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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Viertes Vierteljahr.

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Die ötaatsregierung und die Konservativen in Preußen

und beherrschen. Es ist daher von der größten Wichtigkeit, den ses-of eAusas
se> oorckrovsrsms gründlich, vorurteilslos und mit rücksichtsloser Wahrhaftigkeit
zu prüfen, um zu einem sachlichen Urteil zu gelangen.

In der Tagespresse der verschieden Parteien ist aus Anlaß des Konflikts
vou beiden Seiten viel Richtiges und Gutes gesagt worden. Eine völlig
offne, unbefangne, sachliche Darlegung des eigentlichen Streitpunkts haben wir
aber bis jetzt nicht gefunden. Nur dieser Umstand, und das Bewußtsein
völliger Unabhängigkeit und ungefärbter Liebe zu Volk und Vaterland giebt
uns den Mut, aus der genauen Kenntnis der in Betracht kommenden Ver¬
hältnisse und Personen heraus eine von den derzeitigen Parteirücksichten un-
beeinflnßte Darstellung des Konflikts zu versuchen. Ans die Herbeiziehung
pikanter persönlicher Stimmungen und Beweggründe ist es dabei ganz und gar
nicht abgesehen. Die beteiligten Personen sollen vielmehr so wenig wie nur
möglich Erwähnung finden.

Es handelt sich für uns lediglich um den vorhandnen politischen Konflikt.
Der Ausgangspunkt für diesen ist allerdings die Frage nach der Zweckmäßigkeit
und Heilsamkeit der auf den Bau des Mittellandkanals abzielenden Negicrungs-
vorschläge. Diese Frage ist an und für sich zweifellos eine lediglich wirtschaft¬
liche und finanzielle. Jeder Abgeordnete ist verpflichtet und berechtigt, die
hierbei in Betracht kommenden, wesentlich materiellen Interessen gründlich zu
prüfen und je nach dem Ausfall dieser Prüfung sein Votum für oder gegen
die Regierungsvorlage abzugeben. Fälle ähnlicher Art sind in der parlamen¬
tarischen Geschichte Preußens wiederholt vorgekommen, ohne daß den Abgeord¬
neten, die zugleich Beamte waren, Schwierigkeiten aus ihrer Abstimmung er¬
wachsen wären. Sie durften ihnen auch "aus der Abstimmung" nicht er¬
wachsen, weil die Verfassungsurkunde in den Artikeln 83 und 84 bestimmt:
"Die Mitglieder beider Kammern sind Vertreter des ganzen Volks. Sie stimmen
nach ihrer freien Überzeugung und sind an Aufträge und Instruktionen nicht
gebunden. Sie können für ihre Abstimmungen in der Kammer niemals, für
ihre darin ausgesprochnen Meinungen nur innerhalb der Kammer auf deu
Grund der Geschäftsordnung zur Rechenschaft gezogen werden."

Mit diesen landesgesetzlichen Vorschriften deckt sich §11 des Neichsstraf-
gesetzbuchs. Er lautet: "Kein Mitglied eines Landtags oder einer Kammer
eines zum Reich gehörigen Staats darf außerhalb der Versammlung, zu
welcher das Mitglied gehört, wegen seiner Abstimmung oder wegen der in
Ausübung seines Berufs gethanen Äußerung zur Verantwortung gezogen
werden."

Es steht hiernach unbestreitbar fest, daß ein Mitglied des Abgeordneten¬
hauses für seine Abstimmung nicht zur Rechenschaft oder Verantwortung ge¬
zogen werden darf. Immerhin leidet der Ausdruck "zur Rechenschaft oder zur
Verantwortung ziehn" an einer gewissen Unbestimmtheit. Er deutet -- das


Die ötaatsregierung und die Konservativen in Preußen

und beherrschen. Es ist daher von der größten Wichtigkeit, den ses-of eAusas
se> oorckrovsrsms gründlich, vorurteilslos und mit rücksichtsloser Wahrhaftigkeit
zu prüfen, um zu einem sachlichen Urteil zu gelangen.

In der Tagespresse der verschieden Parteien ist aus Anlaß des Konflikts
vou beiden Seiten viel Richtiges und Gutes gesagt worden. Eine völlig
offne, unbefangne, sachliche Darlegung des eigentlichen Streitpunkts haben wir
aber bis jetzt nicht gefunden. Nur dieser Umstand, und das Bewußtsein
völliger Unabhängigkeit und ungefärbter Liebe zu Volk und Vaterland giebt
uns den Mut, aus der genauen Kenntnis der in Betracht kommenden Ver¬
hältnisse und Personen heraus eine von den derzeitigen Parteirücksichten un-
beeinflnßte Darstellung des Konflikts zu versuchen. Ans die Herbeiziehung
pikanter persönlicher Stimmungen und Beweggründe ist es dabei ganz und gar
nicht abgesehen. Die beteiligten Personen sollen vielmehr so wenig wie nur
möglich Erwähnung finden.

Es handelt sich für uns lediglich um den vorhandnen politischen Konflikt.
Der Ausgangspunkt für diesen ist allerdings die Frage nach der Zweckmäßigkeit
und Heilsamkeit der auf den Bau des Mittellandkanals abzielenden Negicrungs-
vorschläge. Diese Frage ist an und für sich zweifellos eine lediglich wirtschaft¬
liche und finanzielle. Jeder Abgeordnete ist verpflichtet und berechtigt, die
hierbei in Betracht kommenden, wesentlich materiellen Interessen gründlich zu
prüfen und je nach dem Ausfall dieser Prüfung sein Votum für oder gegen
die Regierungsvorlage abzugeben. Fälle ähnlicher Art sind in der parlamen¬
tarischen Geschichte Preußens wiederholt vorgekommen, ohne daß den Abgeord¬
neten, die zugleich Beamte waren, Schwierigkeiten aus ihrer Abstimmung er¬
wachsen wären. Sie durften ihnen auch „aus der Abstimmung" nicht er¬
wachsen, weil die Verfassungsurkunde in den Artikeln 83 und 84 bestimmt:
„Die Mitglieder beider Kammern sind Vertreter des ganzen Volks. Sie stimmen
nach ihrer freien Überzeugung und sind an Aufträge und Instruktionen nicht
gebunden. Sie können für ihre Abstimmungen in der Kammer niemals, für
ihre darin ausgesprochnen Meinungen nur innerhalb der Kammer auf deu
Grund der Geschäftsordnung zur Rechenschaft gezogen werden."

Mit diesen landesgesetzlichen Vorschriften deckt sich §11 des Neichsstraf-
gesetzbuchs. Er lautet: „Kein Mitglied eines Landtags oder einer Kammer
eines zum Reich gehörigen Staats darf außerhalb der Versammlung, zu
welcher das Mitglied gehört, wegen seiner Abstimmung oder wegen der in
Ausübung seines Berufs gethanen Äußerung zur Verantwortung gezogen
werden."

Es steht hiernach unbestreitbar fest, daß ein Mitglied des Abgeordneten¬
hauses für seine Abstimmung nicht zur Rechenschaft oder Verantwortung ge¬
zogen werden darf. Immerhin leidet der Ausdruck „zur Rechenschaft oder zur
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[0286] Die ötaatsregierung und die Konservativen in Preußen und beherrschen. Es ist daher von der größten Wichtigkeit, den ses-of eAusas se> oorckrovsrsms gründlich, vorurteilslos und mit rücksichtsloser Wahrhaftigkeit zu prüfen, um zu einem sachlichen Urteil zu gelangen. In der Tagespresse der verschieden Parteien ist aus Anlaß des Konflikts vou beiden Seiten viel Richtiges und Gutes gesagt worden. Eine völlig offne, unbefangne, sachliche Darlegung des eigentlichen Streitpunkts haben wir aber bis jetzt nicht gefunden. Nur dieser Umstand, und das Bewußtsein völliger Unabhängigkeit und ungefärbter Liebe zu Volk und Vaterland giebt uns den Mut, aus der genauen Kenntnis der in Betracht kommenden Ver¬ hältnisse und Personen heraus eine von den derzeitigen Parteirücksichten un- beeinflnßte Darstellung des Konflikts zu versuchen. Ans die Herbeiziehung pikanter persönlicher Stimmungen und Beweggründe ist es dabei ganz und gar nicht abgesehen. Die beteiligten Personen sollen vielmehr so wenig wie nur möglich Erwähnung finden. Es handelt sich für uns lediglich um den vorhandnen politischen Konflikt. Der Ausgangspunkt für diesen ist allerdings die Frage nach der Zweckmäßigkeit und Heilsamkeit der auf den Bau des Mittellandkanals abzielenden Negicrungs- vorschläge. Diese Frage ist an und für sich zweifellos eine lediglich wirtschaft¬ liche und finanzielle. Jeder Abgeordnete ist verpflichtet und berechtigt, die hierbei in Betracht kommenden, wesentlich materiellen Interessen gründlich zu prüfen und je nach dem Ausfall dieser Prüfung sein Votum für oder gegen die Regierungsvorlage abzugeben. Fälle ähnlicher Art sind in der parlamen¬ tarischen Geschichte Preußens wiederholt vorgekommen, ohne daß den Abgeord¬ neten, die zugleich Beamte waren, Schwierigkeiten aus ihrer Abstimmung er¬ wachsen wären. Sie durften ihnen auch „aus der Abstimmung" nicht er¬ wachsen, weil die Verfassungsurkunde in den Artikeln 83 und 84 bestimmt: „Die Mitglieder beider Kammern sind Vertreter des ganzen Volks. Sie stimmen nach ihrer freien Überzeugung und sind an Aufträge und Instruktionen nicht gebunden. Sie können für ihre Abstimmungen in der Kammer niemals, für ihre darin ausgesprochnen Meinungen nur innerhalb der Kammer auf deu Grund der Geschäftsordnung zur Rechenschaft gezogen werden." Mit diesen landesgesetzlichen Vorschriften deckt sich §11 des Neichsstraf- gesetzbuchs. Er lautet: „Kein Mitglied eines Landtags oder einer Kammer eines zum Reich gehörigen Staats darf außerhalb der Versammlung, zu welcher das Mitglied gehört, wegen seiner Abstimmung oder wegen der in Ausübung seines Berufs gethanen Äußerung zur Verantwortung gezogen werden." Es steht hiernach unbestreitbar fest, daß ein Mitglied des Abgeordneten¬ hauses für seine Abstimmung nicht zur Rechenschaft oder Verantwortung ge¬ zogen werden darf. Immerhin leidet der Ausdruck „zur Rechenschaft oder zur Verantwortung ziehn" an einer gewissen Unbestimmtheit. Er deutet — das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231811/286>, abgerufen am 19.05.2024.