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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Volkskonzerte

ist, beweist sie nur den Eindruck dieses einen Themas -- aber nichts für
das Verständnis des ganzen Werks oder größerer Abschnitte daraus.

Auf die spätere Sinfoniekomposition braucht hier nicht weiter eingegangen
zu werden. Soweit sie Beethoven (im Gesamtergebnis mit viel schwächerer
Kraft, teilweise in ohnmächtigem Ringen) folgt, ändert sie nichts an der Sache.
Soweit sie ihm ausweicht, sich in Erkenntnis der Verlegenheit in die Schilde¬
rung von Außenwelt, von Historie und zum sogenannten Programm flüchtet,
kann man sich ihr ja nach Einsicht und Geschmack sehr verschieden gegenüber¬
stellen. Aber eins können ihr auch die wärmsten Freunde nicht nachrühmen:
vvraussetzuugslose Gemeinverständlichkeit und Volkstümlichkeit. Unsre heutigen
Abonnementkonzerte sind aber in erster Linie Konzerte, in denen Sinfonien
und ihr verwandte Jnstrumentalformen gepflegt werden. Da sie damit den
größten Teil ihrer Besucher vor Aufgaben stellen, denen er nicht gewachsen
ist, bringen sie natürlich auch nicht den Nutzen, den sie von Haus aus haben
könnten. Namentlich darin liegt ihre Gefahr, daß sie die musikalische Heuchelei
fördern. Mehr uoch als der Fachmusiker sieht der unbefangne Laie ihnen
schon heute eine gewisse Entartung an. Sie äußert sich, am deutlichsten
darin, daß sich das Hauptinteresse an diesen Konzerten von den Kunstwerken
ab und den ausführenden Persönlichkeiten, den Äußerlichkeiten zuwendet. Wie
haben die Deutschen vor sechzig, vor dreißig Jahren über die amerikanischen
Barnums und Ullmanns gelacht! Und heute haben wir dieses unselige Star¬
system mit seinen demoralisirenden und verheerenden Wirkungen bei uns zu
Lande in schönster Blüte. Ja die Berliner Drahtzieher, die seit Jahren für
die deutsche Musik das Wetter machen, bestellen höchst ungenirt ihren Stern¬
himmel mit bloßen Schnuppen und mit Imitationen. Das bedauerliche an
diesem Treiben liegt in der Thatsache, daß auch Leute, die durch ihre Stellung
zu eignem Urteil und Geschmack verpflichtet wären, immer mehr das Echte vom
Falschen zu unterscheiden verlernen, und daß sie den Tanz um die gemachten
"Weltberühmtheitcn" eifrig mittanzen. Die letzte Hilfe wird der Journalisten¬
oder der Juristentag sein müssen.

Man kann, wie sich diese Verhältnisse auch weiter entwickeln mögen,
keinesfalls wünsche", daß unser Volk mit einem derartigen Baalsdienst
beglückt werde. Überhaupt irren unsre Philanthropen in der Annahme, daß
die unbemittelten Klassen musikalisch so gar schlecht gestellt und notleidend
seien. Sie haben wenig Gelegenheit, beim Klang kunstvoller Sinfoniesätze ihre
Gedanken spazieren zu führen und zu träumen, wenig Anlage dazu, für posireude,
schauspielernde Dirigenten zu schwärmen, schreiende Primadonnen zu bewundern,
Klaviere zerschlagende Vertreterinnen des zarten Geschlechts anzustaunen. Sie
bescheiden sich mit Tänzen und Märschen, mit oft rohen Arrangements von
Liedern und Opernstücken. Aber ihre Freude ist immer echt und ruht wohl¬
begründet ans einer Musik, die Lust und Schmerz klar äußert, die einmal


Volkskonzerte

ist, beweist sie nur den Eindruck dieses einen Themas — aber nichts für
das Verständnis des ganzen Werks oder größerer Abschnitte daraus.

Auf die spätere Sinfoniekomposition braucht hier nicht weiter eingegangen
zu werden. Soweit sie Beethoven (im Gesamtergebnis mit viel schwächerer
Kraft, teilweise in ohnmächtigem Ringen) folgt, ändert sie nichts an der Sache.
Soweit sie ihm ausweicht, sich in Erkenntnis der Verlegenheit in die Schilde¬
rung von Außenwelt, von Historie und zum sogenannten Programm flüchtet,
kann man sich ihr ja nach Einsicht und Geschmack sehr verschieden gegenüber¬
stellen. Aber eins können ihr auch die wärmsten Freunde nicht nachrühmen:
vvraussetzuugslose Gemeinverständlichkeit und Volkstümlichkeit. Unsre heutigen
Abonnementkonzerte sind aber in erster Linie Konzerte, in denen Sinfonien
und ihr verwandte Jnstrumentalformen gepflegt werden. Da sie damit den
größten Teil ihrer Besucher vor Aufgaben stellen, denen er nicht gewachsen
ist, bringen sie natürlich auch nicht den Nutzen, den sie von Haus aus haben
könnten. Namentlich darin liegt ihre Gefahr, daß sie die musikalische Heuchelei
fördern. Mehr uoch als der Fachmusiker sieht der unbefangne Laie ihnen
schon heute eine gewisse Entartung an. Sie äußert sich, am deutlichsten
darin, daß sich das Hauptinteresse an diesen Konzerten von den Kunstwerken
ab und den ausführenden Persönlichkeiten, den Äußerlichkeiten zuwendet. Wie
haben die Deutschen vor sechzig, vor dreißig Jahren über die amerikanischen
Barnums und Ullmanns gelacht! Und heute haben wir dieses unselige Star¬
system mit seinen demoralisirenden und verheerenden Wirkungen bei uns zu
Lande in schönster Blüte. Ja die Berliner Drahtzieher, die seit Jahren für
die deutsche Musik das Wetter machen, bestellen höchst ungenirt ihren Stern¬
himmel mit bloßen Schnuppen und mit Imitationen. Das bedauerliche an
diesem Treiben liegt in der Thatsache, daß auch Leute, die durch ihre Stellung
zu eignem Urteil und Geschmack verpflichtet wären, immer mehr das Echte vom
Falschen zu unterscheiden verlernen, und daß sie den Tanz um die gemachten
„Weltberühmtheitcn" eifrig mittanzen. Die letzte Hilfe wird der Journalisten¬
oder der Juristentag sein müssen.

Man kann, wie sich diese Verhältnisse auch weiter entwickeln mögen,
keinesfalls wünsche», daß unser Volk mit einem derartigen Baalsdienst
beglückt werde. Überhaupt irren unsre Philanthropen in der Annahme, daß
die unbemittelten Klassen musikalisch so gar schlecht gestellt und notleidend
seien. Sie haben wenig Gelegenheit, beim Klang kunstvoller Sinfoniesätze ihre
Gedanken spazieren zu führen und zu träumen, wenig Anlage dazu, für posireude,
schauspielernde Dirigenten zu schwärmen, schreiende Primadonnen zu bewundern,
Klaviere zerschlagende Vertreterinnen des zarten Geschlechts anzustaunen. Sie
bescheiden sich mit Tänzen und Märschen, mit oft rohen Arrangements von
Liedern und Opernstücken. Aber ihre Freude ist immer echt und ruht wohl¬
begründet ans einer Musik, die Lust und Schmerz klar äußert, die einmal


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[0043] Volkskonzerte ist, beweist sie nur den Eindruck dieses einen Themas — aber nichts für das Verständnis des ganzen Werks oder größerer Abschnitte daraus. Auf die spätere Sinfoniekomposition braucht hier nicht weiter eingegangen zu werden. Soweit sie Beethoven (im Gesamtergebnis mit viel schwächerer Kraft, teilweise in ohnmächtigem Ringen) folgt, ändert sie nichts an der Sache. Soweit sie ihm ausweicht, sich in Erkenntnis der Verlegenheit in die Schilde¬ rung von Außenwelt, von Historie und zum sogenannten Programm flüchtet, kann man sich ihr ja nach Einsicht und Geschmack sehr verschieden gegenüber¬ stellen. Aber eins können ihr auch die wärmsten Freunde nicht nachrühmen: vvraussetzuugslose Gemeinverständlichkeit und Volkstümlichkeit. Unsre heutigen Abonnementkonzerte sind aber in erster Linie Konzerte, in denen Sinfonien und ihr verwandte Jnstrumentalformen gepflegt werden. Da sie damit den größten Teil ihrer Besucher vor Aufgaben stellen, denen er nicht gewachsen ist, bringen sie natürlich auch nicht den Nutzen, den sie von Haus aus haben könnten. Namentlich darin liegt ihre Gefahr, daß sie die musikalische Heuchelei fördern. Mehr uoch als der Fachmusiker sieht der unbefangne Laie ihnen schon heute eine gewisse Entartung an. Sie äußert sich, am deutlichsten darin, daß sich das Hauptinteresse an diesen Konzerten von den Kunstwerken ab und den ausführenden Persönlichkeiten, den Äußerlichkeiten zuwendet. Wie haben die Deutschen vor sechzig, vor dreißig Jahren über die amerikanischen Barnums und Ullmanns gelacht! Und heute haben wir dieses unselige Star¬ system mit seinen demoralisirenden und verheerenden Wirkungen bei uns zu Lande in schönster Blüte. Ja die Berliner Drahtzieher, die seit Jahren für die deutsche Musik das Wetter machen, bestellen höchst ungenirt ihren Stern¬ himmel mit bloßen Schnuppen und mit Imitationen. Das bedauerliche an diesem Treiben liegt in der Thatsache, daß auch Leute, die durch ihre Stellung zu eignem Urteil und Geschmack verpflichtet wären, immer mehr das Echte vom Falschen zu unterscheiden verlernen, und daß sie den Tanz um die gemachten „Weltberühmtheitcn" eifrig mittanzen. Die letzte Hilfe wird der Journalisten¬ oder der Juristentag sein müssen. Man kann, wie sich diese Verhältnisse auch weiter entwickeln mögen, keinesfalls wünsche», daß unser Volk mit einem derartigen Baalsdienst beglückt werde. Überhaupt irren unsre Philanthropen in der Annahme, daß die unbemittelten Klassen musikalisch so gar schlecht gestellt und notleidend seien. Sie haben wenig Gelegenheit, beim Klang kunstvoller Sinfoniesätze ihre Gedanken spazieren zu führen und zu träumen, wenig Anlage dazu, für posireude, schauspielernde Dirigenten zu schwärmen, schreiende Primadonnen zu bewundern, Klaviere zerschlagende Vertreterinnen des zarten Geschlechts anzustaunen. Sie bescheiden sich mit Tänzen und Märschen, mit oft rohen Arrangements von Liedern und Opernstücken. Aber ihre Freude ist immer echt und ruht wohl¬ begründet ans einer Musik, die Lust und Schmerz klar äußert, die einmal

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/43>, abgerufen am 16.05.2024.