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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Theodor von Bernhardt als Nationalökonom

Kosten der Zukunft. Die große Zerstückelung des Bodens in industriellen
Gegenden ist ihm keineswegs ein idealer Zustand, er meint vielmehr, die
Thätigkeit, zu der die Fabriken Gelegenheit geben, machten die Übelstände
einer zu großen Zerstückelung nur weniger drückend und hülfen sie verdecken.

Die Anschauung, daß es notwendig sei, die großen Verhältnisse des Land¬
baus mit Bewußtsein zu ordnen, hat heute in Deutschland schon weite Kreise
gewonnen, Bernhardt enthält sich bestimmter Vorschlüge zu einer Agrargesetz¬
gebung, fügt aber hinzu, er könne sich die Erörterung einer solchen nicht
anders denken, als im Zusammenhange mit einer umfassenden, die das ge¬
samte wirtschaftliche Leben im Zusammenhange mit dem Volksdasein darstellte,
dem es dienen soll, und der Volkserziehung, die die Grundlage des Ganzen ist.

Haben wir die agrarischen Anschauungen unsers Autors in Vorstehendem
skizzirt, so wollen wir noch betonen, daß er von keiner der heute mit einander
kämpfenden Parteien als einer der Ihrigen in Anspruch genommen werden
kann. Er hat immer den Blick auf das Ganze, auf die Zukunft und auf die
geschichtliche Entwicklung des thatsächlich bestehenden Zustands gerichtet und
steht darum auf dem Boden echt staatsmänuischer Weisheit. Es wird nicht
überflüssig sein, aus einigen seiner Ausführungen seine Stellung zu den
heutigen Parteien genauer zu bezeichnen. So sagt er über das Verhältnis
von Ackerbau und Industrie: Ein Land, worin der Ackerbau, weil der Boden
in wenige große Besitzungen verteilt ist, einen großen Überschuß an Erzeug¬
nissen hervorbringt, muß entweder eine sehr zahlreiche industrielle Bevölkerung
haben oder ist aus die Ausfuhr seiner Noherzeugnisse angewiesen. Eine über¬
wiegend industrielle Bevölkerung kann nicht nur für die ackerbauenden Arbeiter,
sie muß für die Ausfuhr arbeiten und die Mittel zum Ankauf der Landbau¬
produkte in der Fremde erwerben. Ist dieses Verhältnis nicht im Welthandel
begründet, sondern durch die eigne Lage, die Verteilung des Grundeigentums
geboten, so kann darin viel drückendes liegen, wie die Lage Englands hin¬
reichend zeigt.

Die Notwendigkeit des verlangten Überschusses an Erzeugnissen des Acker¬
baues über den unmittelbaren Bedarf derer, die den Boden bestellen, kann nur
beweisen, daß jedenfalls ein überwiegender Teil des Bodens in Landgütern
vereinigt bleiben müsse, die einen solchen Überschuß gewähren. Aber daß es
gerade große landwirtschaftliche Komplexe sein müßten, folgt daraus noch
ganz und gar nicht und am allerwenigsten, daß ein Land nur dann gedeihen
könne, wenn aller nutzbare Boden in große Landgüter verteilt ist.

Das kleine Grundeigentum ist vor allem deshalb wichtig, weil es
einen günstigen Einfluß auf die Entwicklung des gesellschaftlichen Zustandes
üben muß. Die Teilbarkeit des Bodens, aus der eine Bewirtschaftung in
kleinen Landgütern (d. h. also nicht Grundstücken oder Parzellen) hervorgehen
muß, befördert den Anbau und schafft eine große ackerbauende Bevölkerung,


Theodor von Bernhardt als Nationalökonom

Kosten der Zukunft. Die große Zerstückelung des Bodens in industriellen
Gegenden ist ihm keineswegs ein idealer Zustand, er meint vielmehr, die
Thätigkeit, zu der die Fabriken Gelegenheit geben, machten die Übelstände
einer zu großen Zerstückelung nur weniger drückend und hülfen sie verdecken.

Die Anschauung, daß es notwendig sei, die großen Verhältnisse des Land¬
baus mit Bewußtsein zu ordnen, hat heute in Deutschland schon weite Kreise
gewonnen, Bernhardt enthält sich bestimmter Vorschlüge zu einer Agrargesetz¬
gebung, fügt aber hinzu, er könne sich die Erörterung einer solchen nicht
anders denken, als im Zusammenhange mit einer umfassenden, die das ge¬
samte wirtschaftliche Leben im Zusammenhange mit dem Volksdasein darstellte,
dem es dienen soll, und der Volkserziehung, die die Grundlage des Ganzen ist.

Haben wir die agrarischen Anschauungen unsers Autors in Vorstehendem
skizzirt, so wollen wir noch betonen, daß er von keiner der heute mit einander
kämpfenden Parteien als einer der Ihrigen in Anspruch genommen werden
kann. Er hat immer den Blick auf das Ganze, auf die Zukunft und auf die
geschichtliche Entwicklung des thatsächlich bestehenden Zustands gerichtet und
steht darum auf dem Boden echt staatsmänuischer Weisheit. Es wird nicht
überflüssig sein, aus einigen seiner Ausführungen seine Stellung zu den
heutigen Parteien genauer zu bezeichnen. So sagt er über das Verhältnis
von Ackerbau und Industrie: Ein Land, worin der Ackerbau, weil der Boden
in wenige große Besitzungen verteilt ist, einen großen Überschuß an Erzeug¬
nissen hervorbringt, muß entweder eine sehr zahlreiche industrielle Bevölkerung
haben oder ist aus die Ausfuhr seiner Noherzeugnisse angewiesen. Eine über¬
wiegend industrielle Bevölkerung kann nicht nur für die ackerbauenden Arbeiter,
sie muß für die Ausfuhr arbeiten und die Mittel zum Ankauf der Landbau¬
produkte in der Fremde erwerben. Ist dieses Verhältnis nicht im Welthandel
begründet, sondern durch die eigne Lage, die Verteilung des Grundeigentums
geboten, so kann darin viel drückendes liegen, wie die Lage Englands hin¬
reichend zeigt.

Die Notwendigkeit des verlangten Überschusses an Erzeugnissen des Acker¬
baues über den unmittelbaren Bedarf derer, die den Boden bestellen, kann nur
beweisen, daß jedenfalls ein überwiegender Teil des Bodens in Landgütern
vereinigt bleiben müsse, die einen solchen Überschuß gewähren. Aber daß es
gerade große landwirtschaftliche Komplexe sein müßten, folgt daraus noch
ganz und gar nicht und am allerwenigsten, daß ein Land nur dann gedeihen
könne, wenn aller nutzbare Boden in große Landgüter verteilt ist.

Das kleine Grundeigentum ist vor allem deshalb wichtig, weil es
einen günstigen Einfluß auf die Entwicklung des gesellschaftlichen Zustandes
üben muß. Die Teilbarkeit des Bodens, aus der eine Bewirtschaftung in
kleinen Landgütern (d. h. also nicht Grundstücken oder Parzellen) hervorgehen
muß, befördert den Anbau und schafft eine große ackerbauende Bevölkerung,


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[0205] Theodor von Bernhardt als Nationalökonom Kosten der Zukunft. Die große Zerstückelung des Bodens in industriellen Gegenden ist ihm keineswegs ein idealer Zustand, er meint vielmehr, die Thätigkeit, zu der die Fabriken Gelegenheit geben, machten die Übelstände einer zu großen Zerstückelung nur weniger drückend und hülfen sie verdecken. Die Anschauung, daß es notwendig sei, die großen Verhältnisse des Land¬ baus mit Bewußtsein zu ordnen, hat heute in Deutschland schon weite Kreise gewonnen, Bernhardt enthält sich bestimmter Vorschlüge zu einer Agrargesetz¬ gebung, fügt aber hinzu, er könne sich die Erörterung einer solchen nicht anders denken, als im Zusammenhange mit einer umfassenden, die das ge¬ samte wirtschaftliche Leben im Zusammenhange mit dem Volksdasein darstellte, dem es dienen soll, und der Volkserziehung, die die Grundlage des Ganzen ist. Haben wir die agrarischen Anschauungen unsers Autors in Vorstehendem skizzirt, so wollen wir noch betonen, daß er von keiner der heute mit einander kämpfenden Parteien als einer der Ihrigen in Anspruch genommen werden kann. Er hat immer den Blick auf das Ganze, auf die Zukunft und auf die geschichtliche Entwicklung des thatsächlich bestehenden Zustands gerichtet und steht darum auf dem Boden echt staatsmänuischer Weisheit. Es wird nicht überflüssig sein, aus einigen seiner Ausführungen seine Stellung zu den heutigen Parteien genauer zu bezeichnen. So sagt er über das Verhältnis von Ackerbau und Industrie: Ein Land, worin der Ackerbau, weil der Boden in wenige große Besitzungen verteilt ist, einen großen Überschuß an Erzeug¬ nissen hervorbringt, muß entweder eine sehr zahlreiche industrielle Bevölkerung haben oder ist aus die Ausfuhr seiner Noherzeugnisse angewiesen. Eine über¬ wiegend industrielle Bevölkerung kann nicht nur für die ackerbauenden Arbeiter, sie muß für die Ausfuhr arbeiten und die Mittel zum Ankauf der Landbau¬ produkte in der Fremde erwerben. Ist dieses Verhältnis nicht im Welthandel begründet, sondern durch die eigne Lage, die Verteilung des Grundeigentums geboten, so kann darin viel drückendes liegen, wie die Lage Englands hin¬ reichend zeigt. Die Notwendigkeit des verlangten Überschusses an Erzeugnissen des Acker¬ baues über den unmittelbaren Bedarf derer, die den Boden bestellen, kann nur beweisen, daß jedenfalls ein überwiegender Teil des Bodens in Landgütern vereinigt bleiben müsse, die einen solchen Überschuß gewähren. Aber daß es gerade große landwirtschaftliche Komplexe sein müßten, folgt daraus noch ganz und gar nicht und am allerwenigsten, daß ein Land nur dann gedeihen könne, wenn aller nutzbare Boden in große Landgüter verteilt ist. Das kleine Grundeigentum ist vor allem deshalb wichtig, weil es einen günstigen Einfluß auf die Entwicklung des gesellschaftlichen Zustandes üben muß. Die Teilbarkeit des Bodens, aus der eine Bewirtschaftung in kleinen Landgütern (d. h. also nicht Grundstücken oder Parzellen) hervorgehen muß, befördert den Anbau und schafft eine große ackerbauende Bevölkerung,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/205>, abgerufen am 22.05.2024.