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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Gedanke" eines Franzosen über Goethe

Vorwurf der Unehrlichkeit, wie immer fein umkleidet ("ich denke nicht daran,
Goethe die Ungenauigkeit seiner Chronologie vorzuwerfen"); er gründet sich
auf die nicht immer übereinstimmenden Äußerungen Goethes über den "Faust,"
die Zelter, Eckermann und Humboldt gegenüber gemacht wurden. Not legt
dabei nach unsrer Meinung zu viel Gewicht auf Eckermann, dem doch immer¬
hin mit einer gewissen Vorsicht zu begegnen ist, und vergißt zudem, daß
zwischen den einzelnen Äußerungen Jahre lagen. Interessant sind noch die
Bemerkungen, daß Goethe sich und andern vorgeredet habe, stetig an den
"Faust" gedacht zu haben, während er ihn längst vergessen hatte(!), und daß
Goethe selbst sein Werk (das er ja selbst immer als das "Hauptgeschäft" be¬
zeichnet) gar nicht sür so bedeutend gehalten und sich das erst nach der warmen
Aufnahme, die es fand, eingebildet habe. Eines Kommentars, den Rod ja so
verabscheut, bedarf es hierzu wohl nicht.

Nun folgen Roth eigne Gedanken über den "Faust," oder vielmehr, sie
folgen nicht, denn er hat keine. Man wollte sie denn in der wichtigen Ent¬
deckung finden, dem Werke fehlte die nuits, und in den Worten "Wer immer
strebend sich bemüht, den können wir erlösen," sei der Schlüssel zu Fausts
Rettung enthalten. Hätte Rod die bedeutender" Kommentare gelesen, so würde
er, was er allerdings nicht wahr haben will, gefunden haben, daß die Mehr¬
zahl die Goethische Erklärung der Grundidee zu der ihrigen gemacht hat.
Eine gewisse Einheitlichkeit gesteht Not dem "Faust" gnädig zu, indem diese
Grundidee das Werk wie ein Cement zusammenhalte. Hieraus konstruirt dann
Rod ein Lob, das allerdings wie immer sehr verklausulirt wird, während er
vorher folgendes sagt: lei, av. uroins, "n xsut aämirsr hö-us rsssrvs ig. Kran-
clvur als 1'g.reifes et an er^og-illsur, clöbout g. ont6 als 1'azuvrö g,en6vos cM
inearnö t-cento sein g-me. Was Not unter Sö-us reservs verstehen mag, haben
wir beim besten Willen nicht ergründen können. Die Walpurgisnacht ist
natürlich insuxxorwdlö. Auf zwei Punkte möchten wir noch hinweisen: die
Ansicht Roth, daß Gretchens Gestalt zwischen dem "Fragment" und der Aus¬
gabe von 1808 in den Hintergrund getreten und die neu hinzugefügten Szenen
minderwertig seien(!), und die Bemerkung, der Osterspaziergang sei erst spät
unter Schillers Einfluß entstanden. Manche Gründe lassen im Gegenteil
darauf schließen, daß ein großer Teil der Ausführung, jedenfalls aber die
Konzeption noch in die Frankfurter Zeit fällt; so die Erwähnung des Liedes
"Der Schäfer putzte sich zum Tanz" im "Wilhelm Meister," das zwar nur
mit der Anfangszeile angeführt wird, aber doch die Sängerin charakterisirt
und auf den Inhalt schließen läßt.

Nach diesen dürftigen "Gedanken" folgt unvermutet ein Sprung auf den
Dichter selbst, dessen Größe sich gleichfalls in den Versen


Wer immer strebend sich bemüht
Den können wir erlösen,

Gedanke» eines Franzosen über Goethe

Vorwurf der Unehrlichkeit, wie immer fein umkleidet („ich denke nicht daran,
Goethe die Ungenauigkeit seiner Chronologie vorzuwerfen"); er gründet sich
auf die nicht immer übereinstimmenden Äußerungen Goethes über den „Faust,"
die Zelter, Eckermann und Humboldt gegenüber gemacht wurden. Not legt
dabei nach unsrer Meinung zu viel Gewicht auf Eckermann, dem doch immer¬
hin mit einer gewissen Vorsicht zu begegnen ist, und vergißt zudem, daß
zwischen den einzelnen Äußerungen Jahre lagen. Interessant sind noch die
Bemerkungen, daß Goethe sich und andern vorgeredet habe, stetig an den
„Faust" gedacht zu haben, während er ihn längst vergessen hatte(!), und daß
Goethe selbst sein Werk (das er ja selbst immer als das „Hauptgeschäft" be¬
zeichnet) gar nicht sür so bedeutend gehalten und sich das erst nach der warmen
Aufnahme, die es fand, eingebildet habe. Eines Kommentars, den Rod ja so
verabscheut, bedarf es hierzu wohl nicht.

Nun folgen Roth eigne Gedanken über den „Faust," oder vielmehr, sie
folgen nicht, denn er hat keine. Man wollte sie denn in der wichtigen Ent¬
deckung finden, dem Werke fehlte die nuits, und in den Worten „Wer immer
strebend sich bemüht, den können wir erlösen," sei der Schlüssel zu Fausts
Rettung enthalten. Hätte Rod die bedeutender« Kommentare gelesen, so würde
er, was er allerdings nicht wahr haben will, gefunden haben, daß die Mehr¬
zahl die Goethische Erklärung der Grundidee zu der ihrigen gemacht hat.
Eine gewisse Einheitlichkeit gesteht Not dem „Faust" gnädig zu, indem diese
Grundidee das Werk wie ein Cement zusammenhalte. Hieraus konstruirt dann
Rod ein Lob, das allerdings wie immer sehr verklausulirt wird, während er
vorher folgendes sagt: lei, av. uroins, »n xsut aämirsr hö-us rsssrvs ig. Kran-
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inearnö t-cento sein g-me. Was Not unter Sö-us reservs verstehen mag, haben
wir beim besten Willen nicht ergründen können. Die Walpurgisnacht ist
natürlich insuxxorwdlö. Auf zwei Punkte möchten wir noch hinweisen: die
Ansicht Roth, daß Gretchens Gestalt zwischen dem „Fragment" und der Aus¬
gabe von 1808 in den Hintergrund getreten und die neu hinzugefügten Szenen
minderwertig seien(!), und die Bemerkung, der Osterspaziergang sei erst spät
unter Schillers Einfluß entstanden. Manche Gründe lassen im Gegenteil
darauf schließen, daß ein großer Teil der Ausführung, jedenfalls aber die
Konzeption noch in die Frankfurter Zeit fällt; so die Erwähnung des Liedes
„Der Schäfer putzte sich zum Tanz" im „Wilhelm Meister," das zwar nur
mit der Anfangszeile angeführt wird, aber doch die Sängerin charakterisirt
und auf den Inhalt schließen läßt.

Nach diesen dürftigen „Gedanken" folgt unvermutet ein Sprung auf den
Dichter selbst, dessen Größe sich gleichfalls in den Versen


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Den können wir erlösen,

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[0169] Gedanke» eines Franzosen über Goethe Vorwurf der Unehrlichkeit, wie immer fein umkleidet („ich denke nicht daran, Goethe die Ungenauigkeit seiner Chronologie vorzuwerfen"); er gründet sich auf die nicht immer übereinstimmenden Äußerungen Goethes über den „Faust," die Zelter, Eckermann und Humboldt gegenüber gemacht wurden. Not legt dabei nach unsrer Meinung zu viel Gewicht auf Eckermann, dem doch immer¬ hin mit einer gewissen Vorsicht zu begegnen ist, und vergißt zudem, daß zwischen den einzelnen Äußerungen Jahre lagen. Interessant sind noch die Bemerkungen, daß Goethe sich und andern vorgeredet habe, stetig an den „Faust" gedacht zu haben, während er ihn längst vergessen hatte(!), und daß Goethe selbst sein Werk (das er ja selbst immer als das „Hauptgeschäft" be¬ zeichnet) gar nicht sür so bedeutend gehalten und sich das erst nach der warmen Aufnahme, die es fand, eingebildet habe. Eines Kommentars, den Rod ja so verabscheut, bedarf es hierzu wohl nicht. Nun folgen Roth eigne Gedanken über den „Faust," oder vielmehr, sie folgen nicht, denn er hat keine. Man wollte sie denn in der wichtigen Ent¬ deckung finden, dem Werke fehlte die nuits, und in den Worten „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen," sei der Schlüssel zu Fausts Rettung enthalten. Hätte Rod die bedeutender« Kommentare gelesen, so würde er, was er allerdings nicht wahr haben will, gefunden haben, daß die Mehr¬ zahl die Goethische Erklärung der Grundidee zu der ihrigen gemacht hat. Eine gewisse Einheitlichkeit gesteht Not dem „Faust" gnädig zu, indem diese Grundidee das Werk wie ein Cement zusammenhalte. Hieraus konstruirt dann Rod ein Lob, das allerdings wie immer sehr verklausulirt wird, während er vorher folgendes sagt: lei, av. uroins, »n xsut aämirsr hö-us rsssrvs ig. Kran- clvur als 1'g.reifes et an er^og-illsur, clöbout g. ont6 als 1'azuvrö g,en6vos cM inearnö t-cento sein g-me. Was Not unter Sö-us reservs verstehen mag, haben wir beim besten Willen nicht ergründen können. Die Walpurgisnacht ist natürlich insuxxorwdlö. Auf zwei Punkte möchten wir noch hinweisen: die Ansicht Roth, daß Gretchens Gestalt zwischen dem „Fragment" und der Aus¬ gabe von 1808 in den Hintergrund getreten und die neu hinzugefügten Szenen minderwertig seien(!), und die Bemerkung, der Osterspaziergang sei erst spät unter Schillers Einfluß entstanden. Manche Gründe lassen im Gegenteil darauf schließen, daß ein großer Teil der Ausführung, jedenfalls aber die Konzeption noch in die Frankfurter Zeit fällt; so die Erwähnung des Liedes „Der Schäfer putzte sich zum Tanz" im „Wilhelm Meister," das zwar nur mit der Anfangszeile angeführt wird, aber doch die Sängerin charakterisirt und auf den Inhalt schließen läßt. Nach diesen dürftigen „Gedanken" folgt unvermutet ein Sprung auf den Dichter selbst, dessen Größe sich gleichfalls in den Versen Wer immer strebend sich bemüht Den können wir erlösen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/169>, abgerufen am 16.06.2024.