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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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lvehrwesen und Sozialdemokratie

genießt und genießen muß, wenn seine Truppe überhaupt auch nur den kleinsten
seiner Befehle ausführen soll, hängt aber keineswegs ab von der Einsicht der
Truppe, sondern von den agitatorischen Elementen, die sich in ihr finden.
Diese werden ebenso gut in der Kompagnie wie in der Parteiversammlung den
Ausschlag geben; die Masse wird aber hier wie dort das sprachlose Stimmvieh
sein. Die "Genossen in den vordern Reihen der Partei," die schon heute auf
den Parteitagen und hinter den Kulissen des politischen Theaters so viel
Gegnerschaft finden, dürften ihres Lebens nicht mehr sicher sein, wenn sie als
echte Dilettanten die Volkswehren, die über geladne Gewehre verfügen, kom¬
mandieren wollten. Nicht dadurch, daß die Truppe sich ihre Offiziere wählt,
wird das notwendige Vertrauen der Mannschaft in die Führung begründet,
sondern allein durch die Tüchtigkeit der Offiziere. Tüchtige Führer finden sich
aber nicht von heute auf morgen. Man spricht nicht umsonst von einer Kriegs¬
kunst. Kunstfertigkeit will aber errungen werden durch mühseliges Streben,
und über künstlerische Leistungen gerecht zu urteilen, müssen wir doch wohl
den feingebildeten Ästhetikern überlassen. Dies auf das militärische Beispiel
angewandt, heißt: Die Truppe wird scharf kritisieren -- wie die breite Masse
des Publikums es auch thut --, aber sie wird niemals ein wirkliches Urteil
abgeben können, weil ihr der gehörige Maßstab, ja selbst die Ausdrucksweise
dafür fehlt. Unsre Zeit glaubt nicht mehr an die Richtigkeit des bequemen
Satzes: Vox xoxuli, vox vczi; selbst die Sozialdemokraten wollen davon nichts
mehr wissen.

Es giebt zwei größere Beispiele aus der Geschichte der neuesten Zeit, die
uns zeigen, was Volkswehren unter selbstgewählten, besser gesagt, ihnen durch
politische Schwadroniererei aufgedrängten Führern leisten. Da ist zunächst
der unselige badisch-pfälzische Aufstand von 1849. Als Truppenmaterial
kamen neben Freischaren reguläre badische Regimenter in Betracht, unter den
Führern fanden sich viele, die gedient und eine gewisse militärische Begabung
hatten. Und was sehen wir? Intriguen, Verratsverdüchtigungen, Durchkreuzen
der Befehle, offnen Ungehorsam neben absoluter Unfähigkeit, Feigheit und
thatsächlicher Verrüterei. Ferner steht uns der über alle Maßen grüßliche
Kampf der Kommune von 1871 vor Augen. Und was finden wir dort?
Den noch etwas mehr verzerrten, noch leidenschaftlicher sich selbst unter¬
grabenden Widerstand der Volkswehren. Nein, wer nur einen Funken Mensch¬
lichkeit in sich fühlt, der darf zu solchen, von einer einseitig doktrinären Politik
diktierten Maßnahmen nicht raten. Wen" er es dennoch thut, nachdem er sich
die kriegsgeschichtlichen Beispiele gehörig vergegenwärtigt hat, so ist er ein --
Volksfeind. Denn das Volk muß schließlich die blutige Zeche bezahlen mit
all dem Jammer, den jeder Krieg heraufbeschwört; die wahrhaft Schuldigen
gehen meistens leer aus, und wenn sie wirklich büßen, so bleibt ihnen trotz
allem die Palme des Märtyrers.


lvehrwesen und Sozialdemokratie

genießt und genießen muß, wenn seine Truppe überhaupt auch nur den kleinsten
seiner Befehle ausführen soll, hängt aber keineswegs ab von der Einsicht der
Truppe, sondern von den agitatorischen Elementen, die sich in ihr finden.
Diese werden ebenso gut in der Kompagnie wie in der Parteiversammlung den
Ausschlag geben; die Masse wird aber hier wie dort das sprachlose Stimmvieh
sein. Die „Genossen in den vordern Reihen der Partei," die schon heute auf
den Parteitagen und hinter den Kulissen des politischen Theaters so viel
Gegnerschaft finden, dürften ihres Lebens nicht mehr sicher sein, wenn sie als
echte Dilettanten die Volkswehren, die über geladne Gewehre verfügen, kom¬
mandieren wollten. Nicht dadurch, daß die Truppe sich ihre Offiziere wählt,
wird das notwendige Vertrauen der Mannschaft in die Führung begründet,
sondern allein durch die Tüchtigkeit der Offiziere. Tüchtige Führer finden sich
aber nicht von heute auf morgen. Man spricht nicht umsonst von einer Kriegs¬
kunst. Kunstfertigkeit will aber errungen werden durch mühseliges Streben,
und über künstlerische Leistungen gerecht zu urteilen, müssen wir doch wohl
den feingebildeten Ästhetikern überlassen. Dies auf das militärische Beispiel
angewandt, heißt: Die Truppe wird scharf kritisieren — wie die breite Masse
des Publikums es auch thut —, aber sie wird niemals ein wirkliches Urteil
abgeben können, weil ihr der gehörige Maßstab, ja selbst die Ausdrucksweise
dafür fehlt. Unsre Zeit glaubt nicht mehr an die Richtigkeit des bequemen
Satzes: Vox xoxuli, vox vczi; selbst die Sozialdemokraten wollen davon nichts
mehr wissen.

Es giebt zwei größere Beispiele aus der Geschichte der neuesten Zeit, die
uns zeigen, was Volkswehren unter selbstgewählten, besser gesagt, ihnen durch
politische Schwadroniererei aufgedrängten Führern leisten. Da ist zunächst
der unselige badisch-pfälzische Aufstand von 1849. Als Truppenmaterial
kamen neben Freischaren reguläre badische Regimenter in Betracht, unter den
Führern fanden sich viele, die gedient und eine gewisse militärische Begabung
hatten. Und was sehen wir? Intriguen, Verratsverdüchtigungen, Durchkreuzen
der Befehle, offnen Ungehorsam neben absoluter Unfähigkeit, Feigheit und
thatsächlicher Verrüterei. Ferner steht uns der über alle Maßen grüßliche
Kampf der Kommune von 1871 vor Augen. Und was finden wir dort?
Den noch etwas mehr verzerrten, noch leidenschaftlicher sich selbst unter¬
grabenden Widerstand der Volkswehren. Nein, wer nur einen Funken Mensch¬
lichkeit in sich fühlt, der darf zu solchen, von einer einseitig doktrinären Politik
diktierten Maßnahmen nicht raten. Wen» er es dennoch thut, nachdem er sich
die kriegsgeschichtlichen Beispiele gehörig vergegenwärtigt hat, so ist er ein —
Volksfeind. Denn das Volk muß schließlich die blutige Zeche bezahlen mit
all dem Jammer, den jeder Krieg heraufbeschwört; die wahrhaft Schuldigen
gehen meistens leer aus, und wenn sie wirklich büßen, so bleibt ihnen trotz
allem die Palme des Märtyrers.


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[0192] lvehrwesen und Sozialdemokratie genießt und genießen muß, wenn seine Truppe überhaupt auch nur den kleinsten seiner Befehle ausführen soll, hängt aber keineswegs ab von der Einsicht der Truppe, sondern von den agitatorischen Elementen, die sich in ihr finden. Diese werden ebenso gut in der Kompagnie wie in der Parteiversammlung den Ausschlag geben; die Masse wird aber hier wie dort das sprachlose Stimmvieh sein. Die „Genossen in den vordern Reihen der Partei," die schon heute auf den Parteitagen und hinter den Kulissen des politischen Theaters so viel Gegnerschaft finden, dürften ihres Lebens nicht mehr sicher sein, wenn sie als echte Dilettanten die Volkswehren, die über geladne Gewehre verfügen, kom¬ mandieren wollten. Nicht dadurch, daß die Truppe sich ihre Offiziere wählt, wird das notwendige Vertrauen der Mannschaft in die Führung begründet, sondern allein durch die Tüchtigkeit der Offiziere. Tüchtige Führer finden sich aber nicht von heute auf morgen. Man spricht nicht umsonst von einer Kriegs¬ kunst. Kunstfertigkeit will aber errungen werden durch mühseliges Streben, und über künstlerische Leistungen gerecht zu urteilen, müssen wir doch wohl den feingebildeten Ästhetikern überlassen. Dies auf das militärische Beispiel angewandt, heißt: Die Truppe wird scharf kritisieren — wie die breite Masse des Publikums es auch thut —, aber sie wird niemals ein wirkliches Urteil abgeben können, weil ihr der gehörige Maßstab, ja selbst die Ausdrucksweise dafür fehlt. Unsre Zeit glaubt nicht mehr an die Richtigkeit des bequemen Satzes: Vox xoxuli, vox vczi; selbst die Sozialdemokraten wollen davon nichts mehr wissen. Es giebt zwei größere Beispiele aus der Geschichte der neuesten Zeit, die uns zeigen, was Volkswehren unter selbstgewählten, besser gesagt, ihnen durch politische Schwadroniererei aufgedrängten Führern leisten. Da ist zunächst der unselige badisch-pfälzische Aufstand von 1849. Als Truppenmaterial kamen neben Freischaren reguläre badische Regimenter in Betracht, unter den Führern fanden sich viele, die gedient und eine gewisse militärische Begabung hatten. Und was sehen wir? Intriguen, Verratsverdüchtigungen, Durchkreuzen der Befehle, offnen Ungehorsam neben absoluter Unfähigkeit, Feigheit und thatsächlicher Verrüterei. Ferner steht uns der über alle Maßen grüßliche Kampf der Kommune von 1871 vor Augen. Und was finden wir dort? Den noch etwas mehr verzerrten, noch leidenschaftlicher sich selbst unter¬ grabenden Widerstand der Volkswehren. Nein, wer nur einen Funken Mensch¬ lichkeit in sich fühlt, der darf zu solchen, von einer einseitig doktrinären Politik diktierten Maßnahmen nicht raten. Wen» er es dennoch thut, nachdem er sich die kriegsgeschichtlichen Beispiele gehörig vergegenwärtigt hat, so ist er ein — Volksfeind. Denn das Volk muß schließlich die blutige Zeche bezahlen mit all dem Jammer, den jeder Krieg heraufbeschwört; die wahrhaft Schuldigen gehen meistens leer aus, und wenn sie wirklich büßen, so bleibt ihnen trotz allem die Palme des Märtyrers.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/192>, abgerufen am 19.05.2024.