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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Urlyrik ausgeben, die vag und stammelnd genug erscheint, aber doch im
Gegensatz zur charakteristischen Prosa der Naturalisten reinen Blutes steht.

Die Verschärfung der ursprünglichen Anschauungen und Forderungen gilt
in Revolutionen immer als eine Läuterung, in diesem Punkt treffen in drei
ganz verschiednen Zeiten die katholischen Romantiker von 1810, die politischen
Freiheitssänger von 1840, die symbolistischen Träumer von 1890 genau zu¬
sammen. Und gemeinsam ist ihnen die entschlossene Leugnung der frühern
Ideale ihrer Bewegung. Sie alle gaben vor, die natürliche Fortsetzung und
Entwicklung der Anfänge zu vertreten und rückten jene Anfänge in ein völlig
andres Licht. Von der Gruppe der katholischen und katholisierenden Roman¬
tiker war eigentlich nur die herbe Dorothea Schlegel ehrlich genug auszurufen:
"Alles, was der Menschen Kunst und Erfindung hervorbringt, das soll dazu
dienen, des Herrn Dienst zu verherrlichen und ein ewiges Gut der ewigen
Kirche sein und bleiben. Da, wo alle Kunst herkommt, von Gott, dort soll
sie auch wieder zurückströmen, jeder andre Gebrauch zu vorübergehender Eitel¬
keit der Menschenleiber und -leben ist unheilig und des göttlichen Ursprungs
nicht würdig." Sie verurteilte deshalb ihre eigne litterarische Thätigkeit vom
Anfang des Jahrhunderts erbarmungslos: "Solche Bücher, wie ich sie schreiben
kann, sollten in einer so geheimnisreichen, ahnungsvollen und vorbereitenden
Zeit, wie die unsrige, gar nicht geschrieben werden dürfen; die Menschen müßten
eigentlich jetzt gar keine Zeit haben, dergleichen zu lesen. Dieses Urteil trifft
gerade den "Florentiu" am allerhärtesteu." Und mit voller Lust all ihrer
neuen Tendenz suchte Dorothea ihren Gatten Friedrich Schlegel anzustacheln,
einen Kaiser Karl V. zu dichten, weil ihr "dieser saufte königliche Held in
seinem Kampfe gegen die schlechte Zeit, die er vergeblich aufzuhalten bemüht
war," rührend, tragisch und heilig erschien. Friedrich Schlegel selbst, der sich
wohl hütete, diesen Karl V. zu schreiben, gab keinen Bruch in seiner Welt¬
anschauung zu und deutete mit der Kunst des Sophisten seine Unterordnung
unter die heilige Kirche in die Waldfreiheit der ursprünglichen romantischen
Doktrin hinein. Clemens Brentano hätte, als er die "Romanzen vom Rosen¬
kranz" dichtete, niemals zugegeben, daß zwischen diesen und seinem wilden
Godwiroman eine breite Kluft lag; Zacharias Werner berief sich nach seinem
Übertritt zur alten Kirche darauf, daß er schon in den "Söhnen des Thals"
einen "geläuterten Katholizismus," als das eine, was not thue, verlangt und
vertreten habe.

(Schluß folgt)




Urlyrik ausgeben, die vag und stammelnd genug erscheint, aber doch im
Gegensatz zur charakteristischen Prosa der Naturalisten reinen Blutes steht.

Die Verschärfung der ursprünglichen Anschauungen und Forderungen gilt
in Revolutionen immer als eine Läuterung, in diesem Punkt treffen in drei
ganz verschiednen Zeiten die katholischen Romantiker von 1810, die politischen
Freiheitssänger von 1840, die symbolistischen Träumer von 1890 genau zu¬
sammen. Und gemeinsam ist ihnen die entschlossene Leugnung der frühern
Ideale ihrer Bewegung. Sie alle gaben vor, die natürliche Fortsetzung und
Entwicklung der Anfänge zu vertreten und rückten jene Anfänge in ein völlig
andres Licht. Von der Gruppe der katholischen und katholisierenden Roman¬
tiker war eigentlich nur die herbe Dorothea Schlegel ehrlich genug auszurufen:
„Alles, was der Menschen Kunst und Erfindung hervorbringt, das soll dazu
dienen, des Herrn Dienst zu verherrlichen und ein ewiges Gut der ewigen
Kirche sein und bleiben. Da, wo alle Kunst herkommt, von Gott, dort soll
sie auch wieder zurückströmen, jeder andre Gebrauch zu vorübergehender Eitel¬
keit der Menschenleiber und -leben ist unheilig und des göttlichen Ursprungs
nicht würdig." Sie verurteilte deshalb ihre eigne litterarische Thätigkeit vom
Anfang des Jahrhunderts erbarmungslos: „Solche Bücher, wie ich sie schreiben
kann, sollten in einer so geheimnisreichen, ahnungsvollen und vorbereitenden
Zeit, wie die unsrige, gar nicht geschrieben werden dürfen; die Menschen müßten
eigentlich jetzt gar keine Zeit haben, dergleichen zu lesen. Dieses Urteil trifft
gerade den »Florentiu« am allerhärtesteu." Und mit voller Lust all ihrer
neuen Tendenz suchte Dorothea ihren Gatten Friedrich Schlegel anzustacheln,
einen Kaiser Karl V. zu dichten, weil ihr „dieser saufte königliche Held in
seinem Kampfe gegen die schlechte Zeit, die er vergeblich aufzuhalten bemüht
war," rührend, tragisch und heilig erschien. Friedrich Schlegel selbst, der sich
wohl hütete, diesen Karl V. zu schreiben, gab keinen Bruch in seiner Welt¬
anschauung zu und deutete mit der Kunst des Sophisten seine Unterordnung
unter die heilige Kirche in die Waldfreiheit der ursprünglichen romantischen
Doktrin hinein. Clemens Brentano hätte, als er die „Romanzen vom Rosen¬
kranz" dichtete, niemals zugegeben, daß zwischen diesen und seinem wilden
Godwiroman eine breite Kluft lag; Zacharias Werner berief sich nach seinem
Übertritt zur alten Kirche darauf, daß er schon in den „Söhnen des Thals"
einen „geläuterten Katholizismus," als das eine, was not thue, verlangt und
vertreten habe.

(Schluß folgt)




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/152>, abgerufen am 20.05.2024.