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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Frühlingstage am Garigliano

den berühmten Wein von Genzano im Albanergebirge. Das Volk trinkt diesen
Wein gleich in den riesigen gewölbten Kellern, die die Weinbergsbesitzer von Alatri
unter ihren Häusern haben. Allsonntäglich werden diese Keller nach der Straße
zu geöffnet, und dann sieht man Bürger und Landleute mit Weib und Kind
behaglich schwatzend an roh gezimmerten Tischen und an Fässern darin sitzen,
ein köstliches Bild für einen niederländischen Maler -- und ein billiger Genuß;
denn das halbe Liter solchen Naturweins kostet drei Soldi (elf Pfennige). Wir
sahen in einem solchen Keller, wie ein eben ausgetrunknes Faß geöffnet wurde:
auf dem Boden lag eine dicke Schicht von Traubenschalen und Stielen; man
läßt diese auch nach der Gärung im Weine, damit er M torts werde. Dieses
ursprüngliche Verfahren erklärt aber zugleich, warum der wohlschmeckende Wein
doch nicht immer klar und vor allem nicht versendbar ist.

Die Stadt hat in ihrer Anlage, wie es scheint, den antiken Grundplan
bewahrt. Daher sind die Straßen ausfällig eng. Trotzdem ist Alatri saubrer
als manche Stadt von gleicher Lage. Aus dem spätern Mittelalter sind sogar
einige ansehnliche Palazzi übrig, die, natürlich in kleinern Verhältnissen, etwa
die Formen des florentinischen Bargcllo zeigen; die Fenster sind meist durch
eine romanische Säule geteilt, die Steine vom Alter geschwärzt. Die geöffneten
Thüren der Hauser erlauben ungenirte Blicke ins Innere. Auffallend sind
die junonischen Gestalten der Frauen von Alatri: über dem vielgefalteten
blauen oder roten Rock tragen sie eine grün- oder orangefarbne seidne Schürze,
über dem weißen mit roten Korallen und goldnen Ketten geschmückten Hemd
ein violettes Mieder, auf dem Kopfe eine viereckige, weiße Bedeckung. Am
schönsten trat Wuchs und Haltung hervor, wenn sie in solchem Schmucke, den
Wasserkrug auf dem Kopfe, zum Brunnen wandelten. Wie armselig und ge¬
künstelt erschienen mir nach solchen Bildern die Malermodelle und Blumen¬
mädchen an der spanischen Treppe in Rom!

Am tiefsten aber hat sich meinem Gedächtnis das Bild einer Alten
eingeprägt, die ich beim letzten Abendschein von der Oberstadt zur Locanda
niedersteigen sah. Es war ein Bild würdig des Pinsels eines Rafael oder
Sodoma. Der Zugang zu einem alten Hause war durch eine aus schwarzem
Tuffstein in zierlicher Bogenstellung gemauerte, nach drei Seiten offne Loggia
gebildet, zu der einige Stufen hinanführten. In der Mitte der Halle saß eine
alte Frau, ganz in ein linnenes Gewand von lichtblauer Farbe gekleidet, Stirn
und Haar wie das einer Priesterin mit weißen Binden umwunden, und spann
gelben Flachs am braunen Spinnrade. Die Konturen ihrer Gestalt und ihres
Kopfes hoben sich haarscharf von dem tiefblauen Abendhimmel ab, dem Hinter¬
grunde der offnen Loggia, und dieses Gemälde umgaben wieder die dunkeln
Steinbogen als Nahmen, wie ihn sich Pinturichio um seine Sienescr Fresken oder
Albertinelli um den berühmten "Besuch der Maria bei Elisabeth" komponirt
hat. Im ersten Augenblicke war mirs, als hätte ich eine der Parzen gesehen,


Frühlingstage am Garigliano

den berühmten Wein von Genzano im Albanergebirge. Das Volk trinkt diesen
Wein gleich in den riesigen gewölbten Kellern, die die Weinbergsbesitzer von Alatri
unter ihren Häusern haben. Allsonntäglich werden diese Keller nach der Straße
zu geöffnet, und dann sieht man Bürger und Landleute mit Weib und Kind
behaglich schwatzend an roh gezimmerten Tischen und an Fässern darin sitzen,
ein köstliches Bild für einen niederländischen Maler — und ein billiger Genuß;
denn das halbe Liter solchen Naturweins kostet drei Soldi (elf Pfennige). Wir
sahen in einem solchen Keller, wie ein eben ausgetrunknes Faß geöffnet wurde:
auf dem Boden lag eine dicke Schicht von Traubenschalen und Stielen; man
läßt diese auch nach der Gärung im Weine, damit er M torts werde. Dieses
ursprüngliche Verfahren erklärt aber zugleich, warum der wohlschmeckende Wein
doch nicht immer klar und vor allem nicht versendbar ist.

Die Stadt hat in ihrer Anlage, wie es scheint, den antiken Grundplan
bewahrt. Daher sind die Straßen ausfällig eng. Trotzdem ist Alatri saubrer
als manche Stadt von gleicher Lage. Aus dem spätern Mittelalter sind sogar
einige ansehnliche Palazzi übrig, die, natürlich in kleinern Verhältnissen, etwa
die Formen des florentinischen Bargcllo zeigen; die Fenster sind meist durch
eine romanische Säule geteilt, die Steine vom Alter geschwärzt. Die geöffneten
Thüren der Hauser erlauben ungenirte Blicke ins Innere. Auffallend sind
die junonischen Gestalten der Frauen von Alatri: über dem vielgefalteten
blauen oder roten Rock tragen sie eine grün- oder orangefarbne seidne Schürze,
über dem weißen mit roten Korallen und goldnen Ketten geschmückten Hemd
ein violettes Mieder, auf dem Kopfe eine viereckige, weiße Bedeckung. Am
schönsten trat Wuchs und Haltung hervor, wenn sie in solchem Schmucke, den
Wasserkrug auf dem Kopfe, zum Brunnen wandelten. Wie armselig und ge¬
künstelt erschienen mir nach solchen Bildern die Malermodelle und Blumen¬
mädchen an der spanischen Treppe in Rom!

Am tiefsten aber hat sich meinem Gedächtnis das Bild einer Alten
eingeprägt, die ich beim letzten Abendschein von der Oberstadt zur Locanda
niedersteigen sah. Es war ein Bild würdig des Pinsels eines Rafael oder
Sodoma. Der Zugang zu einem alten Hause war durch eine aus schwarzem
Tuffstein in zierlicher Bogenstellung gemauerte, nach drei Seiten offne Loggia
gebildet, zu der einige Stufen hinanführten. In der Mitte der Halle saß eine
alte Frau, ganz in ein linnenes Gewand von lichtblauer Farbe gekleidet, Stirn
und Haar wie das einer Priesterin mit weißen Binden umwunden, und spann
gelben Flachs am braunen Spinnrade. Die Konturen ihrer Gestalt und ihres
Kopfes hoben sich haarscharf von dem tiefblauen Abendhimmel ab, dem Hinter¬
grunde der offnen Loggia, und dieses Gemälde umgaben wieder die dunkeln
Steinbogen als Nahmen, wie ihn sich Pinturichio um seine Sienescr Fresken oder
Albertinelli um den berühmten „Besuch der Maria bei Elisabeth" komponirt
hat. Im ersten Augenblicke war mirs, als hätte ich eine der Parzen gesehen,


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[0363] Frühlingstage am Garigliano den berühmten Wein von Genzano im Albanergebirge. Das Volk trinkt diesen Wein gleich in den riesigen gewölbten Kellern, die die Weinbergsbesitzer von Alatri unter ihren Häusern haben. Allsonntäglich werden diese Keller nach der Straße zu geöffnet, und dann sieht man Bürger und Landleute mit Weib und Kind behaglich schwatzend an roh gezimmerten Tischen und an Fässern darin sitzen, ein köstliches Bild für einen niederländischen Maler — und ein billiger Genuß; denn das halbe Liter solchen Naturweins kostet drei Soldi (elf Pfennige). Wir sahen in einem solchen Keller, wie ein eben ausgetrunknes Faß geöffnet wurde: auf dem Boden lag eine dicke Schicht von Traubenschalen und Stielen; man läßt diese auch nach der Gärung im Weine, damit er M torts werde. Dieses ursprüngliche Verfahren erklärt aber zugleich, warum der wohlschmeckende Wein doch nicht immer klar und vor allem nicht versendbar ist. Die Stadt hat in ihrer Anlage, wie es scheint, den antiken Grundplan bewahrt. Daher sind die Straßen ausfällig eng. Trotzdem ist Alatri saubrer als manche Stadt von gleicher Lage. Aus dem spätern Mittelalter sind sogar einige ansehnliche Palazzi übrig, die, natürlich in kleinern Verhältnissen, etwa die Formen des florentinischen Bargcllo zeigen; die Fenster sind meist durch eine romanische Säule geteilt, die Steine vom Alter geschwärzt. Die geöffneten Thüren der Hauser erlauben ungenirte Blicke ins Innere. Auffallend sind die junonischen Gestalten der Frauen von Alatri: über dem vielgefalteten blauen oder roten Rock tragen sie eine grün- oder orangefarbne seidne Schürze, über dem weißen mit roten Korallen und goldnen Ketten geschmückten Hemd ein violettes Mieder, auf dem Kopfe eine viereckige, weiße Bedeckung. Am schönsten trat Wuchs und Haltung hervor, wenn sie in solchem Schmucke, den Wasserkrug auf dem Kopfe, zum Brunnen wandelten. Wie armselig und ge¬ künstelt erschienen mir nach solchen Bildern die Malermodelle und Blumen¬ mädchen an der spanischen Treppe in Rom! Am tiefsten aber hat sich meinem Gedächtnis das Bild einer Alten eingeprägt, die ich beim letzten Abendschein von der Oberstadt zur Locanda niedersteigen sah. Es war ein Bild würdig des Pinsels eines Rafael oder Sodoma. Der Zugang zu einem alten Hause war durch eine aus schwarzem Tuffstein in zierlicher Bogenstellung gemauerte, nach drei Seiten offne Loggia gebildet, zu der einige Stufen hinanführten. In der Mitte der Halle saß eine alte Frau, ganz in ein linnenes Gewand von lichtblauer Farbe gekleidet, Stirn und Haar wie das einer Priesterin mit weißen Binden umwunden, und spann gelben Flachs am braunen Spinnrade. Die Konturen ihrer Gestalt und ihres Kopfes hoben sich haarscharf von dem tiefblauen Abendhimmel ab, dem Hinter¬ grunde der offnen Loggia, und dieses Gemälde umgaben wieder die dunkeln Steinbogen als Nahmen, wie ihn sich Pinturichio um seine Sienescr Fresken oder Albertinelli um den berühmten „Besuch der Maria bei Elisabeth" komponirt hat. Im ersten Augenblicke war mirs, als hätte ich eine der Parzen gesehen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/363>, abgerufen am 16.05.2024.