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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Geistesaristokratie

n unserm demokratischen Zeitalter kommt es viele oft schwer an,
nicht dem häßlichen demokratischen Neide zu verfallen, der nicht
eher richt, als bis er alles Große weggekrittelt oder weggespottet
hat, um endlich zu dem ebenso erbärmlichen wie trostlosen Er¬
gebnisse zu gelangen: es giebt nichts, wovor der gewöhnliche
Durchschnittsmensch Hochachtung und Bewunderung empfinden müßte, auch die
sogenannten großen Männer sind eben doch nur Menschen wie wir und unsers-
gleichen gewesen, und sie hätten nichts vermocht ohne die Massenbewegung,
die sie getragen hat.

Das Umgekehrte ist richtig; ohne führende Geister ist eine Massenbewegung
noch niemals zum Ziele gelangt, und die Zukunft Deutschlands wie der Welt
beruht keineswegs auf der fortschreitenden Demokratisirung der Volker, sondern
darauf, daß trotz ihrer überall eine Geistesaristokratie die Leitung behauptet
oder in ihre Hände bringt. Denn je verwickelter die innern Verhältnisse
der Kulturstaaten werden, je mehr sie alle in die entferntesten Weltbeziehungen
verflochten werden, desto weniger ist die große hart arbeitende Masse trotz
aller sogenannten Bildung, die man ihr einzuflößen versucht, noch imstande,
sie zu übersehen oder gar zu leiten, und daher wird die Zukunft nicht den
Völkern gehören, die in der politischen Demokratisirung am weitesten gegangen
sind, sondern vielmehr denen, die sich von einer wirklichen Geistesaristokratic
leiten lassen.

Die "Aristokratie" ist nach der Bezeichnung der Griechen, die diesen Begriff so
gut wie fast alle politischen Grundbegriffe geschaffen haben, die Herrschaft der
"5>et?rot, der "Besten." Aber diese "Besten" sind zu verschiednen Zeiten sehr
verschiedne Leute gewesen. In mittelalterlichen Zeiten, d. h. in solchen, wo


Grenzboten II 1893 1


Geistesaristokratie

n unserm demokratischen Zeitalter kommt es viele oft schwer an,
nicht dem häßlichen demokratischen Neide zu verfallen, der nicht
eher richt, als bis er alles Große weggekrittelt oder weggespottet
hat, um endlich zu dem ebenso erbärmlichen wie trostlosen Er¬
gebnisse zu gelangen: es giebt nichts, wovor der gewöhnliche
Durchschnittsmensch Hochachtung und Bewunderung empfinden müßte, auch die
sogenannten großen Männer sind eben doch nur Menschen wie wir und unsers-
gleichen gewesen, und sie hätten nichts vermocht ohne die Massenbewegung,
die sie getragen hat.

Das Umgekehrte ist richtig; ohne führende Geister ist eine Massenbewegung
noch niemals zum Ziele gelangt, und die Zukunft Deutschlands wie der Welt
beruht keineswegs auf der fortschreitenden Demokratisirung der Volker, sondern
darauf, daß trotz ihrer überall eine Geistesaristokratie die Leitung behauptet
oder in ihre Hände bringt. Denn je verwickelter die innern Verhältnisse
der Kulturstaaten werden, je mehr sie alle in die entferntesten Weltbeziehungen
verflochten werden, desto weniger ist die große hart arbeitende Masse trotz
aller sogenannten Bildung, die man ihr einzuflößen versucht, noch imstande,
sie zu übersehen oder gar zu leiten, und daher wird die Zukunft nicht den
Völkern gehören, die in der politischen Demokratisirung am weitesten gegangen
sind, sondern vielmehr denen, die sich von einer wirklichen Geistesaristokratic
leiten lassen.

Die „Aristokratie" ist nach der Bezeichnung der Griechen, die diesen Begriff so
gut wie fast alle politischen Grundbegriffe geschaffen haben, die Herrschaft der
«5>et?rot, der „Besten." Aber diese „Besten" sind zu verschiednen Zeiten sehr
verschiedne Leute gewesen. In mittelalterlichen Zeiten, d. h. in solchen, wo


Grenzboten II 1893 1
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/9>, abgerufen am 16.06.2024.