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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Frühlingstage am Garigliano

Brot, Wein und Käse findet man da am frischesten, und die Wirtsleute sind
durch ihren kaufmännischen Betrieb auch in der Regel zu größerer Sauberkeit
und Aufmerksamkeit gegen den Fremden fortgeschritten.

Veroli hat, wie fast jede antike Stadt Italiens, seinen Bischof und demnach
auch seinen Dom hoch oben auf dem Rücken des Felsens. Aber uns fehlte die
Zeit, bis in die obersten Teile des Felsennestes vorzudringen, zumal da wir
die großartige Aussicht auch von dem Gasthof aus genossen. Die alte Haus¬
industrie der Einwohner, die Herstellung einfacher Wollteppiche durch Hand-
Weberei, wird uoch immer geübt; unsre Padrona zeigte uns eine von ihr selbst
gewebte Probe, die ich gern gekauft Hütte; doch fürchtete ich das Anschwellen
des Reisegepäcks. Herrlich war die Ausfahrt aus der alten Bischofstadt. Ein
riesiges Steinthor öffnete uns deu Blick nach Süden und Westen. Hoch über
uns auf steilem Rücken lag die Akropolis, vor uns ein reich mit Bäumen
bewachsener Abhang mit einzelnen Landhäusern und weiter hinaus die sein¬
geschwungnen Linien der benachbarten Hernikerberge. Die Fahrt durch die
Ebne in der Richtung gegen Alatri bot wieder viel Gelegenheit zum Studium
des Menschlichen und Allzumenschlichen. Das oben erwähnte Bild von Murillo
erlebte viele neue Auflagen: Mütter und Töchter mit solcher Osterbeschüftignng
saßen friedlich unter dem zarten Grün des sprossenden Weinstocks. Am meisten
aber staunte ich über die Hirten, die längs der Straße ihre Schafe und
Ziegen weideten. Sie waren vom Kopfe bis zu deu Füßen in braune oder
schwarze Bockfelle gekleidet, das zottige Haar nach außen. Da nun die Zotteln
des Fells auch über die Füße fielen und diese kleiner erscheinen ließen,
glaubte ich die leibhaftigen Sathrn der altitalischen Mythologie vor nur zu
sehen. Ihr Kostüm ist genau dasselbe wie vor zwei- bis dreitausend Jahren,
und da wohl auch die langohrige braune Bcrgziege seitdem ihre Nasse nicht
geändert hat, so genossen wir mit unendlichem Behagen ein köstliches Stück
antiker Landschaft mit echter Staffage. Was mußten diese wandelnden Bock-
gestalten für Heiterkeit erregen, wenn sie zu Festzeiten von ihren Bergen in
die Landstädte der Togaleute oder nach Rom selbst niederstiegen! Aus solchem
Heidentum führte uns eine Anzahl Nonnen zum Christentum zurück, die in
kleinen Gruppen die sonnige Straße dahinzogen, rund und behäbig; ihre weißen
und rosigen Gesichter hoben sich von der Bronzefarbe der Bockfellträger ab
wie Gänseblümchen vom braunen Kalkfelsen.

(Fortsetzung folgt)




Frühlingstage am Garigliano

Brot, Wein und Käse findet man da am frischesten, und die Wirtsleute sind
durch ihren kaufmännischen Betrieb auch in der Regel zu größerer Sauberkeit
und Aufmerksamkeit gegen den Fremden fortgeschritten.

Veroli hat, wie fast jede antike Stadt Italiens, seinen Bischof und demnach
auch seinen Dom hoch oben auf dem Rücken des Felsens. Aber uns fehlte die
Zeit, bis in die obersten Teile des Felsennestes vorzudringen, zumal da wir
die großartige Aussicht auch von dem Gasthof aus genossen. Die alte Haus¬
industrie der Einwohner, die Herstellung einfacher Wollteppiche durch Hand-
Weberei, wird uoch immer geübt; unsre Padrona zeigte uns eine von ihr selbst
gewebte Probe, die ich gern gekauft Hütte; doch fürchtete ich das Anschwellen
des Reisegepäcks. Herrlich war die Ausfahrt aus der alten Bischofstadt. Ein
riesiges Steinthor öffnete uns deu Blick nach Süden und Westen. Hoch über
uns auf steilem Rücken lag die Akropolis, vor uns ein reich mit Bäumen
bewachsener Abhang mit einzelnen Landhäusern und weiter hinaus die sein¬
geschwungnen Linien der benachbarten Hernikerberge. Die Fahrt durch die
Ebne in der Richtung gegen Alatri bot wieder viel Gelegenheit zum Studium
des Menschlichen und Allzumenschlichen. Das oben erwähnte Bild von Murillo
erlebte viele neue Auflagen: Mütter und Töchter mit solcher Osterbeschüftignng
saßen friedlich unter dem zarten Grün des sprossenden Weinstocks. Am meisten
aber staunte ich über die Hirten, die längs der Straße ihre Schafe und
Ziegen weideten. Sie waren vom Kopfe bis zu deu Füßen in braune oder
schwarze Bockfelle gekleidet, das zottige Haar nach außen. Da nun die Zotteln
des Fells auch über die Füße fielen und diese kleiner erscheinen ließen,
glaubte ich die leibhaftigen Sathrn der altitalischen Mythologie vor nur zu
sehen. Ihr Kostüm ist genau dasselbe wie vor zwei- bis dreitausend Jahren,
und da wohl auch die langohrige braune Bcrgziege seitdem ihre Nasse nicht
geändert hat, so genossen wir mit unendlichem Behagen ein köstliches Stück
antiker Landschaft mit echter Staffage. Was mußten diese wandelnden Bock-
gestalten für Heiterkeit erregen, wenn sie zu Festzeiten von ihren Bergen in
die Landstädte der Togaleute oder nach Rom selbst niederstiegen! Aus solchem
Heidentum führte uns eine Anzahl Nonnen zum Christentum zurück, die in
kleinen Gruppen die sonnige Straße dahinzogen, rund und behäbig; ihre weißen
und rosigen Gesichter hoben sich von der Bronzefarbe der Bockfellträger ab
wie Gänseblümchen vom braunen Kalkfelsen.

(Fortsetzung folgt)




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[0324] Frühlingstage am Garigliano Brot, Wein und Käse findet man da am frischesten, und die Wirtsleute sind durch ihren kaufmännischen Betrieb auch in der Regel zu größerer Sauberkeit und Aufmerksamkeit gegen den Fremden fortgeschritten. Veroli hat, wie fast jede antike Stadt Italiens, seinen Bischof und demnach auch seinen Dom hoch oben auf dem Rücken des Felsens. Aber uns fehlte die Zeit, bis in die obersten Teile des Felsennestes vorzudringen, zumal da wir die großartige Aussicht auch von dem Gasthof aus genossen. Die alte Haus¬ industrie der Einwohner, die Herstellung einfacher Wollteppiche durch Hand- Weberei, wird uoch immer geübt; unsre Padrona zeigte uns eine von ihr selbst gewebte Probe, die ich gern gekauft Hütte; doch fürchtete ich das Anschwellen des Reisegepäcks. Herrlich war die Ausfahrt aus der alten Bischofstadt. Ein riesiges Steinthor öffnete uns deu Blick nach Süden und Westen. Hoch über uns auf steilem Rücken lag die Akropolis, vor uns ein reich mit Bäumen bewachsener Abhang mit einzelnen Landhäusern und weiter hinaus die sein¬ geschwungnen Linien der benachbarten Hernikerberge. Die Fahrt durch die Ebne in der Richtung gegen Alatri bot wieder viel Gelegenheit zum Studium des Menschlichen und Allzumenschlichen. Das oben erwähnte Bild von Murillo erlebte viele neue Auflagen: Mütter und Töchter mit solcher Osterbeschüftignng saßen friedlich unter dem zarten Grün des sprossenden Weinstocks. Am meisten aber staunte ich über die Hirten, die längs der Straße ihre Schafe und Ziegen weideten. Sie waren vom Kopfe bis zu deu Füßen in braune oder schwarze Bockfelle gekleidet, das zottige Haar nach außen. Da nun die Zotteln des Fells auch über die Füße fielen und diese kleiner erscheinen ließen, glaubte ich die leibhaftigen Sathrn der altitalischen Mythologie vor nur zu sehen. Ihr Kostüm ist genau dasselbe wie vor zwei- bis dreitausend Jahren, und da wohl auch die langohrige braune Bcrgziege seitdem ihre Nasse nicht geändert hat, so genossen wir mit unendlichem Behagen ein köstliches Stück antiker Landschaft mit echter Staffage. Was mußten diese wandelnden Bock- gestalten für Heiterkeit erregen, wenn sie zu Festzeiten von ihren Bergen in die Landstädte der Togaleute oder nach Rom selbst niederstiegen! Aus solchem Heidentum führte uns eine Anzahl Nonnen zum Christentum zurück, die in kleinen Gruppen die sonnige Straße dahinzogen, rund und behäbig; ihre weißen und rosigen Gesichter hoben sich von der Bronzefarbe der Bockfellträger ab wie Gänseblümchen vom braunen Kalkfelsen. (Fortsetzung folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/324>, abgerufen am 16.05.2024.