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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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lvehrwesen und Sozialöemokratie

Ihre Mannschaften werden durch eine so ungerecht wie nur irgend möglich
gehandhabte Konskription aufgebracht. Die Ausrüstung wie die Ausbildung
sind über alle Maßen mangelhaft; die Verteidiger von San Jago ti Cuba
entbehrten bekanntlich des Proviants wie der Munition. Die spanische Ober¬
führung ist indolent und wenig kriegserfahren; sie hat niemals das Beispiel
eines modernen großen Krieges mit eignen Augen gesehen. Dagegen haben
die Vereinigten Staaten eine ansehnliche Streitkraft zur See, deren Ausrüstung
wie Ausbildung und Führung mit den Forderungen der Zeit, wenigstens allem
Anschein nach, Schritt hielt. Die amerikanischen Seeleute sind durch Werbung
aufgebracht, sie werden vortrefflich bezahlt und verpflegt; ihre höhern Führer
haben ausnahmslos eine nicht zu unterschätzende Kriegserfahrung.

Die nordamerikanischen Landtruppen, die bisher ins Gefecht kamen, zählen
zu dem stehenden, gewordnen Heere, für das keine Mittel gescheut werden,
um es gehörig schlagfertig zu erhalten. Die höhern Führer (Generale Miles,
Shafter usw.) standen schon im Sezessionskriege an der Spitze von strategischen
Einheiten (Divisionen, Korps); die Subalternen sind Berufsoffiziere und auf
der ausgezeichneten Militärakademie von West-Point gebildet worden. Daß
sich die wirkliche Armee der Vereinigten Staaten nicht als Volkswehr fühlt,
geht schon daraus hervor, daß sie den kubanischen Insurgenten, die ihrerseits
Volkswehrcn pg>>' öxvellonoo im Sinne der Sozialdemokraten sind, mit aus-
gesprochner Verachtung begegnen. Und nun die amerikanischen Milizen! Sie
sind von dem Augenblick an, wo sie in den wirklichen Kriegsdienst treten,
"Freiwillige," also gewordne Soldaten. Die allgemeine Dienstpflicht besteht
nicht in den Vereinigten Staaten. Niemand kann dort zum Wasserträger ge¬
zwungen werden. So weigerte sich denn auch ein fashionables Newyorker
Regiment, in den Krieg zu ziehen, und kein Bericht meldet, daß es wegen
offenbarer Meuterei zur kriegsgerichtlichen Verantwortung gezogen worden sei.

Von einem Felddienste der nordamerikanischen Freiwilligen hat man so
gut wie nichts gehört, wohl aber von ihren Exzessen in den Kneipen von
Tampa und von einer völlig verunglückten Parade vor dem Präsidenten. Es
ergiebt sich also nach diesen Ausführungen folgendes: 1. Eine vorzügliche
Marine oder ein gutes, geworbnes Heer haben über eine verfallne Seemacht
und einen Teil einer vollständig hinter den Forderungen der Zeit zurückge¬
bliebnen Konskriptionsarmee gesiegt. 2. Die Erkenntnis des bisher beobachteten
fehlerhaften Verfahrens in der Heeresorganisation wird die Vereinigten Staaten
zwingen, wollen sie ihre Eroberungen schützen und ihre Europa gegenüber ge¬
wonnene Machtstellung bewahren, eine ansehnliche See- und Landmacht auf¬
zubringen. Sie werden, da dem Volke schwerlich die allgemeine Dienstpflicht
gefallen wird, das bisherige gewordne Heer sehr verstärken müssen, wodurch
ungeheure Kosten entstehen werden. Es dürfte ferner nach allem menschlichen
Ermessen eine Zeit kommen, wo die Leute, die heute von den großen Erfolgen


lvehrwesen und Sozialöemokratie

Ihre Mannschaften werden durch eine so ungerecht wie nur irgend möglich
gehandhabte Konskription aufgebracht. Die Ausrüstung wie die Ausbildung
sind über alle Maßen mangelhaft; die Verteidiger von San Jago ti Cuba
entbehrten bekanntlich des Proviants wie der Munition. Die spanische Ober¬
führung ist indolent und wenig kriegserfahren; sie hat niemals das Beispiel
eines modernen großen Krieges mit eignen Augen gesehen. Dagegen haben
die Vereinigten Staaten eine ansehnliche Streitkraft zur See, deren Ausrüstung
wie Ausbildung und Führung mit den Forderungen der Zeit, wenigstens allem
Anschein nach, Schritt hielt. Die amerikanischen Seeleute sind durch Werbung
aufgebracht, sie werden vortrefflich bezahlt und verpflegt; ihre höhern Führer
haben ausnahmslos eine nicht zu unterschätzende Kriegserfahrung.

Die nordamerikanischen Landtruppen, die bisher ins Gefecht kamen, zählen
zu dem stehenden, gewordnen Heere, für das keine Mittel gescheut werden,
um es gehörig schlagfertig zu erhalten. Die höhern Führer (Generale Miles,
Shafter usw.) standen schon im Sezessionskriege an der Spitze von strategischen
Einheiten (Divisionen, Korps); die Subalternen sind Berufsoffiziere und auf
der ausgezeichneten Militärakademie von West-Point gebildet worden. Daß
sich die wirkliche Armee der Vereinigten Staaten nicht als Volkswehr fühlt,
geht schon daraus hervor, daß sie den kubanischen Insurgenten, die ihrerseits
Volkswehrcn pg>>' öxvellonoo im Sinne der Sozialdemokraten sind, mit aus-
gesprochner Verachtung begegnen. Und nun die amerikanischen Milizen! Sie
sind von dem Augenblick an, wo sie in den wirklichen Kriegsdienst treten,
„Freiwillige," also gewordne Soldaten. Die allgemeine Dienstpflicht besteht
nicht in den Vereinigten Staaten. Niemand kann dort zum Wasserträger ge¬
zwungen werden. So weigerte sich denn auch ein fashionables Newyorker
Regiment, in den Krieg zu ziehen, und kein Bericht meldet, daß es wegen
offenbarer Meuterei zur kriegsgerichtlichen Verantwortung gezogen worden sei.

Von einem Felddienste der nordamerikanischen Freiwilligen hat man so
gut wie nichts gehört, wohl aber von ihren Exzessen in den Kneipen von
Tampa und von einer völlig verunglückten Parade vor dem Präsidenten. Es
ergiebt sich also nach diesen Ausführungen folgendes: 1. Eine vorzügliche
Marine oder ein gutes, geworbnes Heer haben über eine verfallne Seemacht
und einen Teil einer vollständig hinter den Forderungen der Zeit zurückge¬
bliebnen Konskriptionsarmee gesiegt. 2. Die Erkenntnis des bisher beobachteten
fehlerhaften Verfahrens in der Heeresorganisation wird die Vereinigten Staaten
zwingen, wollen sie ihre Eroberungen schützen und ihre Europa gegenüber ge¬
wonnene Machtstellung bewahren, eine ansehnliche See- und Landmacht auf¬
zubringen. Sie werden, da dem Volke schwerlich die allgemeine Dienstpflicht
gefallen wird, das bisherige gewordne Heer sehr verstärken müssen, wodurch
ungeheure Kosten entstehen werden. Es dürfte ferner nach allem menschlichen
Ermessen eine Zeit kommen, wo die Leute, die heute von den großen Erfolgen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/190>, abgerufen am 27.05.2024.