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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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politische Reisebetrachtungen aus dem deutschen Süden

rein preußischen Gerichtssachen bescheiden einem Oberlandesgericht (Kammer¬
gericht zu Berlin) übertragen hat. Somit läßt sich der bayrische Sonderdünkel
nicht leugnen, und bedauerlicherweise hat er seit Bismarcks Weggange noch
zugenommen.

Der Bayer sieht mit Stolz auf das kunstgeschmückte München und ver¬
gleicht damit geringschätzig das Aschenbrödel Berlin. Freilich vergißt er, daß
Ludwig I. nur durch die Vernachlässigung seines niemals vollzähligen Heeres
die Mittel zu seineu großartigen Bauten gewann und somit die Wehrlosigkeit
des Deutschen Bundes gegenüber dem Auslande unverschuldete. Währenddem
trug Preußen die schwere Kriegsrüstung, der das neue Reich ausschließlich zu
danken ist. Mit der Pflege von Kunst und Wissenschaft erhebt man kein Volk
aus politischem und wirtschaftlichem Verfall. Derbere, aber auch stärkere und
wesentlichere Lebenskräfte müssen entfaltet werden, um dieses größere Werk zu
vollbringen. Das Volk der Dichter und Denker war ein armseliges Geschlecht,
der Spielball des ihm doch an geistigen Fähigkeiten nachstehenden Auslandes.
Jüngst hat noch der amerikanische Generalkonsul in Leipzig das zweifelhafte Lob¬
lied auf den Geist des deutschen Volkes gesungen. Er irrt sich übrigens, wenn
er sagt, daß darauf die Freundschaft zwischen Amerika und Deutschland begründet
sei. Auch hat er geschichtswidrig unterschlagen, daß in Amerika das Drittel der
Bevölkerung, in dessen Adern deutsches Blut fließt, von dem englisch-irischen
Stamm unterdrückt wird. Auf dieser Blutsgemeinschaft beruht die Verbindung.
Die deutsche Bildung erobert Amerika nicht; aber die deutsche Faust wird sich
auch jenseits des Weltmeeres ihr Recht zu wahren wissen.

Bei dem antinationalen, dynastischen Widerstande gerade Bayerns ist man
in Berlin auf den unheilvollen Ausweg verfallen, nun auch den preußischen
Standpunkt zu betonen. Reichseisenbahn, Neichspost und Reichszvllverwaltung
sind unabweisbare Forderungen des Reichs, mögen auch die Finanzminister
der einzelnen Staaten ungern die Einnahmen missen. Nur auf diesem Wege ist
die Reichseinheit, die allzusehr nur auf dem Papiere steht, thatsächlich zu ver¬
wirklichen, ohne daß dem kaum nationalen Sonderinteresse der Vundcsstaaten
Abbruch geschieht. Das verfassungsmäßige Recht steht auf feiten des Reichs.
Aber in Berlin ist Stillstand eingetreten, und die rückläufige Bewegung wird
in München weidlich ausgenutzt. Ein Zwang im Bundesrate durch Mehrheits¬
beschlüsse wird seine Wirkung nicht verfehlen. Zu etwas müssen die sonst
bedeutungslosen Kleinstaaten doch nütze sein. Daß die Kleinstaaten die doppelten
Verwaltungskosten trotz schlechterer Beamtengehälter und geringerer Leistungen
auf staatlichem Gebiete aufzuwenden haben, ist bekannt und läßt sich aus jedem
Staatshaushalt nachweisen. Es ist sogar eine Pflicht einer weisen Regierung,
diesen Kleingebilden nach Möglichkeit solche Aufgaben abzunehmen, die sie nicht
mehr oder nur unvollkommen erfüllen können. Der Süden trägt in der Ver¬
waltung noch ein großstaatliches Gepräge; aber es kommt dem Steuerzahler


politische Reisebetrachtungen aus dem deutschen Süden

rein preußischen Gerichtssachen bescheiden einem Oberlandesgericht (Kammer¬
gericht zu Berlin) übertragen hat. Somit läßt sich der bayrische Sonderdünkel
nicht leugnen, und bedauerlicherweise hat er seit Bismarcks Weggange noch
zugenommen.

Der Bayer sieht mit Stolz auf das kunstgeschmückte München und ver¬
gleicht damit geringschätzig das Aschenbrödel Berlin. Freilich vergißt er, daß
Ludwig I. nur durch die Vernachlässigung seines niemals vollzähligen Heeres
die Mittel zu seineu großartigen Bauten gewann und somit die Wehrlosigkeit
des Deutschen Bundes gegenüber dem Auslande unverschuldete. Währenddem
trug Preußen die schwere Kriegsrüstung, der das neue Reich ausschließlich zu
danken ist. Mit der Pflege von Kunst und Wissenschaft erhebt man kein Volk
aus politischem und wirtschaftlichem Verfall. Derbere, aber auch stärkere und
wesentlichere Lebenskräfte müssen entfaltet werden, um dieses größere Werk zu
vollbringen. Das Volk der Dichter und Denker war ein armseliges Geschlecht,
der Spielball des ihm doch an geistigen Fähigkeiten nachstehenden Auslandes.
Jüngst hat noch der amerikanische Generalkonsul in Leipzig das zweifelhafte Lob¬
lied auf den Geist des deutschen Volkes gesungen. Er irrt sich übrigens, wenn
er sagt, daß darauf die Freundschaft zwischen Amerika und Deutschland begründet
sei. Auch hat er geschichtswidrig unterschlagen, daß in Amerika das Drittel der
Bevölkerung, in dessen Adern deutsches Blut fließt, von dem englisch-irischen
Stamm unterdrückt wird. Auf dieser Blutsgemeinschaft beruht die Verbindung.
Die deutsche Bildung erobert Amerika nicht; aber die deutsche Faust wird sich
auch jenseits des Weltmeeres ihr Recht zu wahren wissen.

Bei dem antinationalen, dynastischen Widerstande gerade Bayerns ist man
in Berlin auf den unheilvollen Ausweg verfallen, nun auch den preußischen
Standpunkt zu betonen. Reichseisenbahn, Neichspost und Reichszvllverwaltung
sind unabweisbare Forderungen des Reichs, mögen auch die Finanzminister
der einzelnen Staaten ungern die Einnahmen missen. Nur auf diesem Wege ist
die Reichseinheit, die allzusehr nur auf dem Papiere steht, thatsächlich zu ver¬
wirklichen, ohne daß dem kaum nationalen Sonderinteresse der Vundcsstaaten
Abbruch geschieht. Das verfassungsmäßige Recht steht auf feiten des Reichs.
Aber in Berlin ist Stillstand eingetreten, und die rückläufige Bewegung wird
in München weidlich ausgenutzt. Ein Zwang im Bundesrate durch Mehrheits¬
beschlüsse wird seine Wirkung nicht verfehlen. Zu etwas müssen die sonst
bedeutungslosen Kleinstaaten doch nütze sein. Daß die Kleinstaaten die doppelten
Verwaltungskosten trotz schlechterer Beamtengehälter und geringerer Leistungen
auf staatlichem Gebiete aufzuwenden haben, ist bekannt und läßt sich aus jedem
Staatshaushalt nachweisen. Es ist sogar eine Pflicht einer weisen Regierung,
diesen Kleingebilden nach Möglichkeit solche Aufgaben abzunehmen, die sie nicht
mehr oder nur unvollkommen erfüllen können. Der Süden trägt in der Ver¬
waltung noch ein großstaatliches Gepräge; aber es kommt dem Steuerzahler


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[0519] politische Reisebetrachtungen aus dem deutschen Süden rein preußischen Gerichtssachen bescheiden einem Oberlandesgericht (Kammer¬ gericht zu Berlin) übertragen hat. Somit läßt sich der bayrische Sonderdünkel nicht leugnen, und bedauerlicherweise hat er seit Bismarcks Weggange noch zugenommen. Der Bayer sieht mit Stolz auf das kunstgeschmückte München und ver¬ gleicht damit geringschätzig das Aschenbrödel Berlin. Freilich vergißt er, daß Ludwig I. nur durch die Vernachlässigung seines niemals vollzähligen Heeres die Mittel zu seineu großartigen Bauten gewann und somit die Wehrlosigkeit des Deutschen Bundes gegenüber dem Auslande unverschuldete. Währenddem trug Preußen die schwere Kriegsrüstung, der das neue Reich ausschließlich zu danken ist. Mit der Pflege von Kunst und Wissenschaft erhebt man kein Volk aus politischem und wirtschaftlichem Verfall. Derbere, aber auch stärkere und wesentlichere Lebenskräfte müssen entfaltet werden, um dieses größere Werk zu vollbringen. Das Volk der Dichter und Denker war ein armseliges Geschlecht, der Spielball des ihm doch an geistigen Fähigkeiten nachstehenden Auslandes. Jüngst hat noch der amerikanische Generalkonsul in Leipzig das zweifelhafte Lob¬ lied auf den Geist des deutschen Volkes gesungen. Er irrt sich übrigens, wenn er sagt, daß darauf die Freundschaft zwischen Amerika und Deutschland begründet sei. Auch hat er geschichtswidrig unterschlagen, daß in Amerika das Drittel der Bevölkerung, in dessen Adern deutsches Blut fließt, von dem englisch-irischen Stamm unterdrückt wird. Auf dieser Blutsgemeinschaft beruht die Verbindung. Die deutsche Bildung erobert Amerika nicht; aber die deutsche Faust wird sich auch jenseits des Weltmeeres ihr Recht zu wahren wissen. Bei dem antinationalen, dynastischen Widerstande gerade Bayerns ist man in Berlin auf den unheilvollen Ausweg verfallen, nun auch den preußischen Standpunkt zu betonen. Reichseisenbahn, Neichspost und Reichszvllverwaltung sind unabweisbare Forderungen des Reichs, mögen auch die Finanzminister der einzelnen Staaten ungern die Einnahmen missen. Nur auf diesem Wege ist die Reichseinheit, die allzusehr nur auf dem Papiere steht, thatsächlich zu ver¬ wirklichen, ohne daß dem kaum nationalen Sonderinteresse der Vundcsstaaten Abbruch geschieht. Das verfassungsmäßige Recht steht auf feiten des Reichs. Aber in Berlin ist Stillstand eingetreten, und die rückläufige Bewegung wird in München weidlich ausgenutzt. Ein Zwang im Bundesrate durch Mehrheits¬ beschlüsse wird seine Wirkung nicht verfehlen. Zu etwas müssen die sonst bedeutungslosen Kleinstaaten doch nütze sein. Daß die Kleinstaaten die doppelten Verwaltungskosten trotz schlechterer Beamtengehälter und geringerer Leistungen auf staatlichem Gebiete aufzuwenden haben, ist bekannt und läßt sich aus jedem Staatshaushalt nachweisen. Es ist sogar eine Pflicht einer weisen Regierung, diesen Kleingebilden nach Möglichkeit solche Aufgaben abzunehmen, die sie nicht mehr oder nur unvollkommen erfüllen können. Der Süden trägt in der Ver¬ waltung noch ein großstaatliches Gepräge; aber es kommt dem Steuerzahler

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/519>, abgerufen am 05.06.2024.