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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Groß-Germanien

ginge, sich also dadurch als annehmbare Kriegsmacht offenbarte, so ist damit
noch in keiner Weise dargethan, daß sich das Staatsschiff der Union, wenn
die kriegerische Fiebererregung dem ruhigen Pulsschläge des bürgerlichen Lebens
gewichen ist, von dem bisher innegehaltnen Kurse des sichern Erwerbs und
der Dollarverehrung in das Kielwasser des englischen Kriegspanzers ziehen
lassen wird. Amerika ist eine Welt sür sich. Die allmähliche Umwandlung
Gesamtamerikas zu einer wirtschaftlichen Einheit unter der Leitung Nord¬
amerikas ist möglich, wenn auch der bleibende Gegensatz des romanischen
Südens zum angelsächsischen Norden wahrscheinlich ist und zur Belebung des
Ganzen sogar wünschenswert erscheint. Stützpunkte für seinen Handel mit
Europa hat es nicht nötig. Seine handelspolitische Stellung in Ostasien zu
verstärken ist ihm unbenommen -- ja es ist anzunehmen, daß es dem Bei¬
spiele der Mächte bei der Besetzung chinesischen Bodens unmittelbar gefolgt
wäre, wenn es nicht längst den Krieg mit Spanien vorausgesehen und sich
die Philippinen als künftige Handelsbasis für Ostasien vorgemerkt hätte.
Daraus ergiebt sich, daß für Amerika ein Grund zu einem Bündnisse mit dem
kriegfürchtenden England in keiner Weise besteht.

Aber vorerst ist auch noch gar nicht bewiesen, daß die Union so schnell
ihres Gegners, einer Macht dritten Ranges im europäischen Kriegskalender,
Herr werden wird. Der Sieg bei Manila, der mit solchem Fanfarengeschmetter
als gewaltige Heldenthat ausgerufen worden ist, kann jedem vorurteilslos
Denkenden in keiner Weise als Beweis der allgemeinen Überlegenheit der
Amerikaner gelten. Die vorhandnen Kräfte waren bei Manila völlig ungleich;
hier die moderne Waffe in bestem Zustande, dort veraltete Systeme, nicht ge¬
zogne Geschütze, meist hölzerne Schiffe, eben gut genug, den Küstensicherheits¬
dienst auf der Inselgruppe zu besorgen. Bei all den andern Treffen haben
sich die Spanier bisher durchaus bewährt; sie haben es bis jetzt thatsächlich
verstanden, die Küste Kubas vor jeder feindlichen Invasion zu bewahren; und
wie die Kämpfe zwischen den beiden ungefähr gleichen atlantischen Flotten aus-
laufen werden, ist zwar nicht abzusehen, doch spricht nichts dagegen, daß die
ohne Zweifel auf spanischer Seite straffere Mannszucht und der ererbte Korps¬
geist der Offiziere am Ende den Ausschlag geben werden. Denn militärischer
Geist läßt sich nicht aus dem Boden stampfen; der Boden giebt nur den
Körper, der Geist ist aus unendlich feineren Stoffe, und alle Millionen Dollar
werden schließlich niemals das ersetzen können, was ein Volk aus sich selbst
heraus giebt: die ideale Hingebung des Einzelnen für sein Volk, für die Inter¬
essen der Gesamtheit. Man wende nicht ein, daß Amerika im Befreiungskriege
gezeigt hat, was ein auch junges Volk in der Hingebung zu leisten vermag;
damals im Kampfe mit dem Mutterlande war Amerika in ganz andrer Lage,
es spielte die Rolle, die Spanien jetzt aufgedrungen ist -- es kämpfte um seine
Existenz. Jetzt liegen die Verhältnisse ganz anders; auch jeder Amerikaner


Grenzboten II 1898 W
Groß-Germanien

ginge, sich also dadurch als annehmbare Kriegsmacht offenbarte, so ist damit
noch in keiner Weise dargethan, daß sich das Staatsschiff der Union, wenn
die kriegerische Fiebererregung dem ruhigen Pulsschläge des bürgerlichen Lebens
gewichen ist, von dem bisher innegehaltnen Kurse des sichern Erwerbs und
der Dollarverehrung in das Kielwasser des englischen Kriegspanzers ziehen
lassen wird. Amerika ist eine Welt sür sich. Die allmähliche Umwandlung
Gesamtamerikas zu einer wirtschaftlichen Einheit unter der Leitung Nord¬
amerikas ist möglich, wenn auch der bleibende Gegensatz des romanischen
Südens zum angelsächsischen Norden wahrscheinlich ist und zur Belebung des
Ganzen sogar wünschenswert erscheint. Stützpunkte für seinen Handel mit
Europa hat es nicht nötig. Seine handelspolitische Stellung in Ostasien zu
verstärken ist ihm unbenommen — ja es ist anzunehmen, daß es dem Bei¬
spiele der Mächte bei der Besetzung chinesischen Bodens unmittelbar gefolgt
wäre, wenn es nicht längst den Krieg mit Spanien vorausgesehen und sich
die Philippinen als künftige Handelsbasis für Ostasien vorgemerkt hätte.
Daraus ergiebt sich, daß für Amerika ein Grund zu einem Bündnisse mit dem
kriegfürchtenden England in keiner Weise besteht.

Aber vorerst ist auch noch gar nicht bewiesen, daß die Union so schnell
ihres Gegners, einer Macht dritten Ranges im europäischen Kriegskalender,
Herr werden wird. Der Sieg bei Manila, der mit solchem Fanfarengeschmetter
als gewaltige Heldenthat ausgerufen worden ist, kann jedem vorurteilslos
Denkenden in keiner Weise als Beweis der allgemeinen Überlegenheit der
Amerikaner gelten. Die vorhandnen Kräfte waren bei Manila völlig ungleich;
hier die moderne Waffe in bestem Zustande, dort veraltete Systeme, nicht ge¬
zogne Geschütze, meist hölzerne Schiffe, eben gut genug, den Küstensicherheits¬
dienst auf der Inselgruppe zu besorgen. Bei all den andern Treffen haben
sich die Spanier bisher durchaus bewährt; sie haben es bis jetzt thatsächlich
verstanden, die Küste Kubas vor jeder feindlichen Invasion zu bewahren; und
wie die Kämpfe zwischen den beiden ungefähr gleichen atlantischen Flotten aus-
laufen werden, ist zwar nicht abzusehen, doch spricht nichts dagegen, daß die
ohne Zweifel auf spanischer Seite straffere Mannszucht und der ererbte Korps¬
geist der Offiziere am Ende den Ausschlag geben werden. Denn militärischer
Geist läßt sich nicht aus dem Boden stampfen; der Boden giebt nur den
Körper, der Geist ist aus unendlich feineren Stoffe, und alle Millionen Dollar
werden schließlich niemals das ersetzen können, was ein Volk aus sich selbst
heraus giebt: die ideale Hingebung des Einzelnen für sein Volk, für die Inter¬
essen der Gesamtheit. Man wende nicht ein, daß Amerika im Befreiungskriege
gezeigt hat, was ein auch junges Volk in der Hingebung zu leisten vermag;
damals im Kampfe mit dem Mutterlande war Amerika in ganz andrer Lage,
es spielte die Rolle, die Spanien jetzt aufgedrungen ist — es kämpfte um seine
Existenz. Jetzt liegen die Verhältnisse ganz anders; auch jeder Amerikaner


Grenzboten II 1898 W
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[0505] Groß-Germanien ginge, sich also dadurch als annehmbare Kriegsmacht offenbarte, so ist damit noch in keiner Weise dargethan, daß sich das Staatsschiff der Union, wenn die kriegerische Fiebererregung dem ruhigen Pulsschläge des bürgerlichen Lebens gewichen ist, von dem bisher innegehaltnen Kurse des sichern Erwerbs und der Dollarverehrung in das Kielwasser des englischen Kriegspanzers ziehen lassen wird. Amerika ist eine Welt sür sich. Die allmähliche Umwandlung Gesamtamerikas zu einer wirtschaftlichen Einheit unter der Leitung Nord¬ amerikas ist möglich, wenn auch der bleibende Gegensatz des romanischen Südens zum angelsächsischen Norden wahrscheinlich ist und zur Belebung des Ganzen sogar wünschenswert erscheint. Stützpunkte für seinen Handel mit Europa hat es nicht nötig. Seine handelspolitische Stellung in Ostasien zu verstärken ist ihm unbenommen — ja es ist anzunehmen, daß es dem Bei¬ spiele der Mächte bei der Besetzung chinesischen Bodens unmittelbar gefolgt wäre, wenn es nicht längst den Krieg mit Spanien vorausgesehen und sich die Philippinen als künftige Handelsbasis für Ostasien vorgemerkt hätte. Daraus ergiebt sich, daß für Amerika ein Grund zu einem Bündnisse mit dem kriegfürchtenden England in keiner Weise besteht. Aber vorerst ist auch noch gar nicht bewiesen, daß die Union so schnell ihres Gegners, einer Macht dritten Ranges im europäischen Kriegskalender, Herr werden wird. Der Sieg bei Manila, der mit solchem Fanfarengeschmetter als gewaltige Heldenthat ausgerufen worden ist, kann jedem vorurteilslos Denkenden in keiner Weise als Beweis der allgemeinen Überlegenheit der Amerikaner gelten. Die vorhandnen Kräfte waren bei Manila völlig ungleich; hier die moderne Waffe in bestem Zustande, dort veraltete Systeme, nicht ge¬ zogne Geschütze, meist hölzerne Schiffe, eben gut genug, den Küstensicherheits¬ dienst auf der Inselgruppe zu besorgen. Bei all den andern Treffen haben sich die Spanier bisher durchaus bewährt; sie haben es bis jetzt thatsächlich verstanden, die Küste Kubas vor jeder feindlichen Invasion zu bewahren; und wie die Kämpfe zwischen den beiden ungefähr gleichen atlantischen Flotten aus- laufen werden, ist zwar nicht abzusehen, doch spricht nichts dagegen, daß die ohne Zweifel auf spanischer Seite straffere Mannszucht und der ererbte Korps¬ geist der Offiziere am Ende den Ausschlag geben werden. Denn militärischer Geist läßt sich nicht aus dem Boden stampfen; der Boden giebt nur den Körper, der Geist ist aus unendlich feineren Stoffe, und alle Millionen Dollar werden schließlich niemals das ersetzen können, was ein Volk aus sich selbst heraus giebt: die ideale Hingebung des Einzelnen für sein Volk, für die Inter¬ essen der Gesamtheit. Man wende nicht ein, daß Amerika im Befreiungskriege gezeigt hat, was ein auch junges Volk in der Hingebung zu leisten vermag; damals im Kampfe mit dem Mutterlande war Amerika in ganz andrer Lage, es spielte die Rolle, die Spanien jetzt aufgedrungen ist — es kämpfte um seine Existenz. Jetzt liegen die Verhältnisse ganz anders; auch jeder Amerikaner Grenzboten II 1898 W

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/505>, abgerufen am 22.05.2024.