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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Die große Runstausstellung in Berlin

too sig'in) viiioss! gegeben hat. Es ist der Triumph des Kreuzes über die
Dämonen der Finsternis und der Sünde, die durch den kopflings herab¬
stürzenden Luzifer personifizirt werden, der unten einem lauernden Drachen
zum Opfer wird. Die aus vergoldetem Silber gebildeten Gestalten sind mit
großem Kompositionsgeschick um eine Säule herumgewunden, ans deren oberer
Platte eine ans Elfenbein geschnitzte weibliche Figur steht, deren schlanke
Lenden von einem Panzer umgürtet sind. Ihre Rechte erhebt ein schwertartig
gebildetes, mit Edelsteinen besetztes Kreuz. Hier überschreitet die Elfenbeinfigur
nicht die Grenzen, an die wir gewöhnt sind, und alle Feinheiten, die wir an
den Elfenbeinschnitzereien des siebzehnten Jahrhunderts und an den modernen
Wiener und Berliner Arbeiten bewundern, kommen hier zur schönsten Geltung.
Die Goldelfenbeinknnst in großem Stile ist aber durch die an und für sich
sehr dankenswerten Bemühungen der Belgier noch nicht über die ersten, nur
mäßig befriedigenden Versuche hinaus gediehen.

In der Gruppe In, live siguo ?we,of! wie in der geheimnisvollen
Sphinx macht sich ein Hang zum Mystizismus und Symbolismus bemerkbar,
der auch in andern Werken des belgischen Kiinstlers hervortritt. Eine weib¬
liche Büste mit nach rechts gewandtem Kopf, dessen harte Züge von unbarm¬
herziger Kälte und grausamer Entschlossenheit zeugen, nennt er l'iinperisusö
(Äiiinörs, das auf deutsch ungefähr eine Chimäre bedeutet, der sich der Unglück¬
liche, in dessen Kopfe sie sich einmal festgesetzt hat, nicht mehr entziehen kann.
Außer dein Kopf und den Schultern ist nur die rechte Hand, die vorn auf der
Brust das Hemd zusammenhält, sorgfältiger durchgebildet. Unter ist die Büste
nur skizzirt; aber aus demi roh behandelten Gips tauchen noch in nebelhaften
Umrissen die Oberkörper zweier weiblichen Gestalten auf, die vermutlich auch
etwas chimürenhaftes symbolisiren sollen! Eine liegende weibliche Gestalt, die
unterwärts von Wellen umspült wird, ist eine Personifikation des Meeres.
Aber der Künstler begnügt sich nicht mit dieser allgemein verständlichen Sym¬
bolik. Die Gestalt breitet auch beide Arme aus, die Hände öffnen sich, und die
Finger strecken sich wie Krallen aus. Damit soll die unersättliche Gier des alles
verschlingenden Meeres veranschaulicht werden, auf die auch der geöffnete
Mund des Weibes deutet!

Charles van der Stcippen mare aber ebenso einseitig wie Meunier, wenn
er nur Symbolist und Mystiker wäre. Er ist als Porträtbildner ein Realist
von höchster Lebendigkeit und Schürfe der Charakteristik, wie außer mehreren
Bildnisbüsten und Reliefs besonders die halblebensgrvße Brvnzestatue Wil¬
helms des Schweigsamen bezeugt. Was ihn aber weit über Meunier erhebt,
ist der Reichtum und die Kühnheit seiner Phantasie. In Berlin lernen wir
sie nur aus zwei Tafelaufsätzen kennen, deren einer, aus mehreren Teilen be¬
stehend, in dem überreich bewegten figürlichen Beiwerk die Legenden und Zünfte
der Stadt Brüssel darstellt, überragt von dem Erzengel Michael, dem Schutz-


Die große Runstausstellung in Berlin

too sig'in) viiioss! gegeben hat. Es ist der Triumph des Kreuzes über die
Dämonen der Finsternis und der Sünde, die durch den kopflings herab¬
stürzenden Luzifer personifizirt werden, der unten einem lauernden Drachen
zum Opfer wird. Die aus vergoldetem Silber gebildeten Gestalten sind mit
großem Kompositionsgeschick um eine Säule herumgewunden, ans deren oberer
Platte eine ans Elfenbein geschnitzte weibliche Figur steht, deren schlanke
Lenden von einem Panzer umgürtet sind. Ihre Rechte erhebt ein schwertartig
gebildetes, mit Edelsteinen besetztes Kreuz. Hier überschreitet die Elfenbeinfigur
nicht die Grenzen, an die wir gewöhnt sind, und alle Feinheiten, die wir an
den Elfenbeinschnitzereien des siebzehnten Jahrhunderts und an den modernen
Wiener und Berliner Arbeiten bewundern, kommen hier zur schönsten Geltung.
Die Goldelfenbeinknnst in großem Stile ist aber durch die an und für sich
sehr dankenswerten Bemühungen der Belgier noch nicht über die ersten, nur
mäßig befriedigenden Versuche hinaus gediehen.

In der Gruppe In, live siguo ?we,of! wie in der geheimnisvollen
Sphinx macht sich ein Hang zum Mystizismus und Symbolismus bemerkbar,
der auch in andern Werken des belgischen Kiinstlers hervortritt. Eine weib¬
liche Büste mit nach rechts gewandtem Kopf, dessen harte Züge von unbarm¬
herziger Kälte und grausamer Entschlossenheit zeugen, nennt er l'iinperisusö
(Äiiinörs, das auf deutsch ungefähr eine Chimäre bedeutet, der sich der Unglück¬
liche, in dessen Kopfe sie sich einmal festgesetzt hat, nicht mehr entziehen kann.
Außer dein Kopf und den Schultern ist nur die rechte Hand, die vorn auf der
Brust das Hemd zusammenhält, sorgfältiger durchgebildet. Unter ist die Büste
nur skizzirt; aber aus demi roh behandelten Gips tauchen noch in nebelhaften
Umrissen die Oberkörper zweier weiblichen Gestalten auf, die vermutlich auch
etwas chimürenhaftes symbolisiren sollen! Eine liegende weibliche Gestalt, die
unterwärts von Wellen umspült wird, ist eine Personifikation des Meeres.
Aber der Künstler begnügt sich nicht mit dieser allgemein verständlichen Sym¬
bolik. Die Gestalt breitet auch beide Arme aus, die Hände öffnen sich, und die
Finger strecken sich wie Krallen aus. Damit soll die unersättliche Gier des alles
verschlingenden Meeres veranschaulicht werden, auf die auch der geöffnete
Mund des Weibes deutet!

Charles van der Stcippen mare aber ebenso einseitig wie Meunier, wenn
er nur Symbolist und Mystiker wäre. Er ist als Porträtbildner ein Realist
von höchster Lebendigkeit und Schürfe der Charakteristik, wie außer mehreren
Bildnisbüsten und Reliefs besonders die halblebensgrvße Brvnzestatue Wil¬
helms des Schweigsamen bezeugt. Was ihn aber weit über Meunier erhebt,
ist der Reichtum und die Kühnheit seiner Phantasie. In Berlin lernen wir
sie nur aus zwei Tafelaufsätzen kennen, deren einer, aus mehreren Teilen be¬
stehend, in dem überreich bewegten figürlichen Beiwerk die Legenden und Zünfte
der Stadt Brüssel darstellt, überragt von dem Erzengel Michael, dem Schutz-


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[0037] Die große Runstausstellung in Berlin too sig'in) viiioss! gegeben hat. Es ist der Triumph des Kreuzes über die Dämonen der Finsternis und der Sünde, die durch den kopflings herab¬ stürzenden Luzifer personifizirt werden, der unten einem lauernden Drachen zum Opfer wird. Die aus vergoldetem Silber gebildeten Gestalten sind mit großem Kompositionsgeschick um eine Säule herumgewunden, ans deren oberer Platte eine ans Elfenbein geschnitzte weibliche Figur steht, deren schlanke Lenden von einem Panzer umgürtet sind. Ihre Rechte erhebt ein schwertartig gebildetes, mit Edelsteinen besetztes Kreuz. Hier überschreitet die Elfenbeinfigur nicht die Grenzen, an die wir gewöhnt sind, und alle Feinheiten, die wir an den Elfenbeinschnitzereien des siebzehnten Jahrhunderts und an den modernen Wiener und Berliner Arbeiten bewundern, kommen hier zur schönsten Geltung. Die Goldelfenbeinknnst in großem Stile ist aber durch die an und für sich sehr dankenswerten Bemühungen der Belgier noch nicht über die ersten, nur mäßig befriedigenden Versuche hinaus gediehen. In der Gruppe In, live siguo ?we,of! wie in der geheimnisvollen Sphinx macht sich ein Hang zum Mystizismus und Symbolismus bemerkbar, der auch in andern Werken des belgischen Kiinstlers hervortritt. Eine weib¬ liche Büste mit nach rechts gewandtem Kopf, dessen harte Züge von unbarm¬ herziger Kälte und grausamer Entschlossenheit zeugen, nennt er l'iinperisusö (Äiiinörs, das auf deutsch ungefähr eine Chimäre bedeutet, der sich der Unglück¬ liche, in dessen Kopfe sie sich einmal festgesetzt hat, nicht mehr entziehen kann. Außer dein Kopf und den Schultern ist nur die rechte Hand, die vorn auf der Brust das Hemd zusammenhält, sorgfältiger durchgebildet. Unter ist die Büste nur skizzirt; aber aus demi roh behandelten Gips tauchen noch in nebelhaften Umrissen die Oberkörper zweier weiblichen Gestalten auf, die vermutlich auch etwas chimürenhaftes symbolisiren sollen! Eine liegende weibliche Gestalt, die unterwärts von Wellen umspült wird, ist eine Personifikation des Meeres. Aber der Künstler begnügt sich nicht mit dieser allgemein verständlichen Sym¬ bolik. Die Gestalt breitet auch beide Arme aus, die Hände öffnen sich, und die Finger strecken sich wie Krallen aus. Damit soll die unersättliche Gier des alles verschlingenden Meeres veranschaulicht werden, auf die auch der geöffnete Mund des Weibes deutet! Charles van der Stcippen mare aber ebenso einseitig wie Meunier, wenn er nur Symbolist und Mystiker wäre. Er ist als Porträtbildner ein Realist von höchster Lebendigkeit und Schürfe der Charakteristik, wie außer mehreren Bildnisbüsten und Reliefs besonders die halblebensgrvße Brvnzestatue Wil¬ helms des Schweigsamen bezeugt. Was ihn aber weit über Meunier erhebt, ist der Reichtum und die Kühnheit seiner Phantasie. In Berlin lernen wir sie nur aus zwei Tafelaufsätzen kennen, deren einer, aus mehreren Teilen be¬ stehend, in dem überreich bewegten figürlichen Beiwerk die Legenden und Zünfte der Stadt Brüssel darstellt, überragt von dem Erzengel Michael, dem Schutz-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/37>, abgerufen am 16.05.2024.