Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
von lveißenburg bis Metz

Züge des Schwarzwalds. So sah das Land auch aus, als es die flüchtigen
Scharen der Franzosen, in buntem Gewimmel auf all diesen weißschimmernden
Straßen und durch die dunkeln Waldungen einherziehend und sie mit weg-
geworfnen Gewehren und Tornistern, mit verlassenen Geschützen und Wagen
bedeckend, für immer räumten, und ihnen auf dem Fuße dort von Steinbnrg her
die vierte Kavalleriedivision, dreißig Schwadronen unter Prinz Abrecht, folgte.
Da Pfalzburg die Hauptstraße nicht sperrte, so begnügte sich die deutsche
Heeresleitung nach einer vergeblichen Beschießung (10. bis 14. August) damit,
es einzuschließen, was indes erst am 12. Dezember zur Kapitulation führte.

Einen ganz andern Charakter als die Zaberner Straße trügt die nach
Lützelstein, denn sie erklimmt in kurzer Steigung die Hochfläche und geht dann
auf dieser stundenlang mit geringen Senkungen dahin, fast immer durch schönen
Buchenwald mit gelegentlichen Blicken in einsame Waldthüler, bis plötzlich in
einer Lichtung Lützelstein auftaucht. Die eigentliche Festung liegt auf einer
teilweise bewaldeten Bergnnse, die nach drei Seiten steil in Wiesenthäler abfällt
und nur auf der östlichen mit der Hochfläche zusammenhängt, am Westende
überragt von dem alten Schlosse, jetzt dem Sitze eines kaiserlichen Oberförsters.
Hohe Sandsteinmauern mit vorspringenden Bastionen umgeben den kleinen un¬
ansehnlichen Ort, eine einzige dürftige Straße und die spitztnrmige Kirche am
Schlosse. Ganz davon getrennt liegt auf dem Rande der Hochebne das Städtchen,
nur ein paar breite Gassen, doch hat es außer zwei kaiserlichen Oberförstereien
ein Amtsgericht und ist der Sitz eines Kantonalarztes, also der Mittelpunkt
eines kleinen Bezirks. Einsam genug ist es da oben, und im Winter hemmen
oft Schneemassen den Verkehr. Ein solches kriegerisches Getümmel wie in den
Tagen nach der Schlacht bei Wörth hatte Lützelstein überhaupt noch mehr
gesehen. Denn schon am 7. August biwakirte Fcnlly mit zwei Divisionen
hier und gab der kleinen Besatzung des Forts den Befehl, den Platz, der die
wichtige Straße völlig sperrte, weil sie geradezu unter seinen Geschützen lag,
bis aufs äußerste zu halten. Aber als am 9. August die Vortruppen des
V. Armeekorps hier eintrafen, fanden sie die Festung verlassen und sogar sechs
Geschütze mit aller Munition und Lebensmittel, ja noch Nachzügler, das Archiv
und die Pläne vor. In den nächsten Tagen folgten unabsehbare Heersäulen
des V. Armeekorps, am 10. August ging das Hauptquartier des Kronprinzen
durch, der selbst in die Festung hineinritt. Fast den ganzen Schauplatz dieser
Vorgänge übersieht man von der über dem Orte sich erhebenden sogenannten
Altenburg aus, dem südlichen Vorsprunge der Hochfläche, auf der Lützelstein
liegt. Eine echte Vogesenlandschaft, doch ganz anders als vom Hohbarr aus!
Langgestreckte bewaldete Bergrücken schieben sich übereinander, dazwischen ziehen
sich tiefe Wiesenthäler und bebaute Hochflächen, aber sehr wenig Ortschafte". Im
Süden ist Pfalzburg in einer waldumgebnen Lichtung mit seinen Wällen deutlich
sichtbar, im Nordosten ragen über den Waldungen hervor die hohen Trümmer


von lveißenburg bis Metz

Züge des Schwarzwalds. So sah das Land auch aus, als es die flüchtigen
Scharen der Franzosen, in buntem Gewimmel auf all diesen weißschimmernden
Straßen und durch die dunkeln Waldungen einherziehend und sie mit weg-
geworfnen Gewehren und Tornistern, mit verlassenen Geschützen und Wagen
bedeckend, für immer räumten, und ihnen auf dem Fuße dort von Steinbnrg her
die vierte Kavalleriedivision, dreißig Schwadronen unter Prinz Abrecht, folgte.
Da Pfalzburg die Hauptstraße nicht sperrte, so begnügte sich die deutsche
Heeresleitung nach einer vergeblichen Beschießung (10. bis 14. August) damit,
es einzuschließen, was indes erst am 12. Dezember zur Kapitulation führte.

Einen ganz andern Charakter als die Zaberner Straße trügt die nach
Lützelstein, denn sie erklimmt in kurzer Steigung die Hochfläche und geht dann
auf dieser stundenlang mit geringen Senkungen dahin, fast immer durch schönen
Buchenwald mit gelegentlichen Blicken in einsame Waldthüler, bis plötzlich in
einer Lichtung Lützelstein auftaucht. Die eigentliche Festung liegt auf einer
teilweise bewaldeten Bergnnse, die nach drei Seiten steil in Wiesenthäler abfällt
und nur auf der östlichen mit der Hochfläche zusammenhängt, am Westende
überragt von dem alten Schlosse, jetzt dem Sitze eines kaiserlichen Oberförsters.
Hohe Sandsteinmauern mit vorspringenden Bastionen umgeben den kleinen un¬
ansehnlichen Ort, eine einzige dürftige Straße und die spitztnrmige Kirche am
Schlosse. Ganz davon getrennt liegt auf dem Rande der Hochebne das Städtchen,
nur ein paar breite Gassen, doch hat es außer zwei kaiserlichen Oberförstereien
ein Amtsgericht und ist der Sitz eines Kantonalarztes, also der Mittelpunkt
eines kleinen Bezirks. Einsam genug ist es da oben, und im Winter hemmen
oft Schneemassen den Verkehr. Ein solches kriegerisches Getümmel wie in den
Tagen nach der Schlacht bei Wörth hatte Lützelstein überhaupt noch mehr
gesehen. Denn schon am 7. August biwakirte Fcnlly mit zwei Divisionen
hier und gab der kleinen Besatzung des Forts den Befehl, den Platz, der die
wichtige Straße völlig sperrte, weil sie geradezu unter seinen Geschützen lag,
bis aufs äußerste zu halten. Aber als am 9. August die Vortruppen des
V. Armeekorps hier eintrafen, fanden sie die Festung verlassen und sogar sechs
Geschütze mit aller Munition und Lebensmittel, ja noch Nachzügler, das Archiv
und die Pläne vor. In den nächsten Tagen folgten unabsehbare Heersäulen
des V. Armeekorps, am 10. August ging das Hauptquartier des Kronprinzen
durch, der selbst in die Festung hineinritt. Fast den ganzen Schauplatz dieser
Vorgänge übersieht man von der über dem Orte sich erhebenden sogenannten
Altenburg aus, dem südlichen Vorsprunge der Hochfläche, auf der Lützelstein
liegt. Eine echte Vogesenlandschaft, doch ganz anders als vom Hohbarr aus!
Langgestreckte bewaldete Bergrücken schieben sich übereinander, dazwischen ziehen
sich tiefe Wiesenthäler und bebaute Hochflächen, aber sehr wenig Ortschafte». Im
Süden ist Pfalzburg in einer waldumgebnen Lichtung mit seinen Wällen deutlich
sichtbar, im Nordosten ragen über den Waldungen hervor die hohen Trümmer


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0295" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229244"/>
          <fw type="header" place="top"> von lveißenburg bis Metz</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_803" prev="#ID_802"> Züge des Schwarzwalds. So sah das Land auch aus, als es die flüchtigen<lb/>
Scharen der Franzosen, in buntem Gewimmel auf all diesen weißschimmernden<lb/>
Straßen und durch die dunkeln Waldungen einherziehend und sie mit weg-<lb/>
geworfnen Gewehren und Tornistern, mit verlassenen Geschützen und Wagen<lb/>
bedeckend, für immer räumten, und ihnen auf dem Fuße dort von Steinbnrg her<lb/>
die vierte Kavalleriedivision, dreißig Schwadronen unter Prinz Abrecht, folgte.<lb/>
Da Pfalzburg die Hauptstraße nicht sperrte, so begnügte sich die deutsche<lb/>
Heeresleitung nach einer vergeblichen Beschießung (10. bis 14. August) damit,<lb/>
es einzuschließen, was indes erst am 12. Dezember zur Kapitulation führte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_804" next="#ID_805"> Einen ganz andern Charakter als die Zaberner Straße trügt die nach<lb/>
Lützelstein, denn sie erklimmt in kurzer Steigung die Hochfläche und geht dann<lb/>
auf dieser stundenlang mit geringen Senkungen dahin, fast immer durch schönen<lb/>
Buchenwald mit gelegentlichen Blicken in einsame Waldthüler, bis plötzlich in<lb/>
einer Lichtung Lützelstein auftaucht. Die eigentliche Festung liegt auf einer<lb/>
teilweise bewaldeten Bergnnse, die nach drei Seiten steil in Wiesenthäler abfällt<lb/>
und nur auf der östlichen mit der Hochfläche zusammenhängt, am Westende<lb/>
überragt von dem alten Schlosse, jetzt dem Sitze eines kaiserlichen Oberförsters.<lb/>
Hohe Sandsteinmauern mit vorspringenden Bastionen umgeben den kleinen un¬<lb/>
ansehnlichen Ort, eine einzige dürftige Straße und die spitztnrmige Kirche am<lb/>
Schlosse. Ganz davon getrennt liegt auf dem Rande der Hochebne das Städtchen,<lb/>
nur ein paar breite Gassen, doch hat es außer zwei kaiserlichen Oberförstereien<lb/>
ein Amtsgericht und ist der Sitz eines Kantonalarztes, also der Mittelpunkt<lb/>
eines kleinen Bezirks. Einsam genug ist es da oben, und im Winter hemmen<lb/>
oft Schneemassen den Verkehr. Ein solches kriegerisches Getümmel wie in den<lb/>
Tagen nach der Schlacht bei Wörth hatte Lützelstein überhaupt noch mehr<lb/>
gesehen. Denn schon am 7. August biwakirte Fcnlly mit zwei Divisionen<lb/>
hier und gab der kleinen Besatzung des Forts den Befehl, den Platz, der die<lb/>
wichtige Straße völlig sperrte, weil sie geradezu unter seinen Geschützen lag,<lb/>
bis aufs äußerste zu halten. Aber als am 9. August die Vortruppen des<lb/>
V. Armeekorps hier eintrafen, fanden sie die Festung verlassen und sogar sechs<lb/>
Geschütze mit aller Munition und Lebensmittel, ja noch Nachzügler, das Archiv<lb/>
und die Pläne vor. In den nächsten Tagen folgten unabsehbare Heersäulen<lb/>
des V. Armeekorps, am 10. August ging das Hauptquartier des Kronprinzen<lb/>
durch, der selbst in die Festung hineinritt. Fast den ganzen Schauplatz dieser<lb/>
Vorgänge übersieht man von der über dem Orte sich erhebenden sogenannten<lb/>
Altenburg aus, dem südlichen Vorsprunge der Hochfläche, auf der Lützelstein<lb/>
liegt. Eine echte Vogesenlandschaft, doch ganz anders als vom Hohbarr aus!<lb/>
Langgestreckte bewaldete Bergrücken schieben sich übereinander, dazwischen ziehen<lb/>
sich tiefe Wiesenthäler und bebaute Hochflächen, aber sehr wenig Ortschafte». Im<lb/>
Süden ist Pfalzburg in einer waldumgebnen Lichtung mit seinen Wällen deutlich<lb/>
sichtbar, im Nordosten ragen über den Waldungen hervor die hohen Trümmer</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0295] von lveißenburg bis Metz Züge des Schwarzwalds. So sah das Land auch aus, als es die flüchtigen Scharen der Franzosen, in buntem Gewimmel auf all diesen weißschimmernden Straßen und durch die dunkeln Waldungen einherziehend und sie mit weg- geworfnen Gewehren und Tornistern, mit verlassenen Geschützen und Wagen bedeckend, für immer räumten, und ihnen auf dem Fuße dort von Steinbnrg her die vierte Kavalleriedivision, dreißig Schwadronen unter Prinz Abrecht, folgte. Da Pfalzburg die Hauptstraße nicht sperrte, so begnügte sich die deutsche Heeresleitung nach einer vergeblichen Beschießung (10. bis 14. August) damit, es einzuschließen, was indes erst am 12. Dezember zur Kapitulation führte. Einen ganz andern Charakter als die Zaberner Straße trügt die nach Lützelstein, denn sie erklimmt in kurzer Steigung die Hochfläche und geht dann auf dieser stundenlang mit geringen Senkungen dahin, fast immer durch schönen Buchenwald mit gelegentlichen Blicken in einsame Waldthüler, bis plötzlich in einer Lichtung Lützelstein auftaucht. Die eigentliche Festung liegt auf einer teilweise bewaldeten Bergnnse, die nach drei Seiten steil in Wiesenthäler abfällt und nur auf der östlichen mit der Hochfläche zusammenhängt, am Westende überragt von dem alten Schlosse, jetzt dem Sitze eines kaiserlichen Oberförsters. Hohe Sandsteinmauern mit vorspringenden Bastionen umgeben den kleinen un¬ ansehnlichen Ort, eine einzige dürftige Straße und die spitztnrmige Kirche am Schlosse. Ganz davon getrennt liegt auf dem Rande der Hochebne das Städtchen, nur ein paar breite Gassen, doch hat es außer zwei kaiserlichen Oberförstereien ein Amtsgericht und ist der Sitz eines Kantonalarztes, also der Mittelpunkt eines kleinen Bezirks. Einsam genug ist es da oben, und im Winter hemmen oft Schneemassen den Verkehr. Ein solches kriegerisches Getümmel wie in den Tagen nach der Schlacht bei Wörth hatte Lützelstein überhaupt noch mehr gesehen. Denn schon am 7. August biwakirte Fcnlly mit zwei Divisionen hier und gab der kleinen Besatzung des Forts den Befehl, den Platz, der die wichtige Straße völlig sperrte, weil sie geradezu unter seinen Geschützen lag, bis aufs äußerste zu halten. Aber als am 9. August die Vortruppen des V. Armeekorps hier eintrafen, fanden sie die Festung verlassen und sogar sechs Geschütze mit aller Munition und Lebensmittel, ja noch Nachzügler, das Archiv und die Pläne vor. In den nächsten Tagen folgten unabsehbare Heersäulen des V. Armeekorps, am 10. August ging das Hauptquartier des Kronprinzen durch, der selbst in die Festung hineinritt. Fast den ganzen Schauplatz dieser Vorgänge übersieht man von der über dem Orte sich erhebenden sogenannten Altenburg aus, dem südlichen Vorsprunge der Hochfläche, auf der Lützelstein liegt. Eine echte Vogesenlandschaft, doch ganz anders als vom Hohbarr aus! Langgestreckte bewaldete Bergrücken schieben sich übereinander, dazwischen ziehen sich tiefe Wiesenthäler und bebaute Hochflächen, aber sehr wenig Ortschafte». Im Süden ist Pfalzburg in einer waldumgebnen Lichtung mit seinen Wällen deutlich sichtbar, im Nordosten ragen über den Waldungen hervor die hohen Trümmer

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/295
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/295>, abgerufen am 22.05.2024.