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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Deutsches Nationalinteresse und deutsches Fnrstenrecht

sich amtlich mit der Sache schwerlich befassen, denn eine "Disziplinirnng" eines
Bundesfürsten durch den Kaiser liegt gar nicht vor. Beiläufig: ein lippisches
"Kontingent" in dem Sinne eines geschlossenen, selbständigen Heerkörpers wie
das sächsische und bayrische Kontingent des Neichsheeres giebt es nicht; diese
kleinstaatlichen Mißbildungen sind Gott sei Dank mit dem durchlauchtigsten
Deutschen Bunde untergegangen. Es giebt nnr lippische Landeskinder, die in
Preußischen Regimentern dienen, dem Kaiser unbedingten Gehorsam schwören,
am Helm den preußischen Adler (nicht das lippische Wappen) und neben der
Neichskokarde die lippische Kokarde tragen, auch nur teilweise in Lippe stehen,
denn was von den Rekruten für Kavallerie und Artillerie tauglich ist, wird
überhaupt nicht dort eingestellt; die Offiziere des Detmolder Bataillons aber
sind gewiß nur zum kleinsten Teile lippische Unterthanen und haben, soweit
sie dies nicht sind, dem "Kontingentsherrn" auch gar nicht den Fahneneid
geleistet.

Kurz und gut, ein großer Teil der deutschen Presse stellt sich selbst da.
wo die Rechtsfrage mindestens zweifelhaft ist oder auch zu Gunsten der Reichs-
gewalt liegt, unbesehen auf den Standpunkt des nackten Partikularismus und
behauptet dabei noch, die bedrohten Interessen des Reichs zu schützen und in
Fürst Bismarcks Sinne zu handeln, nämlich die "Imponderabilien" der so¬
genannten "Volksseele" zu schonen, die sich um die ganze Sache gar nicht weiter
gekümmert hat, als etwa in Lippe-Detmold! Sie sieht nicht, daß sie mit dieser
unbegreiflichen Haltung nur die Geschäfte der Welsen und andrer "Rechtsparteien"
besorgt, die sich dreist wieder rühren, und daß sie damit selbst gegen so reiz¬
volle Erscheinungen wie den reichsfeindlichen, antinationalen Geist grundsätzlich
nichts sagen kann, der in dem einen oder dem andern deutschen Miniatur-
fürstentnm sein halb lächerliches, halb empörendes Wesen treibt und nur zu
klar beweist, was man sich selbst unter dieser beschränkten Souveränität noch
erlauben darf. Denn was dem einen recht ist, das ist dem andern billig. Daß
ein solches Verhalten der Presse auch eiuen guten Teil der Gebildeten hinter
sich hat, ist leider nur zu wahr, denn über den Standpunkt, in ducht und mehr
poonla national zu reden, aber in xr^xi partikularistisch zu denken und zu
handeln, sind wir immer noch nicht hinaus. Dabei jammert man über den
Rückgang des nationalen und des monarchischen Bewußtseins und giebt das
nicht etwa sich selbst und der alten nationalen Unart schuld, sondern -- dem
Kaiser; man klagt über die Zunahme der Majestätsbeleidigungsprozesse, wie
man einst über die Bismarckbeleidigungsprozesse geklagt hat. als ob es das
natürliche Menschenrecht des deutschen Staatsbürgers wäre, den Kaiser un-
gestraft zu beleidigen; man preist Ungezogenheiten, wie sie fast in jeder Nummer
des "Simplizissimus" oder der "Zukunft" stehen, als Äußerungen des freien
Mannesmuth und brandmarkt jede Huldigung für den Kaiser als "Byzan¬
tinismus," den der Deutsche den "heißblütigen" Orientalen und Italienern


Deutsches Nationalinteresse und deutsches Fnrstenrecht

sich amtlich mit der Sache schwerlich befassen, denn eine „Disziplinirnng" eines
Bundesfürsten durch den Kaiser liegt gar nicht vor. Beiläufig: ein lippisches
„Kontingent" in dem Sinne eines geschlossenen, selbständigen Heerkörpers wie
das sächsische und bayrische Kontingent des Neichsheeres giebt es nicht; diese
kleinstaatlichen Mißbildungen sind Gott sei Dank mit dem durchlauchtigsten
Deutschen Bunde untergegangen. Es giebt nnr lippische Landeskinder, die in
Preußischen Regimentern dienen, dem Kaiser unbedingten Gehorsam schwören,
am Helm den preußischen Adler (nicht das lippische Wappen) und neben der
Neichskokarde die lippische Kokarde tragen, auch nur teilweise in Lippe stehen,
denn was von den Rekruten für Kavallerie und Artillerie tauglich ist, wird
überhaupt nicht dort eingestellt; die Offiziere des Detmolder Bataillons aber
sind gewiß nur zum kleinsten Teile lippische Unterthanen und haben, soweit
sie dies nicht sind, dem „Kontingentsherrn" auch gar nicht den Fahneneid
geleistet.

Kurz und gut, ein großer Teil der deutschen Presse stellt sich selbst da.
wo die Rechtsfrage mindestens zweifelhaft ist oder auch zu Gunsten der Reichs-
gewalt liegt, unbesehen auf den Standpunkt des nackten Partikularismus und
behauptet dabei noch, die bedrohten Interessen des Reichs zu schützen und in
Fürst Bismarcks Sinne zu handeln, nämlich die „Imponderabilien" der so¬
genannten „Volksseele" zu schonen, die sich um die ganze Sache gar nicht weiter
gekümmert hat, als etwa in Lippe-Detmold! Sie sieht nicht, daß sie mit dieser
unbegreiflichen Haltung nur die Geschäfte der Welsen und andrer „Rechtsparteien"
besorgt, die sich dreist wieder rühren, und daß sie damit selbst gegen so reiz¬
volle Erscheinungen wie den reichsfeindlichen, antinationalen Geist grundsätzlich
nichts sagen kann, der in dem einen oder dem andern deutschen Miniatur-
fürstentnm sein halb lächerliches, halb empörendes Wesen treibt und nur zu
klar beweist, was man sich selbst unter dieser beschränkten Souveränität noch
erlauben darf. Denn was dem einen recht ist, das ist dem andern billig. Daß
ein solches Verhalten der Presse auch eiuen guten Teil der Gebildeten hinter
sich hat, ist leider nur zu wahr, denn über den Standpunkt, in ducht und mehr
poonla national zu reden, aber in xr^xi partikularistisch zu denken und zu
handeln, sind wir immer noch nicht hinaus. Dabei jammert man über den
Rückgang des nationalen und des monarchischen Bewußtseins und giebt das
nicht etwa sich selbst und der alten nationalen Unart schuld, sondern — dem
Kaiser; man klagt über die Zunahme der Majestätsbeleidigungsprozesse, wie
man einst über die Bismarckbeleidigungsprozesse geklagt hat. als ob es das
natürliche Menschenrecht des deutschen Staatsbürgers wäre, den Kaiser un-
gestraft zu beleidigen; man preist Ungezogenheiten, wie sie fast in jeder Nummer
des „Simplizissimus" oder der „Zukunft" stehen, als Äußerungen des freien
Mannesmuth und brandmarkt jede Huldigung für den Kaiser als „Byzan¬
tinismus," den der Deutsche den „heißblütigen" Orientalen und Italienern


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[0455] Deutsches Nationalinteresse und deutsches Fnrstenrecht sich amtlich mit der Sache schwerlich befassen, denn eine „Disziplinirnng" eines Bundesfürsten durch den Kaiser liegt gar nicht vor. Beiläufig: ein lippisches „Kontingent" in dem Sinne eines geschlossenen, selbständigen Heerkörpers wie das sächsische und bayrische Kontingent des Neichsheeres giebt es nicht; diese kleinstaatlichen Mißbildungen sind Gott sei Dank mit dem durchlauchtigsten Deutschen Bunde untergegangen. Es giebt nnr lippische Landeskinder, die in Preußischen Regimentern dienen, dem Kaiser unbedingten Gehorsam schwören, am Helm den preußischen Adler (nicht das lippische Wappen) und neben der Neichskokarde die lippische Kokarde tragen, auch nur teilweise in Lippe stehen, denn was von den Rekruten für Kavallerie und Artillerie tauglich ist, wird überhaupt nicht dort eingestellt; die Offiziere des Detmolder Bataillons aber sind gewiß nur zum kleinsten Teile lippische Unterthanen und haben, soweit sie dies nicht sind, dem „Kontingentsherrn" auch gar nicht den Fahneneid geleistet. Kurz und gut, ein großer Teil der deutschen Presse stellt sich selbst da. wo die Rechtsfrage mindestens zweifelhaft ist oder auch zu Gunsten der Reichs- gewalt liegt, unbesehen auf den Standpunkt des nackten Partikularismus und behauptet dabei noch, die bedrohten Interessen des Reichs zu schützen und in Fürst Bismarcks Sinne zu handeln, nämlich die „Imponderabilien" der so¬ genannten „Volksseele" zu schonen, die sich um die ganze Sache gar nicht weiter gekümmert hat, als etwa in Lippe-Detmold! Sie sieht nicht, daß sie mit dieser unbegreiflichen Haltung nur die Geschäfte der Welsen und andrer „Rechtsparteien" besorgt, die sich dreist wieder rühren, und daß sie damit selbst gegen so reiz¬ volle Erscheinungen wie den reichsfeindlichen, antinationalen Geist grundsätzlich nichts sagen kann, der in dem einen oder dem andern deutschen Miniatur- fürstentnm sein halb lächerliches, halb empörendes Wesen treibt und nur zu klar beweist, was man sich selbst unter dieser beschränkten Souveränität noch erlauben darf. Denn was dem einen recht ist, das ist dem andern billig. Daß ein solches Verhalten der Presse auch eiuen guten Teil der Gebildeten hinter sich hat, ist leider nur zu wahr, denn über den Standpunkt, in ducht und mehr poonla national zu reden, aber in xr^xi partikularistisch zu denken und zu handeln, sind wir immer noch nicht hinaus. Dabei jammert man über den Rückgang des nationalen und des monarchischen Bewußtseins und giebt das nicht etwa sich selbst und der alten nationalen Unart schuld, sondern — dem Kaiser; man klagt über die Zunahme der Majestätsbeleidigungsprozesse, wie man einst über die Bismarckbeleidigungsprozesse geklagt hat. als ob es das natürliche Menschenrecht des deutschen Staatsbürgers wäre, den Kaiser un- gestraft zu beleidigen; man preist Ungezogenheiten, wie sie fast in jeder Nummer des „Simplizissimus" oder der „Zukunft" stehen, als Äußerungen des freien Mannesmuth und brandmarkt jede Huldigung für den Kaiser als „Byzan¬ tinismus," den der Deutsche den „heißblütigen" Orientalen und Italienern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/455>, abgerufen am 22.05.2024.