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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Makedonien

Ackerbauern, die hier von den römischen Behörden angesiedelt wurden. Aber
schon zwischen 490 und 500 erfolgte dann der gewaltsame Einbruch der tata¬
rischen, wie die Türken und Ungarn zum finnisch-ugrisch-altaischen Stamme
gehörigen Bulgaren, deren Reich dann hier mit manchen Wechselfällen etwa
siebenhundert Jahre lang bestand. In dieser Zeit nahm das ursprüngliche
Reiter- und Nomadenvolk mit den Gewohnheiten der besiegten slawischen Unter¬
thanen und mit der Religion des benachbarten Byzanz auch die südslawische
Sprache der Landbevölkerung an; aber auch heute noch enthält das Bulgarische
eine Masse von Worten, die nicht auf das slawische zurückgeführt werden
können, auch wohl kaum von ihren eignen spätern Besiegern, den Türken,
übernommen worden sind, obwohl sicher auch das Türkische nicht ohne Ein¬
fluß auf das Neugriechische und auf das Bulgarische geblieben ist.

Ganz vereinzelt nur wird man in Salonik und Südmakedonien reine
Slawen, Serben antreffen. Eine Karte der serbischen Propaganda, die mir
vorlag, macht zwar kurzerhand so gut wie ganz Makedonien serbisch, indem
sie nur den Küstenstreifen den Hellenen zuweist und namentlich die Bulgaren
ganz hinauszudrängen sucht. In dichten Massen sitzen aber reine Slawen,
Serben und Bosniciken, nur im nördlichsten Teile der österreichisch-ungarischen
Interessensphäre, in dem Striche zwischen Üsküb, das aber zu zwei Dritteln
muhammedamisch ist, in Bosnien und der Herzegowina. Aber auch diese sind
wieder religiös gespalten, da die Grvßgrundbesitzerklasse zum Islam übertrat,
während die armen Bauern Christen blieben.

Überall eingesprengt findet man aber in Makedonien die zahlreichen
Zigeuner, die sich wie allenthalben auch hier den Religionsgewohnheiten der
herrschenden Klasse angeschlossen haben, um im übrigen das Mädchen für alles,
Aschenbrödel und Henkersknecht, zu machen; ferner in dichten Haufen die
Walachen, unter denen nenerdings mit Eifer die von Rumänien ausgehende
Propaganda arbeitet, und die, soweit ich sie kennen gelernt habe, einen an¬
stelligen, bildsamen und gewinnenden Eindruck machten. Man findet sie auch
in Salonik da und dort als Hausdiener, und man ist mit ihnen zufrieden,
denn im Gegensatz zu den Albanesen, die sich nur zur Pflege der Pferde ver¬
stehen und sich im übrigen darauf beschränken, den Privatsvldaten ihrer Herr¬
schaft zu machen, als solche dann freilich durchaus zuverlässig und sicher sind,
scheuen sich die Walachen vor keiner Arbeit, sind nüchtern und lernen nament¬
lich die Hauptverkehrssprache des Orients, das Italienische, sehr rasch und leicht,
da sich ihre eigne Sprache nicht sehr weit vom lateinischen entfernt hat. Zu
diesem Völkergemisch kommen noch die Franken, die namentlich früher in Salonik
ihren Mittelpunkt in dem Jesuitenkollegium hatten, dessen stattliches Gebäude
neben der Ottomanbank und den Moscheen einst das größte Bauwesen der
Stadt war. Vor seiner guten und unentgeltlichen Apotheke steht die bunte
Bevölkerung täglich; die Kranken haben in dem Hospital der Jesuiten und in


Makedonien

Ackerbauern, die hier von den römischen Behörden angesiedelt wurden. Aber
schon zwischen 490 und 500 erfolgte dann der gewaltsame Einbruch der tata¬
rischen, wie die Türken und Ungarn zum finnisch-ugrisch-altaischen Stamme
gehörigen Bulgaren, deren Reich dann hier mit manchen Wechselfällen etwa
siebenhundert Jahre lang bestand. In dieser Zeit nahm das ursprüngliche
Reiter- und Nomadenvolk mit den Gewohnheiten der besiegten slawischen Unter¬
thanen und mit der Religion des benachbarten Byzanz auch die südslawische
Sprache der Landbevölkerung an; aber auch heute noch enthält das Bulgarische
eine Masse von Worten, die nicht auf das slawische zurückgeführt werden
können, auch wohl kaum von ihren eignen spätern Besiegern, den Türken,
übernommen worden sind, obwohl sicher auch das Türkische nicht ohne Ein¬
fluß auf das Neugriechische und auf das Bulgarische geblieben ist.

Ganz vereinzelt nur wird man in Salonik und Südmakedonien reine
Slawen, Serben antreffen. Eine Karte der serbischen Propaganda, die mir
vorlag, macht zwar kurzerhand so gut wie ganz Makedonien serbisch, indem
sie nur den Küstenstreifen den Hellenen zuweist und namentlich die Bulgaren
ganz hinauszudrängen sucht. In dichten Massen sitzen aber reine Slawen,
Serben und Bosniciken, nur im nördlichsten Teile der österreichisch-ungarischen
Interessensphäre, in dem Striche zwischen Üsküb, das aber zu zwei Dritteln
muhammedamisch ist, in Bosnien und der Herzegowina. Aber auch diese sind
wieder religiös gespalten, da die Grvßgrundbesitzerklasse zum Islam übertrat,
während die armen Bauern Christen blieben.

Überall eingesprengt findet man aber in Makedonien die zahlreichen
Zigeuner, die sich wie allenthalben auch hier den Religionsgewohnheiten der
herrschenden Klasse angeschlossen haben, um im übrigen das Mädchen für alles,
Aschenbrödel und Henkersknecht, zu machen; ferner in dichten Haufen die
Walachen, unter denen nenerdings mit Eifer die von Rumänien ausgehende
Propaganda arbeitet, und die, soweit ich sie kennen gelernt habe, einen an¬
stelligen, bildsamen und gewinnenden Eindruck machten. Man findet sie auch
in Salonik da und dort als Hausdiener, und man ist mit ihnen zufrieden,
denn im Gegensatz zu den Albanesen, die sich nur zur Pflege der Pferde ver¬
stehen und sich im übrigen darauf beschränken, den Privatsvldaten ihrer Herr¬
schaft zu machen, als solche dann freilich durchaus zuverlässig und sicher sind,
scheuen sich die Walachen vor keiner Arbeit, sind nüchtern und lernen nament¬
lich die Hauptverkehrssprache des Orients, das Italienische, sehr rasch und leicht,
da sich ihre eigne Sprache nicht sehr weit vom lateinischen entfernt hat. Zu
diesem Völkergemisch kommen noch die Franken, die namentlich früher in Salonik
ihren Mittelpunkt in dem Jesuitenkollegium hatten, dessen stattliches Gebäude
neben der Ottomanbank und den Moscheen einst das größte Bauwesen der
Stadt war. Vor seiner guten und unentgeltlichen Apotheke steht die bunte
Bevölkerung täglich; die Kranken haben in dem Hospital der Jesuiten und in


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[0166] Makedonien Ackerbauern, die hier von den römischen Behörden angesiedelt wurden. Aber schon zwischen 490 und 500 erfolgte dann der gewaltsame Einbruch der tata¬ rischen, wie die Türken und Ungarn zum finnisch-ugrisch-altaischen Stamme gehörigen Bulgaren, deren Reich dann hier mit manchen Wechselfällen etwa siebenhundert Jahre lang bestand. In dieser Zeit nahm das ursprüngliche Reiter- und Nomadenvolk mit den Gewohnheiten der besiegten slawischen Unter¬ thanen und mit der Religion des benachbarten Byzanz auch die südslawische Sprache der Landbevölkerung an; aber auch heute noch enthält das Bulgarische eine Masse von Worten, die nicht auf das slawische zurückgeführt werden können, auch wohl kaum von ihren eignen spätern Besiegern, den Türken, übernommen worden sind, obwohl sicher auch das Türkische nicht ohne Ein¬ fluß auf das Neugriechische und auf das Bulgarische geblieben ist. Ganz vereinzelt nur wird man in Salonik und Südmakedonien reine Slawen, Serben antreffen. Eine Karte der serbischen Propaganda, die mir vorlag, macht zwar kurzerhand so gut wie ganz Makedonien serbisch, indem sie nur den Küstenstreifen den Hellenen zuweist und namentlich die Bulgaren ganz hinauszudrängen sucht. In dichten Massen sitzen aber reine Slawen, Serben und Bosniciken, nur im nördlichsten Teile der österreichisch-ungarischen Interessensphäre, in dem Striche zwischen Üsküb, das aber zu zwei Dritteln muhammedamisch ist, in Bosnien und der Herzegowina. Aber auch diese sind wieder religiös gespalten, da die Grvßgrundbesitzerklasse zum Islam übertrat, während die armen Bauern Christen blieben. Überall eingesprengt findet man aber in Makedonien die zahlreichen Zigeuner, die sich wie allenthalben auch hier den Religionsgewohnheiten der herrschenden Klasse angeschlossen haben, um im übrigen das Mädchen für alles, Aschenbrödel und Henkersknecht, zu machen; ferner in dichten Haufen die Walachen, unter denen nenerdings mit Eifer die von Rumänien ausgehende Propaganda arbeitet, und die, soweit ich sie kennen gelernt habe, einen an¬ stelligen, bildsamen und gewinnenden Eindruck machten. Man findet sie auch in Salonik da und dort als Hausdiener, und man ist mit ihnen zufrieden, denn im Gegensatz zu den Albanesen, die sich nur zur Pflege der Pferde ver¬ stehen und sich im übrigen darauf beschränken, den Privatsvldaten ihrer Herr¬ schaft zu machen, als solche dann freilich durchaus zuverlässig und sicher sind, scheuen sich die Walachen vor keiner Arbeit, sind nüchtern und lernen nament¬ lich die Hauptverkehrssprache des Orients, das Italienische, sehr rasch und leicht, da sich ihre eigne Sprache nicht sehr weit vom lateinischen entfernt hat. Zu diesem Völkergemisch kommen noch die Franken, die namentlich früher in Salonik ihren Mittelpunkt in dem Jesuitenkollegium hatten, dessen stattliches Gebäude neben der Ottomanbank und den Moscheen einst das größte Bauwesen der Stadt war. Vor seiner guten und unentgeltlichen Apotheke steht die bunte Bevölkerung täglich; die Kranken haben in dem Hospital der Jesuiten und in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/166>, abgerufen am 05.06.2024.