach Wien auf Urlaub gehen wollte. In Breslau erhielt
Gagern den Auftrag und die Vollmacht des Prinzen von Oranien, bei dem
bevorstehenden Umschwung der Dinge die Interessen seines Hauses wahr¬
zunehmen; er hielt sich darauf in Sachsen und Schlesien beim Hauptquartier auf
und ging im Juli über Berlin und Schweden nach England. Friedrich hatte
inzwischen den Feldzug in Böhmen und Sachsen samt der Schlacht bei Leipzig
mitgemacht und traf den Vater erst wieder in Frankfurt a. M. am 14. November.
Dieser war mit seinen oranischen Plänen vollauf beschäftigt und zog den Sohn
nach sich in den niederländischen Dienst. Im Dezember schied Friedrich in
Freiburg i. B. aus der ihm lieb gewordnen österreichischen Armee und traf in
den letzten Tagen des Jahres im Haag ein.

Die groß-batavischen Entwürfe hatten auf dem Wiener Kongresse uner¬
wartetes Glück, das erst neu eroberte Königreich der Niederlande wurde das
„Schoßkind der Mächte" und „mit wahrer Affenliebe" großgezogen. Man
hat Gagern aus seiner diplomatischen Thätigkeit dafür später Vorwürfe ge¬
macht und seine deutsche Gesinnung bezweifelt, doch wohl mit Unrecht: er teilte


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[0267] Fürsten bestätigen, daß er zwar dessen Minister, aber nicht sein Unterthan sei: als Napoleon durch das Edikt von Trianon vom 26. August 1810 alle auf dem linken Rheinufer gebornen für Franzosen erklärt hatte, gab Hans Christian von Gagern den nassauischen Dienst auf und verkaufte seine Güter zu Spott¬ preisen, ließ die Mutter mit den jünger» Geschwistern in Weilburg zurück und wanderte mit den beiden ältesten Söhnen aus. Friedrich hatte inzwischen das Gymnasium in Weilburg durchgemacht, denn im Winter 1809/10 den Vater nach Paris begleitet, um sich dort zum Besuche der polytechnischen Schule vor¬ zubereiten, jedoch als Nichtfranzose keine Aufnahme gefunden. Hierauf studirte er bis 1812 in Göttingen, erhielt aber wegen zahlreicher Duelle, die aus dem Gegensatz der Deutschgesinnten gegen die „Neuwestfalen" entsprungen waren, das eonsilwm Ädsuncli. Im Frühling 1812 verließ der alte Gagern Weilburg, brachte in München seinen zweiten Sohn Karl in der bayrischen Armee unter und wandte sich mit Friedrich nach Wien, wo dieser als Kadett in das Dragouerregiment Niesch eintrat; nachdem er einexerziert war, folgte er im September dem Regiment nach Polen. Der Vater schrieb inzwischen an seiner „Nationalgeschichte der Deutschen" und gehörte mit Hormayr u. a. zu den Vertrauten des Erzherzogs Johann, die damit umgingen, in Tirol den Volkskrieg gegen Napoleon vor- zubereiten. Sobald Kaiser Franz durch Verrat Kunde von dem Plan einer Volkserhebung erhielt, wurde Gagern des Landes verwiesen, und Erzherzog Johann verschwand in den steirischen Bergen. Gagern wandte sich im März 1813 nach Breslau mit dem geheimen Auftrage des Fürsten Metternich, den Beitritt Österreichs an die Verbündeten anzukündigen, und traf unterwegs den Sohn, der inzwischen Leutnant geworden war, zwei Typhnsanfälle überstanden hatte und zum Vater nach Wien auf Urlaub gehen wollte. In Breslau erhielt Gagern den Auftrag und die Vollmacht des Prinzen von Oranien, bei dem bevorstehenden Umschwung der Dinge die Interessen seines Hauses wahr¬ zunehmen; er hielt sich darauf in Sachsen und Schlesien beim Hauptquartier auf und ging im Juli über Berlin und Schweden nach England. Friedrich hatte inzwischen den Feldzug in Böhmen und Sachsen samt der Schlacht bei Leipzig mitgemacht und traf den Vater erst wieder in Frankfurt a. M. am 14. November. Dieser war mit seinen oranischen Plänen vollauf beschäftigt und zog den Sohn nach sich in den niederländischen Dienst. Im Dezember schied Friedrich in Freiburg i. B. aus der ihm lieb gewordnen österreichischen Armee und traf in den letzten Tagen des Jahres im Haag ein. Die groß-batavischen Entwürfe hatten auf dem Wiener Kongresse uner¬ wartetes Glück, das erst neu eroberte Königreich der Niederlande wurde das „Schoßkind der Mächte" und „mit wahrer Affenliebe" großgezogen. Man hat Gagern aus seiner diplomatischen Thätigkeit dafür später Vorwürfe ge¬ macht und seine deutsche Gesinnung bezweifelt, doch wohl mit Unrecht: er teilte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/267>, abgerufen am 14.06.2024.