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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Politische Reisebetrachtungen aus dem deutschen Süden

so muß man doch ihren klerikalen Gegnern als schlimmen Volksfeinden mit
den schärfsten Waffen entgegen treten. Der national gesinnte Deutsche Öster¬
reichs sieht hilfeheischend über die Grenze, und unsre nationale Pflicht ist es,
unbekümmert um völkerrechtliche Bedenken, die bloß die beiden Regierungen
angehen, den bedrängten Brüdern unsre offne Teilnahme zuzuwenden. Zur
Zeit ist eine Einmischung ausgeschlossen, und es ist noch anzunehmen, daß den
Tirolern die Abwehr gelingt. Die Kirche wagt schon jetzt nicht mehr, offen
gegen das eigne Volkstum aufzutreten. Vielleicht bleibt die Rückwirkung auf
Welschtirol nicht aus. Freilich der Bischofssitz in Trient mit der italienischen
Priesterschaft muß einem deutscheu Orte weichen, soll nicht die Allmacht des
Klerus im deutschfeindlichen Sinne weiter gemißbraucht werden.

Zum Schlüsse möge ein bezeichnendes Stücklein der vielsprachigen öster¬
reichischen Liebenswürdigkeit oder richtiger antideutschen Anmaßung der fremden
Völkerschaften folgen. Die Wagen der Südbahn, die das ungarische Staats¬
gebiet nur innerhalb der italienischen Zone am Adriatischen Meere berührt,
sind natürlich mit ungarischen Bekanntmachungen neben den deutschen geschmückt,
denen sich gelegentlich auch italienische anschließen. Ja sogar die Bahnhöfe
weisen ungarische Anschläge ans mitten in den deutschen Alpen Tirols! stolzer
kann sich der lächerliche Dünkel der transleithanischen Reichshälfte nicht zeigen.
Als würdiges Gegenstück enthalten sämtliche bayrischen V-Wagen die Wörtchen
N0ii sxcmLÄri (Nicht herauslehnen), weil einige Durchgangswagen bis Verona
und Rom fahren. Die Fahrgäste sind fast ausschließlich Deutsche, fast nie
Italiener. Die entsprechenden italienischen Wagen führen natürlich keine
deutsche Aufschrift, obwohl sie deutsche Reisende nach Deutschland bringen.
Ja es ist eine schöne Sache um den deutschen Nationalstolz, selbst im neuen
Reiche. Die großen deutschen Durchgangsstationen wimmeln besonders in
Baden und im Elsaß von fremdsprachigen Übersetzungen zum Verständnis der
Ausländer. In Oberitalien, wo man in den Reisezeiten fast nur deutsch auf
der Eisenbahn hört, findet man kein deutsches Wort, wenn sich auch auf dem
Markusplatz in Venedig am Abend mehr Deutsche als Italiener ergehen. Die
Italiener handeln nur folgerichtig. Wer nach Italien reist, muß wenigstens
notdürftig der Landessprache kundig sein. In Deutschland versteht dafür fast
jeder el" Bischen von den fremden Sprachen und bemüht sich, das den Fremden
zu beweisen.

Am schlimmsten steht es freilich mit dem Nachbarland Tirols, der Schweiz.
Zwar hetzt hier kein undeutscher Klerus das bethörte Volk gegen die deutsche
Bildung auf; auch findet der demokratische Freisinn des Reiches die gesinnungs¬
tüchtigsten Parteibruder von rauhester Lebensart wieder, die das Herz Richters
und Papers erfreuen müßten. Mit Genugthuung ruft der Schweizer es auf
allen Gassen, daß drei verschiedne Nationen friedlich zusammen Hausen und ein
verderblicher Sprachenstreit keine Stätte in der freien Schweiz finde. Doch


Politische Reisebetrachtungen aus dem deutschen Süden

so muß man doch ihren klerikalen Gegnern als schlimmen Volksfeinden mit
den schärfsten Waffen entgegen treten. Der national gesinnte Deutsche Öster¬
reichs sieht hilfeheischend über die Grenze, und unsre nationale Pflicht ist es,
unbekümmert um völkerrechtliche Bedenken, die bloß die beiden Regierungen
angehen, den bedrängten Brüdern unsre offne Teilnahme zuzuwenden. Zur
Zeit ist eine Einmischung ausgeschlossen, und es ist noch anzunehmen, daß den
Tirolern die Abwehr gelingt. Die Kirche wagt schon jetzt nicht mehr, offen
gegen das eigne Volkstum aufzutreten. Vielleicht bleibt die Rückwirkung auf
Welschtirol nicht aus. Freilich der Bischofssitz in Trient mit der italienischen
Priesterschaft muß einem deutscheu Orte weichen, soll nicht die Allmacht des
Klerus im deutschfeindlichen Sinne weiter gemißbraucht werden.

Zum Schlüsse möge ein bezeichnendes Stücklein der vielsprachigen öster¬
reichischen Liebenswürdigkeit oder richtiger antideutschen Anmaßung der fremden
Völkerschaften folgen. Die Wagen der Südbahn, die das ungarische Staats¬
gebiet nur innerhalb der italienischen Zone am Adriatischen Meere berührt,
sind natürlich mit ungarischen Bekanntmachungen neben den deutschen geschmückt,
denen sich gelegentlich auch italienische anschließen. Ja sogar die Bahnhöfe
weisen ungarische Anschläge ans mitten in den deutschen Alpen Tirols! stolzer
kann sich der lächerliche Dünkel der transleithanischen Reichshälfte nicht zeigen.
Als würdiges Gegenstück enthalten sämtliche bayrischen V-Wagen die Wörtchen
N0ii sxcmLÄri (Nicht herauslehnen), weil einige Durchgangswagen bis Verona
und Rom fahren. Die Fahrgäste sind fast ausschließlich Deutsche, fast nie
Italiener. Die entsprechenden italienischen Wagen führen natürlich keine
deutsche Aufschrift, obwohl sie deutsche Reisende nach Deutschland bringen.
Ja es ist eine schöne Sache um den deutschen Nationalstolz, selbst im neuen
Reiche. Die großen deutschen Durchgangsstationen wimmeln besonders in
Baden und im Elsaß von fremdsprachigen Übersetzungen zum Verständnis der
Ausländer. In Oberitalien, wo man in den Reisezeiten fast nur deutsch auf
der Eisenbahn hört, findet man kein deutsches Wort, wenn sich auch auf dem
Markusplatz in Venedig am Abend mehr Deutsche als Italiener ergehen. Die
Italiener handeln nur folgerichtig. Wer nach Italien reist, muß wenigstens
notdürftig der Landessprache kundig sein. In Deutschland versteht dafür fast
jeder el» Bischen von den fremden Sprachen und bemüht sich, das den Fremden
zu beweisen.

Am schlimmsten steht es freilich mit dem Nachbarland Tirols, der Schweiz.
Zwar hetzt hier kein undeutscher Klerus das bethörte Volk gegen die deutsche
Bildung auf; auch findet der demokratische Freisinn des Reiches die gesinnungs¬
tüchtigsten Parteibruder von rauhester Lebensart wieder, die das Herz Richters
und Papers erfreuen müßten. Mit Genugthuung ruft der Schweizer es auf
allen Gassen, daß drei verschiedne Nationen friedlich zusammen Hausen und ein
verderblicher Sprachenstreit keine Stätte in der freien Schweiz finde. Doch


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[0525] Politische Reisebetrachtungen aus dem deutschen Süden so muß man doch ihren klerikalen Gegnern als schlimmen Volksfeinden mit den schärfsten Waffen entgegen treten. Der national gesinnte Deutsche Öster¬ reichs sieht hilfeheischend über die Grenze, und unsre nationale Pflicht ist es, unbekümmert um völkerrechtliche Bedenken, die bloß die beiden Regierungen angehen, den bedrängten Brüdern unsre offne Teilnahme zuzuwenden. Zur Zeit ist eine Einmischung ausgeschlossen, und es ist noch anzunehmen, daß den Tirolern die Abwehr gelingt. Die Kirche wagt schon jetzt nicht mehr, offen gegen das eigne Volkstum aufzutreten. Vielleicht bleibt die Rückwirkung auf Welschtirol nicht aus. Freilich der Bischofssitz in Trient mit der italienischen Priesterschaft muß einem deutscheu Orte weichen, soll nicht die Allmacht des Klerus im deutschfeindlichen Sinne weiter gemißbraucht werden. Zum Schlüsse möge ein bezeichnendes Stücklein der vielsprachigen öster¬ reichischen Liebenswürdigkeit oder richtiger antideutschen Anmaßung der fremden Völkerschaften folgen. Die Wagen der Südbahn, die das ungarische Staats¬ gebiet nur innerhalb der italienischen Zone am Adriatischen Meere berührt, sind natürlich mit ungarischen Bekanntmachungen neben den deutschen geschmückt, denen sich gelegentlich auch italienische anschließen. Ja sogar die Bahnhöfe weisen ungarische Anschläge ans mitten in den deutschen Alpen Tirols! stolzer kann sich der lächerliche Dünkel der transleithanischen Reichshälfte nicht zeigen. Als würdiges Gegenstück enthalten sämtliche bayrischen V-Wagen die Wörtchen N0ii sxcmLÄri (Nicht herauslehnen), weil einige Durchgangswagen bis Verona und Rom fahren. Die Fahrgäste sind fast ausschließlich Deutsche, fast nie Italiener. Die entsprechenden italienischen Wagen führen natürlich keine deutsche Aufschrift, obwohl sie deutsche Reisende nach Deutschland bringen. Ja es ist eine schöne Sache um den deutschen Nationalstolz, selbst im neuen Reiche. Die großen deutschen Durchgangsstationen wimmeln besonders in Baden und im Elsaß von fremdsprachigen Übersetzungen zum Verständnis der Ausländer. In Oberitalien, wo man in den Reisezeiten fast nur deutsch auf der Eisenbahn hört, findet man kein deutsches Wort, wenn sich auch auf dem Markusplatz in Venedig am Abend mehr Deutsche als Italiener ergehen. Die Italiener handeln nur folgerichtig. Wer nach Italien reist, muß wenigstens notdürftig der Landessprache kundig sein. In Deutschland versteht dafür fast jeder el» Bischen von den fremden Sprachen und bemüht sich, das den Fremden zu beweisen. Am schlimmsten steht es freilich mit dem Nachbarland Tirols, der Schweiz. Zwar hetzt hier kein undeutscher Klerus das bethörte Volk gegen die deutsche Bildung auf; auch findet der demokratische Freisinn des Reiches die gesinnungs¬ tüchtigsten Parteibruder von rauhester Lebensart wieder, die das Herz Richters und Papers erfreuen müßten. Mit Genugthuung ruft der Schweizer es auf allen Gassen, daß drei verschiedne Nationen friedlich zusammen Hausen und ein verderblicher Sprachenstreit keine Stätte in der freien Schweiz finde. Doch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/525>, abgerufen am 05.06.2024.