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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Der Römerstaat

nünftiger Leidenschaft und zu Gewaltthaten aufgelegt ist, so bleibt nichts andres
übrig, als sie mit der Furcht vor dem Unbekannten und mit schreckhaften Vor¬
stellungen zu bändigen. ^Döllinger übersetzt rin.",^ durch
solches schreckenerregendes Gaukelspiel. Für ein Gaukelspiel haben die Alten
diese Vorstellungen nicht angesehen, und auch Polybius, obwohl er sie für ein
Produkt der Staatskunst hält, hat das wohl nicht gemeint.^ Daher scheinen
mir die Alten diese Vorstellungen von den Göttern und vom Hades nicht ohne
Grund verbreitet zu haben. Vielmehr scheinen mir die Heutigen thöricht zu
handeln, wenn sie sie verbannen. Vermögen doch bei den Griechen, um gar
nicht von den übrigen Völkern zu reden, sich die Männer, die den Staat ver¬
walten, trotz aller scharfen Kontrolle nicht der Veruntreuung öffentlicher Gelder
zu enthalten; in Rom dagegen genügt bei den Staatsbeamten die eidliche Ver¬
pflichtung, sodaß Veruntreuungen höchst selten vorkommen." Machiavelli aber
meint im elften Kapitel des ersten Buchs der Discorsi, Numa (diesem schreibt
er natürlich die Einsetzung der Religion zu) habe sür die Römer mehr ge¬
leistet als Romulus; denn ein religiöses Volk kriegstüchtig zu machen sei nicht
schwierig, wohl aber ein kriegerisches religiös zu machen. Durch ihre Gottes-
furcht, die jede Leidenschaft überwand, seien die Römer das gesetzlichste aller
Völker geworden, indem sie Gott über alles fürchteten und daher ein Eid sie
stärker band, als alle Zwangsmaßregeln es vermocht hätten. Cicero endlich
zeigt uns in seiner Schrift of ^awrg, vsorum, welche ernsten Besorgnisse
die Aufklärung den denkenden Patrioten einflößte. Die atheistischen, pan-
theistischen, theistischer Ansichten, die er die Teilnehmer an dem Gespräch ent¬
wickeln läßt, sind -- abgesehen von der dabei hervortretenden unvollkommnen
Naturerkenntnis -- ganz die unsrer heutigen Philosophen. Bei diesem Zu¬
stande war es schwierig, den alten Götterglauben und Götterdienst aufrecht
zu erhalten. Wo aber der Glaube schwindet, daß sich die Götter unsrer An¬
gelegenheiten annehmen, da, schreibt Cicero in der Einleitung, ist weder
Frömmigkeit noch Gottesfurcht möglich. "Wo aber die Frömmigkeit, das
Gefühl der Abhängigkeit von den Göttern vernichtet ist, da muß nach meiner
Überzeugung auch Treue und Glauben und was sonst die Menschen zu einer
Gesellschaft verbindet, vor allem aber die Krone aller Tugenden, die Gerechtig¬
keit, verschwinden. Und ist das alles dahin, so hat der Mensch keinen Halt
mehr im Leben, und alle Ordnung löst sich auf." Man sieht: die Römer
haben ihrer Religion ganz dieselbe sittliche und soziale Bedeutung zugeschrieben,
die unsre heutigen Staatsmänner der christlichen zuschreiben.

(Schluß folgt)




Der Römerstaat

nünftiger Leidenschaft und zu Gewaltthaten aufgelegt ist, so bleibt nichts andres
übrig, als sie mit der Furcht vor dem Unbekannten und mit schreckhaften Vor¬
stellungen zu bändigen. ^Döllinger übersetzt rin.«,^ durch
solches schreckenerregendes Gaukelspiel. Für ein Gaukelspiel haben die Alten
diese Vorstellungen nicht angesehen, und auch Polybius, obwohl er sie für ein
Produkt der Staatskunst hält, hat das wohl nicht gemeint.^ Daher scheinen
mir die Alten diese Vorstellungen von den Göttern und vom Hades nicht ohne
Grund verbreitet zu haben. Vielmehr scheinen mir die Heutigen thöricht zu
handeln, wenn sie sie verbannen. Vermögen doch bei den Griechen, um gar
nicht von den übrigen Völkern zu reden, sich die Männer, die den Staat ver¬
walten, trotz aller scharfen Kontrolle nicht der Veruntreuung öffentlicher Gelder
zu enthalten; in Rom dagegen genügt bei den Staatsbeamten die eidliche Ver¬
pflichtung, sodaß Veruntreuungen höchst selten vorkommen." Machiavelli aber
meint im elften Kapitel des ersten Buchs der Discorsi, Numa (diesem schreibt
er natürlich die Einsetzung der Religion zu) habe sür die Römer mehr ge¬
leistet als Romulus; denn ein religiöses Volk kriegstüchtig zu machen sei nicht
schwierig, wohl aber ein kriegerisches religiös zu machen. Durch ihre Gottes-
furcht, die jede Leidenschaft überwand, seien die Römer das gesetzlichste aller
Völker geworden, indem sie Gott über alles fürchteten und daher ein Eid sie
stärker band, als alle Zwangsmaßregeln es vermocht hätten. Cicero endlich
zeigt uns in seiner Schrift of ^awrg, vsorum, welche ernsten Besorgnisse
die Aufklärung den denkenden Patrioten einflößte. Die atheistischen, pan-
theistischen, theistischer Ansichten, die er die Teilnehmer an dem Gespräch ent¬
wickeln läßt, sind — abgesehen von der dabei hervortretenden unvollkommnen
Naturerkenntnis — ganz die unsrer heutigen Philosophen. Bei diesem Zu¬
stande war es schwierig, den alten Götterglauben und Götterdienst aufrecht
zu erhalten. Wo aber der Glaube schwindet, daß sich die Götter unsrer An¬
gelegenheiten annehmen, da, schreibt Cicero in der Einleitung, ist weder
Frömmigkeit noch Gottesfurcht möglich. „Wo aber die Frömmigkeit, das
Gefühl der Abhängigkeit von den Göttern vernichtet ist, da muß nach meiner
Überzeugung auch Treue und Glauben und was sonst die Menschen zu einer
Gesellschaft verbindet, vor allem aber die Krone aller Tugenden, die Gerechtig¬
keit, verschwinden. Und ist das alles dahin, so hat der Mensch keinen Halt
mehr im Leben, und alle Ordnung löst sich auf." Man sieht: die Römer
haben ihrer Religion ganz dieselbe sittliche und soziale Bedeutung zugeschrieben,
die unsre heutigen Staatsmänner der christlichen zuschreiben.

(Schluß folgt)




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[0261] Der Römerstaat nünftiger Leidenschaft und zu Gewaltthaten aufgelegt ist, so bleibt nichts andres übrig, als sie mit der Furcht vor dem Unbekannten und mit schreckhaften Vor¬ stellungen zu bändigen. ^Döllinger übersetzt rin.«,^ durch solches schreckenerregendes Gaukelspiel. Für ein Gaukelspiel haben die Alten diese Vorstellungen nicht angesehen, und auch Polybius, obwohl er sie für ein Produkt der Staatskunst hält, hat das wohl nicht gemeint.^ Daher scheinen mir die Alten diese Vorstellungen von den Göttern und vom Hades nicht ohne Grund verbreitet zu haben. Vielmehr scheinen mir die Heutigen thöricht zu handeln, wenn sie sie verbannen. Vermögen doch bei den Griechen, um gar nicht von den übrigen Völkern zu reden, sich die Männer, die den Staat ver¬ walten, trotz aller scharfen Kontrolle nicht der Veruntreuung öffentlicher Gelder zu enthalten; in Rom dagegen genügt bei den Staatsbeamten die eidliche Ver¬ pflichtung, sodaß Veruntreuungen höchst selten vorkommen." Machiavelli aber meint im elften Kapitel des ersten Buchs der Discorsi, Numa (diesem schreibt er natürlich die Einsetzung der Religion zu) habe sür die Römer mehr ge¬ leistet als Romulus; denn ein religiöses Volk kriegstüchtig zu machen sei nicht schwierig, wohl aber ein kriegerisches religiös zu machen. Durch ihre Gottes- furcht, die jede Leidenschaft überwand, seien die Römer das gesetzlichste aller Völker geworden, indem sie Gott über alles fürchteten und daher ein Eid sie stärker band, als alle Zwangsmaßregeln es vermocht hätten. Cicero endlich zeigt uns in seiner Schrift of ^awrg, vsorum, welche ernsten Besorgnisse die Aufklärung den denkenden Patrioten einflößte. Die atheistischen, pan- theistischen, theistischer Ansichten, die er die Teilnehmer an dem Gespräch ent¬ wickeln läßt, sind — abgesehen von der dabei hervortretenden unvollkommnen Naturerkenntnis — ganz die unsrer heutigen Philosophen. Bei diesem Zu¬ stande war es schwierig, den alten Götterglauben und Götterdienst aufrecht zu erhalten. Wo aber der Glaube schwindet, daß sich die Götter unsrer An¬ gelegenheiten annehmen, da, schreibt Cicero in der Einleitung, ist weder Frömmigkeit noch Gottesfurcht möglich. „Wo aber die Frömmigkeit, das Gefühl der Abhängigkeit von den Göttern vernichtet ist, da muß nach meiner Überzeugung auch Treue und Glauben und was sonst die Menschen zu einer Gesellschaft verbindet, vor allem aber die Krone aller Tugenden, die Gerechtig¬ keit, verschwinden. Und ist das alles dahin, so hat der Mensch keinen Halt mehr im Leben, und alle Ordnung löst sich auf." Man sieht: die Römer haben ihrer Religion ganz dieselbe sittliche und soziale Bedeutung zugeschrieben, die unsre heutigen Staatsmänner der christlichen zuschreiben. (Schluß folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/261>, abgerufen am 21.05.2024.