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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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August Strindbergs Inferno

sich auch schließlich nicht mehr, wenn Strindberg unmittelbar darauf im Epilog
sich im Rückblick auf sein früheres Sündenleben und -Wirken für einen Prahler
und Lügenpropheten erklärt: einen recht unangenehmen, fast widerwärtigen
Eindruck macht dieses zehn Zeilen lange eonäsinno et exoroi^o ins, das wir
nicht wiederholen mögen, allerdings. Es ist aber doch nur die Moral und der
misererehafte Schlußakkord des ganzen Buches, das man mit Anlehnung um den
alten, derben Johann Heinrich Voß vom gegnerischen Standpunkt aus betiteln
könnte: Wie ward August Strindberg ein Unfreier?

Die katholische Kirche hat, ihren Vorzügen unbeschadet, von jeher eine
große Anziehungskraft besonders ans zwei Klassen von Leuten gehabt: auf die
romantischen Schwärmer und auf die innern Bankrotteure. Die erste Art hat
Schiller in seinem Mortimer mit tiefem Verständnis ein für allemal klassisch
geschildert, in Mortimer, der vorbildlich ist für so viele nach Rom fahrende
Künstler:


Wie wurde mir, als ich ins Innre nun
Der Kirchen trat, und die Musik der Himmel
Herunterstieg, und der Gestalten Fülle
Verschwenderisch aus Wand und Decke quoll,
Das Herrlichste und Höchste, gegenwärtig,
Vor den entzückten Sinnen sich bewegte -- --

Zu der zweiten Klasse gehört neben vielen andern Strindberg. der übrigens
selbst im ganzen unsrer Ansicht ist und eine ziemlich richtige Auffassung seiner
Verwandlung gleich auf den ersten Seiten seines Buches verrät, wenn er
S. 18 in seiner Weise erklärt: "Ein Bankrottier der Gesellschaft, werde ich in
einer andern Welt wieder geboren." Auf dem geretteten Boot der Mystik treibt
der schwedische Dichter in den ruhigen Hafen der alleinseligmachenden Kirche,
wie vor ihm zu Anfang dieses Jahrhunderts Zacharias Werner, der deutsche
Dichter, der mit Strindberg in seiner Lebensführung und in seiner innern
Entwicklung so sehr viel Ähnlichkeiten bietet. Sein halbes Leben stürmte er
fort in wilder Ruhelosigkeit und fast noch wilderer Genußsucht, um dann den
Rest im Schoß der katholischen Kirche als Geistlicher und Modeprediger Wiens
zu verdehnen. Er zehrte da kümmerlich von seiner Kraft, die sich in den
"Söhnen des Thals" und in "Martin Luther" einst großartig und doch
wieder beängstigend maßlos angekündigt hatte. Auch er widerrief dichterisch,
mit einem Drama, dessen Titel seiner ungewollt spottet: mit der "Weihe der
U L, Br. in Ser. nkraft.




August Strindbergs Inferno

sich auch schließlich nicht mehr, wenn Strindberg unmittelbar darauf im Epilog
sich im Rückblick auf sein früheres Sündenleben und -Wirken für einen Prahler
und Lügenpropheten erklärt: einen recht unangenehmen, fast widerwärtigen
Eindruck macht dieses zehn Zeilen lange eonäsinno et exoroi^o ins, das wir
nicht wiederholen mögen, allerdings. Es ist aber doch nur die Moral und der
misererehafte Schlußakkord des ganzen Buches, das man mit Anlehnung um den
alten, derben Johann Heinrich Voß vom gegnerischen Standpunkt aus betiteln
könnte: Wie ward August Strindberg ein Unfreier?

Die katholische Kirche hat, ihren Vorzügen unbeschadet, von jeher eine
große Anziehungskraft besonders ans zwei Klassen von Leuten gehabt: auf die
romantischen Schwärmer und auf die innern Bankrotteure. Die erste Art hat
Schiller in seinem Mortimer mit tiefem Verständnis ein für allemal klassisch
geschildert, in Mortimer, der vorbildlich ist für so viele nach Rom fahrende
Künstler:


Wie wurde mir, als ich ins Innre nun
Der Kirchen trat, und die Musik der Himmel
Herunterstieg, und der Gestalten Fülle
Verschwenderisch aus Wand und Decke quoll,
Das Herrlichste und Höchste, gegenwärtig,
Vor den entzückten Sinnen sich bewegte — —

Zu der zweiten Klasse gehört neben vielen andern Strindberg. der übrigens
selbst im ganzen unsrer Ansicht ist und eine ziemlich richtige Auffassung seiner
Verwandlung gleich auf den ersten Seiten seines Buches verrät, wenn er
S. 18 in seiner Weise erklärt: „Ein Bankrottier der Gesellschaft, werde ich in
einer andern Welt wieder geboren." Auf dem geretteten Boot der Mystik treibt
der schwedische Dichter in den ruhigen Hafen der alleinseligmachenden Kirche,
wie vor ihm zu Anfang dieses Jahrhunderts Zacharias Werner, der deutsche
Dichter, der mit Strindberg in seiner Lebensführung und in seiner innern
Entwicklung so sehr viel Ähnlichkeiten bietet. Sein halbes Leben stürmte er
fort in wilder Ruhelosigkeit und fast noch wilderer Genußsucht, um dann den
Rest im Schoß der katholischen Kirche als Geistlicher und Modeprediger Wiens
zu verdehnen. Er zehrte da kümmerlich von seiner Kraft, die sich in den
„Söhnen des Thals" und in „Martin Luther" einst großartig und doch
wieder beängstigend maßlos angekündigt hatte. Auch er widerrief dichterisch,
mit einem Drama, dessen Titel seiner ungewollt spottet: mit der „Weihe der
U L, Br. in Ser. nkraft.




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[0601] August Strindbergs Inferno sich auch schließlich nicht mehr, wenn Strindberg unmittelbar darauf im Epilog sich im Rückblick auf sein früheres Sündenleben und -Wirken für einen Prahler und Lügenpropheten erklärt: einen recht unangenehmen, fast widerwärtigen Eindruck macht dieses zehn Zeilen lange eonäsinno et exoroi^o ins, das wir nicht wiederholen mögen, allerdings. Es ist aber doch nur die Moral und der misererehafte Schlußakkord des ganzen Buches, das man mit Anlehnung um den alten, derben Johann Heinrich Voß vom gegnerischen Standpunkt aus betiteln könnte: Wie ward August Strindberg ein Unfreier? Die katholische Kirche hat, ihren Vorzügen unbeschadet, von jeher eine große Anziehungskraft besonders ans zwei Klassen von Leuten gehabt: auf die romantischen Schwärmer und auf die innern Bankrotteure. Die erste Art hat Schiller in seinem Mortimer mit tiefem Verständnis ein für allemal klassisch geschildert, in Mortimer, der vorbildlich ist für so viele nach Rom fahrende Künstler: Wie wurde mir, als ich ins Innre nun Der Kirchen trat, und die Musik der Himmel Herunterstieg, und der Gestalten Fülle Verschwenderisch aus Wand und Decke quoll, Das Herrlichste und Höchste, gegenwärtig, Vor den entzückten Sinnen sich bewegte — — Zu der zweiten Klasse gehört neben vielen andern Strindberg. der übrigens selbst im ganzen unsrer Ansicht ist und eine ziemlich richtige Auffassung seiner Verwandlung gleich auf den ersten Seiten seines Buches verrät, wenn er S. 18 in seiner Weise erklärt: „Ein Bankrottier der Gesellschaft, werde ich in einer andern Welt wieder geboren." Auf dem geretteten Boot der Mystik treibt der schwedische Dichter in den ruhigen Hafen der alleinseligmachenden Kirche, wie vor ihm zu Anfang dieses Jahrhunderts Zacharias Werner, der deutsche Dichter, der mit Strindberg in seiner Lebensführung und in seiner innern Entwicklung so sehr viel Ähnlichkeiten bietet. Sein halbes Leben stürmte er fort in wilder Ruhelosigkeit und fast noch wilderer Genußsucht, um dann den Rest im Schoß der katholischen Kirche als Geistlicher und Modeprediger Wiens zu verdehnen. Er zehrte da kümmerlich von seiner Kraft, die sich in den „Söhnen des Thals" und in „Martin Luther" einst großartig und doch wieder beängstigend maßlos angekündigt hatte. Auch er widerrief dichterisch, mit einem Drama, dessen Titel seiner ungewollt spottet: mit der „Weihe der U L, Br. in Ser. nkraft.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/601>, abgerufen am 16.05.2024.