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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Betrachtungen über das Drama, insbesondre das deutsche

Sara, Schröder als Dramatiker, die Oomeäio Ig.riuoznntö, Minna von Barn¬
helm, Emilia Galotti und Sturm und Drang, den jungen Schiller nebst
Jffland und Kotzebue, und endlich den Ausgang des Dramas im neunzehnten
Jahrhundert bis auf Hebbels Maria Magdalena. Dieser letzte Abschnitt ist
recht dürftig. Etwas neues oder besonders bemerkenswertes enthalten auch die
übrigen nicht, wie denn auch das Buch als Ganzes keine Lücke ausfüllt, da
über diese Dinge schon oft ähnlich und ausreichend gehandelt worden ist.
Aber der Verfasser schreibt leicht und angenehm, und wer sich über den Gegen¬
stand unterrichten will, wird das Buch gern lesen.

Da die Modernen den Monolog zum alten Plunder werfen, so haben die
historisch gestimmten Menschen doppelt Grund, daß sie sich darüber klar zu
werden suchen, wie wertvoll ihnen dieses Besitzstück ist. Ein dankbarer Gegen¬
stand der Betrachtung ist Lessings Monolog. Davon handelt eine Doktorarbeit
Friedrich Düsels (Der dramatische Monolog usw., Ur. XIV der theater¬
geschichtlichen Forschungen von Litzmann, Hamburg und Leipzig, Voß). Der
Verfasser will den Monolog durch die ganze neuere deutsche Litteratur ver¬
folgen. Es wäre zu wünschen, daß er sich dabei etwas kürzer fassen möchte,
desto nützlicher wird seine Arbeit sein, denn Gründlichkeit braucht nicht in
Kleinkram auszuarten. Bis dahin und wenn er bis zur Behandlung des
"großen Theatralikers Sudermann" vordringen sollte, wird er dann auch
hoffentlich eingesehen haben, daß Jugend zwar kein Fehler, aber ein Über¬
gangszustand ist, auf den die Reife zu folgen hat; vielleicht wäre es auch
Sache des Herausgebers derartiger Sammelschriften, diese Erkenntnis be¬
schleunigen zu helfen. Die Schrift enthält im übrigen viel Gutes. Der Hin¬
weis auf die gleichzeitige poetische Theorie ist nützlich, Hütte aber kürzer ge¬
geben werden können. Wir teilen nnn einige Beobachtungen über Lessings
Monologe mit. In den Jugendtraum ist der Monolog noch ungepflegt und
unkünstlerisch, neben ihm her geht üppig wuchernd das "seitab" oder ü. pu-t,
das Lessing von den Franzosen nahm. Erst später lernte der Hamburgische
Dramaturg, daß die Heimat des Aparte das spanische Theater war, und
dann verhöhnte er es als ungereimt und geschmacklos. Damals aber bei den
verworrnen Verwicklungen seiner Jugendstücke konnte er dieses bequeme Mittel
zur Belehrung der Zuschauer noch nicht entbehren. Die Kunst, die er dann
zuerst in den Monologen seiner Sara zeigt, besteht nicht in schöner, hoher
Rede, sondern in natürlicher, so wie sie sich in dem denkenden Menschen von
selbst entwickelt, sie neigt zum Dialogischen, zwei Personen unterhalten sich
gewissermaßen miteinander, Unterbrechungen und häufige Gedankenstriche geben
den Charakter des Natürlichen, ebenso Apostrophen. Gesteigert wird dies Ver¬
fahren im Philotas, wieder ermäßigt in Minna von Barnhelm, wo aber der
Monolog keinen großen Raum einnimmt; die glückliche Mischung von Natur
und Kunst hat hier schon früh Bewunderung erweckt. In der Emilia entspricht


Grenzboten IV 1898 I!"
Betrachtungen über das Drama, insbesondre das deutsche

Sara, Schröder als Dramatiker, die Oomeäio Ig.riuoznntö, Minna von Barn¬
helm, Emilia Galotti und Sturm und Drang, den jungen Schiller nebst
Jffland und Kotzebue, und endlich den Ausgang des Dramas im neunzehnten
Jahrhundert bis auf Hebbels Maria Magdalena. Dieser letzte Abschnitt ist
recht dürftig. Etwas neues oder besonders bemerkenswertes enthalten auch die
übrigen nicht, wie denn auch das Buch als Ganzes keine Lücke ausfüllt, da
über diese Dinge schon oft ähnlich und ausreichend gehandelt worden ist.
Aber der Verfasser schreibt leicht und angenehm, und wer sich über den Gegen¬
stand unterrichten will, wird das Buch gern lesen.

Da die Modernen den Monolog zum alten Plunder werfen, so haben die
historisch gestimmten Menschen doppelt Grund, daß sie sich darüber klar zu
werden suchen, wie wertvoll ihnen dieses Besitzstück ist. Ein dankbarer Gegen¬
stand der Betrachtung ist Lessings Monolog. Davon handelt eine Doktorarbeit
Friedrich Düsels (Der dramatische Monolog usw., Ur. XIV der theater¬
geschichtlichen Forschungen von Litzmann, Hamburg und Leipzig, Voß). Der
Verfasser will den Monolog durch die ganze neuere deutsche Litteratur ver¬
folgen. Es wäre zu wünschen, daß er sich dabei etwas kürzer fassen möchte,
desto nützlicher wird seine Arbeit sein, denn Gründlichkeit braucht nicht in
Kleinkram auszuarten. Bis dahin und wenn er bis zur Behandlung des
„großen Theatralikers Sudermann" vordringen sollte, wird er dann auch
hoffentlich eingesehen haben, daß Jugend zwar kein Fehler, aber ein Über¬
gangszustand ist, auf den die Reife zu folgen hat; vielleicht wäre es auch
Sache des Herausgebers derartiger Sammelschriften, diese Erkenntnis be¬
schleunigen zu helfen. Die Schrift enthält im übrigen viel Gutes. Der Hin¬
weis auf die gleichzeitige poetische Theorie ist nützlich, Hütte aber kürzer ge¬
geben werden können. Wir teilen nnn einige Beobachtungen über Lessings
Monologe mit. In den Jugendtraum ist der Monolog noch ungepflegt und
unkünstlerisch, neben ihm her geht üppig wuchernd das „seitab" oder ü. pu-t,
das Lessing von den Franzosen nahm. Erst später lernte der Hamburgische
Dramaturg, daß die Heimat des Aparte das spanische Theater war, und
dann verhöhnte er es als ungereimt und geschmacklos. Damals aber bei den
verworrnen Verwicklungen seiner Jugendstücke konnte er dieses bequeme Mittel
zur Belehrung der Zuschauer noch nicht entbehren. Die Kunst, die er dann
zuerst in den Monologen seiner Sara zeigt, besteht nicht in schöner, hoher
Rede, sondern in natürlicher, so wie sie sich in dem denkenden Menschen von
selbst entwickelt, sie neigt zum Dialogischen, zwei Personen unterhalten sich
gewissermaßen miteinander, Unterbrechungen und häufige Gedankenstriche geben
den Charakter des Natürlichen, ebenso Apostrophen. Gesteigert wird dies Ver¬
fahren im Philotas, wieder ermäßigt in Minna von Barnhelm, wo aber der
Monolog keinen großen Raum einnimmt; die glückliche Mischung von Natur
und Kunst hat hier schon früh Bewunderung erweckt. In der Emilia entspricht


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[0156] Betrachtungen über das Drama, insbesondre das deutsche Sara, Schröder als Dramatiker, die Oomeäio Ig.riuoznntö, Minna von Barn¬ helm, Emilia Galotti und Sturm und Drang, den jungen Schiller nebst Jffland und Kotzebue, und endlich den Ausgang des Dramas im neunzehnten Jahrhundert bis auf Hebbels Maria Magdalena. Dieser letzte Abschnitt ist recht dürftig. Etwas neues oder besonders bemerkenswertes enthalten auch die übrigen nicht, wie denn auch das Buch als Ganzes keine Lücke ausfüllt, da über diese Dinge schon oft ähnlich und ausreichend gehandelt worden ist. Aber der Verfasser schreibt leicht und angenehm, und wer sich über den Gegen¬ stand unterrichten will, wird das Buch gern lesen. Da die Modernen den Monolog zum alten Plunder werfen, so haben die historisch gestimmten Menschen doppelt Grund, daß sie sich darüber klar zu werden suchen, wie wertvoll ihnen dieses Besitzstück ist. Ein dankbarer Gegen¬ stand der Betrachtung ist Lessings Monolog. Davon handelt eine Doktorarbeit Friedrich Düsels (Der dramatische Monolog usw., Ur. XIV der theater¬ geschichtlichen Forschungen von Litzmann, Hamburg und Leipzig, Voß). Der Verfasser will den Monolog durch die ganze neuere deutsche Litteratur ver¬ folgen. Es wäre zu wünschen, daß er sich dabei etwas kürzer fassen möchte, desto nützlicher wird seine Arbeit sein, denn Gründlichkeit braucht nicht in Kleinkram auszuarten. Bis dahin und wenn er bis zur Behandlung des „großen Theatralikers Sudermann" vordringen sollte, wird er dann auch hoffentlich eingesehen haben, daß Jugend zwar kein Fehler, aber ein Über¬ gangszustand ist, auf den die Reife zu folgen hat; vielleicht wäre es auch Sache des Herausgebers derartiger Sammelschriften, diese Erkenntnis be¬ schleunigen zu helfen. Die Schrift enthält im übrigen viel Gutes. Der Hin¬ weis auf die gleichzeitige poetische Theorie ist nützlich, Hütte aber kürzer ge¬ geben werden können. Wir teilen nnn einige Beobachtungen über Lessings Monologe mit. In den Jugendtraum ist der Monolog noch ungepflegt und unkünstlerisch, neben ihm her geht üppig wuchernd das „seitab" oder ü. pu-t, das Lessing von den Franzosen nahm. Erst später lernte der Hamburgische Dramaturg, daß die Heimat des Aparte das spanische Theater war, und dann verhöhnte er es als ungereimt und geschmacklos. Damals aber bei den verworrnen Verwicklungen seiner Jugendstücke konnte er dieses bequeme Mittel zur Belehrung der Zuschauer noch nicht entbehren. Die Kunst, die er dann zuerst in den Monologen seiner Sara zeigt, besteht nicht in schöner, hoher Rede, sondern in natürlicher, so wie sie sich in dem denkenden Menschen von selbst entwickelt, sie neigt zum Dialogischen, zwei Personen unterhalten sich gewissermaßen miteinander, Unterbrechungen und häufige Gedankenstriche geben den Charakter des Natürlichen, ebenso Apostrophen. Gesteigert wird dies Ver¬ fahren im Philotas, wieder ermäßigt in Minna von Barnhelm, wo aber der Monolog keinen großen Raum einnimmt; die glückliche Mischung von Natur und Kunst hat hier schon früh Bewunderung erweckt. In der Emilia entspricht Grenzboten IV 1898 I!»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/156>, abgerufen am 15.05.2024.