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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Gerhart Hauptmann und sein Biograph

Hofburgtheaters in Wien berufen wurde. Da weiß man denn wirklich nicht,
welches Interesse aktueller ist, das für den Dichter der Versunknen Glocke,
oder das für den Hofbnrgtheaterdirektor, von dessen Geist und Auffassung uns
ja doch das Buch zugleich ein Bild giebt. Über Hauptmanns Dramen ist vor¬
läufig wohl genug gesagt worden, aber sie in der Beleuchtung eines der fort¬
geschrittensten Kritiker anzuschauen, dürfte immerhin einige Teilnahme wecken.

Berichten wir zunächst über das, was uns das Buch, man sagt, nicht
ohne wesentliche Hilfe des Dichters selbst, über den Werdegang Hauptmanns
mitteilt.

Als der Knabe am 15. November 1862 zu Obersalzbrunn in Schlesien
geboren wurde, war sein Vater dort der wohlhabende Besitzer des großen Gast¬
hofs "Zur Preußischen Krone." und es konnte alles Nötige auf seine mW
seiner Brüder Ausbildung verwandt werden. Er besuchte erst die Dorfschule,
dann kam er nach Breslau auf das Realgymnasium. Aber er lernte schlecht
und hatte wenig Sinn für Schularbeit, sodnß er es nur bis Quarta brachte
und dann zu Verwandten aufs Land gegeben wurde, um dort die Landwirt¬
schaft zu lernen. Der Vater, der unterdes verarmt war und die Gastwirt¬
schaft eines kleinen Bahnhofs übernommen hatte, mußte darin zunächst eine
Pekuniäre Erleichterung sehen. Aber Gerhart hielt nicht aus; er sand auch
an der strengen Landarbeit keine Freude. Nur gewisse religiöse Anregungen
nahm er aus dem Hause des Onkels Schubert mit hinweg, dem er den einzigen
früh verstorbnen Sohn hatte ersetzen sollen. "In den Jahren der Entwicklung,
sagt Schlenther, drückte diese streng religiöse Geistesrichtung dem lebhaften
Knabengemüt, welches ohnehin zur transzendentalen Spekulation neigte, einen so
starken Stempel auf, daß Gerhart Hauptmann seither kaum etwas Größeres
gedichtet hat, ohne die Macht dieses Gepräges irgendwie und irgendwo spüren
zu lassen. Überall ist zu fühlen. wie tief und auch wie ungestüm Glaubens¬
dinge den Geist und das Herz des Jünglings aufgeregt haben. Schon im
Elternhause war Gott etwas mehr gewesen als ein guter Mann. Im täg¬
lichen Tischgebet, das eins der Kinder sprechen mußte, wurde seiner gedacht.
Und wie die Mama Vockerath der "Einsamen Menschen," so wird auch ihr
Urbild, die Mutter Hauptmann in der Preußischen Krone, wenn es nichts zu
braten und zu backen gab, am liebsten Geroks Palmblütter und Lavaters Worte
des Herzens gelesen haben. . . . Das Schubertsche Haus war eine weltliche
Domäne herrnhutischen Geistes. Hier erholten sich an schönen Sonntagnach¬
mittagen in traulicher Geselligkeit, wohl auch beim Schachbrett, das Onkel
Schuberts irdische Leidenschaft war, die Dorfpastoren der Umgegend von ihrer
Morgenpredigt, der die Hausherrschaft zuvor andächtig gelauscht hatte. Auch
si'r Tante Julie und Onkel Gustav war das irdische Vergnügen in Gott des
Lebens bester Teil. Und wie sich fromme, reine Christenherzen immer am
höchsten, am heiligsten, am freudigste" auf den Schwingen der Musik über die


Gerhart Hauptmann und sein Biograph

Hofburgtheaters in Wien berufen wurde. Da weiß man denn wirklich nicht,
welches Interesse aktueller ist, das für den Dichter der Versunknen Glocke,
oder das für den Hofbnrgtheaterdirektor, von dessen Geist und Auffassung uns
ja doch das Buch zugleich ein Bild giebt. Über Hauptmanns Dramen ist vor¬
läufig wohl genug gesagt worden, aber sie in der Beleuchtung eines der fort¬
geschrittensten Kritiker anzuschauen, dürfte immerhin einige Teilnahme wecken.

Berichten wir zunächst über das, was uns das Buch, man sagt, nicht
ohne wesentliche Hilfe des Dichters selbst, über den Werdegang Hauptmanns
mitteilt.

Als der Knabe am 15. November 1862 zu Obersalzbrunn in Schlesien
geboren wurde, war sein Vater dort der wohlhabende Besitzer des großen Gast¬
hofs „Zur Preußischen Krone." und es konnte alles Nötige auf seine mW
seiner Brüder Ausbildung verwandt werden. Er besuchte erst die Dorfschule,
dann kam er nach Breslau auf das Realgymnasium. Aber er lernte schlecht
und hatte wenig Sinn für Schularbeit, sodnß er es nur bis Quarta brachte
und dann zu Verwandten aufs Land gegeben wurde, um dort die Landwirt¬
schaft zu lernen. Der Vater, der unterdes verarmt war und die Gastwirt¬
schaft eines kleinen Bahnhofs übernommen hatte, mußte darin zunächst eine
Pekuniäre Erleichterung sehen. Aber Gerhart hielt nicht aus; er sand auch
an der strengen Landarbeit keine Freude. Nur gewisse religiöse Anregungen
nahm er aus dem Hause des Onkels Schubert mit hinweg, dem er den einzigen
früh verstorbnen Sohn hatte ersetzen sollen. „In den Jahren der Entwicklung,
sagt Schlenther, drückte diese streng religiöse Geistesrichtung dem lebhaften
Knabengemüt, welches ohnehin zur transzendentalen Spekulation neigte, einen so
starken Stempel auf, daß Gerhart Hauptmann seither kaum etwas Größeres
gedichtet hat, ohne die Macht dieses Gepräges irgendwie und irgendwo spüren
zu lassen. Überall ist zu fühlen. wie tief und auch wie ungestüm Glaubens¬
dinge den Geist und das Herz des Jünglings aufgeregt haben. Schon im
Elternhause war Gott etwas mehr gewesen als ein guter Mann. Im täg¬
lichen Tischgebet, das eins der Kinder sprechen mußte, wurde seiner gedacht.
Und wie die Mama Vockerath der »Einsamen Menschen,« so wird auch ihr
Urbild, die Mutter Hauptmann in der Preußischen Krone, wenn es nichts zu
braten und zu backen gab, am liebsten Geroks Palmblütter und Lavaters Worte
des Herzens gelesen haben. . . . Das Schubertsche Haus war eine weltliche
Domäne herrnhutischen Geistes. Hier erholten sich an schönen Sonntagnach¬
mittagen in traulicher Geselligkeit, wohl auch beim Schachbrett, das Onkel
Schuberts irdische Leidenschaft war, die Dorfpastoren der Umgegend von ihrer
Morgenpredigt, der die Hausherrschaft zuvor andächtig gelauscht hatte. Auch
si'r Tante Julie und Onkel Gustav war das irdische Vergnügen in Gott des
Lebens bester Teil. Und wie sich fromme, reine Christenherzen immer am
höchsten, am heiligsten, am freudigste» auf den Schwingen der Musik über die


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[0039] Gerhart Hauptmann und sein Biograph Hofburgtheaters in Wien berufen wurde. Da weiß man denn wirklich nicht, welches Interesse aktueller ist, das für den Dichter der Versunknen Glocke, oder das für den Hofbnrgtheaterdirektor, von dessen Geist und Auffassung uns ja doch das Buch zugleich ein Bild giebt. Über Hauptmanns Dramen ist vor¬ läufig wohl genug gesagt worden, aber sie in der Beleuchtung eines der fort¬ geschrittensten Kritiker anzuschauen, dürfte immerhin einige Teilnahme wecken. Berichten wir zunächst über das, was uns das Buch, man sagt, nicht ohne wesentliche Hilfe des Dichters selbst, über den Werdegang Hauptmanns mitteilt. Als der Knabe am 15. November 1862 zu Obersalzbrunn in Schlesien geboren wurde, war sein Vater dort der wohlhabende Besitzer des großen Gast¬ hofs „Zur Preußischen Krone." und es konnte alles Nötige auf seine mW seiner Brüder Ausbildung verwandt werden. Er besuchte erst die Dorfschule, dann kam er nach Breslau auf das Realgymnasium. Aber er lernte schlecht und hatte wenig Sinn für Schularbeit, sodnß er es nur bis Quarta brachte und dann zu Verwandten aufs Land gegeben wurde, um dort die Landwirt¬ schaft zu lernen. Der Vater, der unterdes verarmt war und die Gastwirt¬ schaft eines kleinen Bahnhofs übernommen hatte, mußte darin zunächst eine Pekuniäre Erleichterung sehen. Aber Gerhart hielt nicht aus; er sand auch an der strengen Landarbeit keine Freude. Nur gewisse religiöse Anregungen nahm er aus dem Hause des Onkels Schubert mit hinweg, dem er den einzigen früh verstorbnen Sohn hatte ersetzen sollen. „In den Jahren der Entwicklung, sagt Schlenther, drückte diese streng religiöse Geistesrichtung dem lebhaften Knabengemüt, welches ohnehin zur transzendentalen Spekulation neigte, einen so starken Stempel auf, daß Gerhart Hauptmann seither kaum etwas Größeres gedichtet hat, ohne die Macht dieses Gepräges irgendwie und irgendwo spüren zu lassen. Überall ist zu fühlen. wie tief und auch wie ungestüm Glaubens¬ dinge den Geist und das Herz des Jünglings aufgeregt haben. Schon im Elternhause war Gott etwas mehr gewesen als ein guter Mann. Im täg¬ lichen Tischgebet, das eins der Kinder sprechen mußte, wurde seiner gedacht. Und wie die Mama Vockerath der »Einsamen Menschen,« so wird auch ihr Urbild, die Mutter Hauptmann in der Preußischen Krone, wenn es nichts zu braten und zu backen gab, am liebsten Geroks Palmblütter und Lavaters Worte des Herzens gelesen haben. . . . Das Schubertsche Haus war eine weltliche Domäne herrnhutischen Geistes. Hier erholten sich an schönen Sonntagnach¬ mittagen in traulicher Geselligkeit, wohl auch beim Schachbrett, das Onkel Schuberts irdische Leidenschaft war, die Dorfpastoren der Umgegend von ihrer Morgenpredigt, der die Hausherrschaft zuvor andächtig gelauscht hatte. Auch si'r Tante Julie und Onkel Gustav war das irdische Vergnügen in Gott des Lebens bester Teil. Und wie sich fromme, reine Christenherzen immer am höchsten, am heiligsten, am freudigste» auf den Schwingen der Musik über die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/39>, abgerufen am 19.05.2024.