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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Viertes Vierteljahr.

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Der Römerstaat

mehrere Sklavenvölker zu überwinden findet. Der erobernde Stamm, geführt
von einem Häuptling, dem sich alle einzelnen Glieder gern unterwerfen, weil
die einheitliche Führung Bedingung des Gelingens bei Eroberungszügen ist,
greift über die Grenzen des zuerst unterworfnen Landes hinaus und unter¬
jocht ein Volk nach dem andern bis an die Meere, Gebirge und Wüsten, die
seiner Habsucht und Herrschsucht Grenzen ziehn. So haben es die Perser ge¬
halten. Aber sehr rasch sind sie dem Verhängnis verfallen, durch die Kultur
der Besiegten selbst besiegt zu werden und zu verweichlichen, sodaß sie eine
leichte Beute der von Alexander geführten Griechen und hellenisierten Maze¬
donier wurden. Zcenophon konnte daheim berichten, daß von all den Völkern,
deren Gebiet er durchzogen hatte, nur eins sein Häuflein von vorn anzugreifen
gewagt habe, daß also die Bewohner Vorderasiens als militärische Gegner
kaum zu rechnen seien. Daß man dieses am mazedonischen Hofe wußte,*)
benimmt dem Zuge Alexanders den Charakter des Abenteuerlichen, wenn auch
die gewaltige Naumüberwindung und die von ihm bethätigte Organisationskraft
sein Lebenswerk noch über die Maßen großartig erscheinen lassen. Aber es
war das Werk eines Mannes, nicht das einer jahrhundertelang stetig wirkenden
Volkskraft, und so zerfiel es mit seinem Tode, das politische nämlich, während
allerdings das Kulturwerk, die Helleuisierung Vorderasiens und Ägyptens,
bestehn blieb. Etwas anders ist die Gründung der Germanenreiche verlaufen.
Sie sing ähnlich an wie die der asiatischen: kriegerische Stämme unterwarfen
die ackerbanende Bevölkerung römischer Provinzen. Dann aber griffen in die
politische Entwicklung mehrere eigentümliche Mächte ein und lenkten sie in
Bahnen, die von der asiatischen Art weit abführten: die Kirche, das Vvlks-
herzogtum, das Latifundium, die Feudalität, Überlieferungen der Römerzeit,
die einerseits das Kaisertum begründeten, andrerseits zur Bildung gewerblicher,
nach politischer Unabhängigkeit strebender Gemeinwesen führten. Im großen
und ganzen aber verlief die äußere Staatengeschichte des christlichen Europas
in der Weise, daß Monarchien mit einander rangen, bis die kleinern, samt den
kleinen Freistaaten, von den größern verschlungen und die heutigen National¬
staaten fertig waren.

Ganz anders verhält es sich mit der Gründung des Römerreichs. Sie
beginnt nicht mit der Unterjochung einer zivilisierten aber unkriegerischen Be¬
völkerung durch ein Volk von Eroberern; auch hat das Römerreich nicht, wie
alle andern Großreiche, ein weites Gebiet zur ersten Grundlage: umspannten
doch die germanischen Völker schon daheim, ehe sie ins Nömerreich einbrachen,
ansehnliche Gaue, die an Umfang heutigen kleinen Königreichen gleichkamen.
Das Nömerreich ist erwachsen aus einer bürgerlich-bäuerlichen Stadtgemeinde,



*) Jsokrates hat dem König Philipp die Schwäche des Perserrcichs ausführlich dargelegt
und ihn aufgefordert, zur Rache für den Einfall der Perser in Europa die Eroberung des
Perserreichs zu unternehmen.
Der Römerstaat

mehrere Sklavenvölker zu überwinden findet. Der erobernde Stamm, geführt
von einem Häuptling, dem sich alle einzelnen Glieder gern unterwerfen, weil
die einheitliche Führung Bedingung des Gelingens bei Eroberungszügen ist,
greift über die Grenzen des zuerst unterworfnen Landes hinaus und unter¬
jocht ein Volk nach dem andern bis an die Meere, Gebirge und Wüsten, die
seiner Habsucht und Herrschsucht Grenzen ziehn. So haben es die Perser ge¬
halten. Aber sehr rasch sind sie dem Verhängnis verfallen, durch die Kultur
der Besiegten selbst besiegt zu werden und zu verweichlichen, sodaß sie eine
leichte Beute der von Alexander geführten Griechen und hellenisierten Maze¬
donier wurden. Zcenophon konnte daheim berichten, daß von all den Völkern,
deren Gebiet er durchzogen hatte, nur eins sein Häuflein von vorn anzugreifen
gewagt habe, daß also die Bewohner Vorderasiens als militärische Gegner
kaum zu rechnen seien. Daß man dieses am mazedonischen Hofe wußte,*)
benimmt dem Zuge Alexanders den Charakter des Abenteuerlichen, wenn auch
die gewaltige Naumüberwindung und die von ihm bethätigte Organisationskraft
sein Lebenswerk noch über die Maßen großartig erscheinen lassen. Aber es
war das Werk eines Mannes, nicht das einer jahrhundertelang stetig wirkenden
Volkskraft, und so zerfiel es mit seinem Tode, das politische nämlich, während
allerdings das Kulturwerk, die Helleuisierung Vorderasiens und Ägyptens,
bestehn blieb. Etwas anders ist die Gründung der Germanenreiche verlaufen.
Sie sing ähnlich an wie die der asiatischen: kriegerische Stämme unterwarfen
die ackerbanende Bevölkerung römischer Provinzen. Dann aber griffen in die
politische Entwicklung mehrere eigentümliche Mächte ein und lenkten sie in
Bahnen, die von der asiatischen Art weit abführten: die Kirche, das Vvlks-
herzogtum, das Latifundium, die Feudalität, Überlieferungen der Römerzeit,
die einerseits das Kaisertum begründeten, andrerseits zur Bildung gewerblicher,
nach politischer Unabhängigkeit strebender Gemeinwesen führten. Im großen
und ganzen aber verlief die äußere Staatengeschichte des christlichen Europas
in der Weise, daß Monarchien mit einander rangen, bis die kleinern, samt den
kleinen Freistaaten, von den größern verschlungen und die heutigen National¬
staaten fertig waren.

Ganz anders verhält es sich mit der Gründung des Römerreichs. Sie
beginnt nicht mit der Unterjochung einer zivilisierten aber unkriegerischen Be¬
völkerung durch ein Volk von Eroberern; auch hat das Römerreich nicht, wie
alle andern Großreiche, ein weites Gebiet zur ersten Grundlage: umspannten
doch die germanischen Völker schon daheim, ehe sie ins Nömerreich einbrachen,
ansehnliche Gaue, die an Umfang heutigen kleinen Königreichen gleichkamen.
Das Nömerreich ist erwachsen aus einer bürgerlich-bäuerlichen Stadtgemeinde,



*) Jsokrates hat dem König Philipp die Schwäche des Perserrcichs ausführlich dargelegt
und ihn aufgefordert, zur Rache für den Einfall der Perser in Europa die Eroberung des
Perserreichs zu unternehmen.
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[0310] Der Römerstaat mehrere Sklavenvölker zu überwinden findet. Der erobernde Stamm, geführt von einem Häuptling, dem sich alle einzelnen Glieder gern unterwerfen, weil die einheitliche Führung Bedingung des Gelingens bei Eroberungszügen ist, greift über die Grenzen des zuerst unterworfnen Landes hinaus und unter¬ jocht ein Volk nach dem andern bis an die Meere, Gebirge und Wüsten, die seiner Habsucht und Herrschsucht Grenzen ziehn. So haben es die Perser ge¬ halten. Aber sehr rasch sind sie dem Verhängnis verfallen, durch die Kultur der Besiegten selbst besiegt zu werden und zu verweichlichen, sodaß sie eine leichte Beute der von Alexander geführten Griechen und hellenisierten Maze¬ donier wurden. Zcenophon konnte daheim berichten, daß von all den Völkern, deren Gebiet er durchzogen hatte, nur eins sein Häuflein von vorn anzugreifen gewagt habe, daß also die Bewohner Vorderasiens als militärische Gegner kaum zu rechnen seien. Daß man dieses am mazedonischen Hofe wußte,*) benimmt dem Zuge Alexanders den Charakter des Abenteuerlichen, wenn auch die gewaltige Naumüberwindung und die von ihm bethätigte Organisationskraft sein Lebenswerk noch über die Maßen großartig erscheinen lassen. Aber es war das Werk eines Mannes, nicht das einer jahrhundertelang stetig wirkenden Volkskraft, und so zerfiel es mit seinem Tode, das politische nämlich, während allerdings das Kulturwerk, die Helleuisierung Vorderasiens und Ägyptens, bestehn blieb. Etwas anders ist die Gründung der Germanenreiche verlaufen. Sie sing ähnlich an wie die der asiatischen: kriegerische Stämme unterwarfen die ackerbanende Bevölkerung römischer Provinzen. Dann aber griffen in die politische Entwicklung mehrere eigentümliche Mächte ein und lenkten sie in Bahnen, die von der asiatischen Art weit abführten: die Kirche, das Vvlks- herzogtum, das Latifundium, die Feudalität, Überlieferungen der Römerzeit, die einerseits das Kaisertum begründeten, andrerseits zur Bildung gewerblicher, nach politischer Unabhängigkeit strebender Gemeinwesen führten. Im großen und ganzen aber verlief die äußere Staatengeschichte des christlichen Europas in der Weise, daß Monarchien mit einander rangen, bis die kleinern, samt den kleinen Freistaaten, von den größern verschlungen und die heutigen National¬ staaten fertig waren. Ganz anders verhält es sich mit der Gründung des Römerreichs. Sie beginnt nicht mit der Unterjochung einer zivilisierten aber unkriegerischen Be¬ völkerung durch ein Volk von Eroberern; auch hat das Römerreich nicht, wie alle andern Großreiche, ein weites Gebiet zur ersten Grundlage: umspannten doch die germanischen Völker schon daheim, ehe sie ins Nömerreich einbrachen, ansehnliche Gaue, die an Umfang heutigen kleinen Königreichen gleichkamen. Das Nömerreich ist erwachsen aus einer bürgerlich-bäuerlichen Stadtgemeinde, *) Jsokrates hat dem König Philipp die Schwäche des Perserrcichs ausführlich dargelegt und ihn aufgefordert, zur Rache für den Einfall der Perser in Europa die Eroberung des Perserreichs zu unternehmen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231811/310>, abgerufen am 29.05.2024.