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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Ein deutscher Jesuitenpater als Kolonisator in Siidbrasilien

auch sonst in seinen Angaben einen zuverlässigen Eindruck macht und daher
selbst den ausgesprochnen Gegnern der Jesuiten und ihres Missionswerks
Achtung abnötigt. Die Ordensbrüder, die jede Lüge, wenn sie nur zum Vor¬
teil des Ordens diente, gleisnerisch entschuldigten, waren eher an den Fürsten¬
höfen Europas, als in den Urwäldern der Neuen Welt zu finden. Und gewiß
ist auch das Urteil durchaus ehrlich gemeint, das er über die Vorzüge Para-
quarias -- wozu das ganze von dem Netz der Jesuitenmissionen umspannte
Territorium des Laplatastromsystems gehört -- gegenüber der Alten Welt
fällt. "Ich lasse das Wälschland einen Lustgarten Europae sein, heißt es,
Teutschland ein irdisches Paradeiß, Frankreich eine Zierde aller Gärten: so
bin ich doch gcintzlicher Mainung, daß Paraquaria dise alle in Schön- und
Lustbarkeit weit übertreffe, weilen jene mehr von der Kunst als Natur, dises
aber alleinig ihre völlige Schönheit von der Natur her entlehnet. solle
Amerika wie Europa bewohnet sein und dise zwen Theil der Welt der große
Oceanus nicht also weit von einander entschiden hätte; würde Amerika in ein
volckreiches Europam, Europa aber in ein Amerikanische Einöde verkehret zu
sehen sein." Das Land der Missionen etwa als Auswauderungsziel anzu¬
preisen, konnte ihm nicht in den Sinn kommen, da ja die Jesuiten ängstlich
darauf bedacht waren, alle Europäer von ihren Reduktionen fern zu halten.
Übrigens liest sich heutzutage die Stelle fast wie eine Prophezeiung, die teil¬
weise schon in Erfüllung gegangen ist. Man denke nur an die von ihren
fleißigen Bedauern entblößten Hochflächen Schottlands oder an manche ent¬
völkerten Landstriche Italiens, deren Bewohner die Alte Welt mit der Neuen
vertauscht haben! Wo aber einst die Jesuiten ein Reich aufzurichten trach¬
teten, das sich von den Gestaden des Atlantischen bis zu denen des Stillen
Ozeans und von den Urwäldern des Amazonasgebiets bis zu den Steppen
Patagoniens erstrecken sollte, werden, wenn noch Tausende und Abertausende
von Einwandrern ihren Weg dorthin gefunden haben werden, neue Staaten¬
gebilde entstehen, und wo die Ruinen der alten Jesuitenkollegien heutzutage
der schweigenden Landschaft eine gewisse historische Staffage geben und den
Geist zu wehmütiger Betrachtung stimmen, wird emsige menschliche Thätigkeit
wiederum neues Leben und neues Gedeihen schaffen.




Ein deutscher Jesuitenpater als Kolonisator in Siidbrasilien

auch sonst in seinen Angaben einen zuverlässigen Eindruck macht und daher
selbst den ausgesprochnen Gegnern der Jesuiten und ihres Missionswerks
Achtung abnötigt. Die Ordensbrüder, die jede Lüge, wenn sie nur zum Vor¬
teil des Ordens diente, gleisnerisch entschuldigten, waren eher an den Fürsten¬
höfen Europas, als in den Urwäldern der Neuen Welt zu finden. Und gewiß
ist auch das Urteil durchaus ehrlich gemeint, das er über die Vorzüge Para-
quarias — wozu das ganze von dem Netz der Jesuitenmissionen umspannte
Territorium des Laplatastromsystems gehört — gegenüber der Alten Welt
fällt. „Ich lasse das Wälschland einen Lustgarten Europae sein, heißt es,
Teutschland ein irdisches Paradeiß, Frankreich eine Zierde aller Gärten: so
bin ich doch gcintzlicher Mainung, daß Paraquaria dise alle in Schön- und
Lustbarkeit weit übertreffe, weilen jene mehr von der Kunst als Natur, dises
aber alleinig ihre völlige Schönheit von der Natur her entlehnet. solle
Amerika wie Europa bewohnet sein und dise zwen Theil der Welt der große
Oceanus nicht also weit von einander entschiden hätte; würde Amerika in ein
volckreiches Europam, Europa aber in ein Amerikanische Einöde verkehret zu
sehen sein." Das Land der Missionen etwa als Auswauderungsziel anzu¬
preisen, konnte ihm nicht in den Sinn kommen, da ja die Jesuiten ängstlich
darauf bedacht waren, alle Europäer von ihren Reduktionen fern zu halten.
Übrigens liest sich heutzutage die Stelle fast wie eine Prophezeiung, die teil¬
weise schon in Erfüllung gegangen ist. Man denke nur an die von ihren
fleißigen Bedauern entblößten Hochflächen Schottlands oder an manche ent¬
völkerten Landstriche Italiens, deren Bewohner die Alte Welt mit der Neuen
vertauscht haben! Wo aber einst die Jesuiten ein Reich aufzurichten trach¬
teten, das sich von den Gestaden des Atlantischen bis zu denen des Stillen
Ozeans und von den Urwäldern des Amazonasgebiets bis zu den Steppen
Patagoniens erstrecken sollte, werden, wenn noch Tausende und Abertausende
von Einwandrern ihren Weg dorthin gefunden haben werden, neue Staaten¬
gebilde entstehen, und wo die Ruinen der alten Jesuitenkollegien heutzutage
der schweigenden Landschaft eine gewisse historische Staffage geben und den
Geist zu wehmütiger Betrachtung stimmen, wird emsige menschliche Thätigkeit
wiederum neues Leben und neues Gedeihen schaffen.




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[0274] Ein deutscher Jesuitenpater als Kolonisator in Siidbrasilien auch sonst in seinen Angaben einen zuverlässigen Eindruck macht und daher selbst den ausgesprochnen Gegnern der Jesuiten und ihres Missionswerks Achtung abnötigt. Die Ordensbrüder, die jede Lüge, wenn sie nur zum Vor¬ teil des Ordens diente, gleisnerisch entschuldigten, waren eher an den Fürsten¬ höfen Europas, als in den Urwäldern der Neuen Welt zu finden. Und gewiß ist auch das Urteil durchaus ehrlich gemeint, das er über die Vorzüge Para- quarias — wozu das ganze von dem Netz der Jesuitenmissionen umspannte Territorium des Laplatastromsystems gehört — gegenüber der Alten Welt fällt. „Ich lasse das Wälschland einen Lustgarten Europae sein, heißt es, Teutschland ein irdisches Paradeiß, Frankreich eine Zierde aller Gärten: so bin ich doch gcintzlicher Mainung, daß Paraquaria dise alle in Schön- und Lustbarkeit weit übertreffe, weilen jene mehr von der Kunst als Natur, dises aber alleinig ihre völlige Schönheit von der Natur her entlehnet. solle Amerika wie Europa bewohnet sein und dise zwen Theil der Welt der große Oceanus nicht also weit von einander entschiden hätte; würde Amerika in ein volckreiches Europam, Europa aber in ein Amerikanische Einöde verkehret zu sehen sein." Das Land der Missionen etwa als Auswauderungsziel anzu¬ preisen, konnte ihm nicht in den Sinn kommen, da ja die Jesuiten ängstlich darauf bedacht waren, alle Europäer von ihren Reduktionen fern zu halten. Übrigens liest sich heutzutage die Stelle fast wie eine Prophezeiung, die teil¬ weise schon in Erfüllung gegangen ist. Man denke nur an die von ihren fleißigen Bedauern entblößten Hochflächen Schottlands oder an manche ent¬ völkerten Landstriche Italiens, deren Bewohner die Alte Welt mit der Neuen vertauscht haben! Wo aber einst die Jesuiten ein Reich aufzurichten trach¬ teten, das sich von den Gestaden des Atlantischen bis zu denen des Stillen Ozeans und von den Urwäldern des Amazonasgebiets bis zu den Steppen Patagoniens erstrecken sollte, werden, wenn noch Tausende und Abertausende von Einwandrern ihren Weg dorthin gefunden haben werden, neue Staaten¬ gebilde entstehen, und wo die Ruinen der alten Jesuitenkollegien heutzutage der schweigenden Landschaft eine gewisse historische Staffage geben und den Geist zu wehmütiger Betrachtung stimmen, wird emsige menschliche Thätigkeit wiederum neues Leben und neues Gedeihen schaffen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/274>, abgerufen am 28.05.2024.