Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen

die ihn zum Bruche mit Ihnen, mit uns führen könnte und damit zur Selbst¬
vernichtung seines Regiments überhaupt/' Weniger trübe sah E. von Manteuffel,
der Generaladjutant des Königs, die Lage an; "die Differenz zwischen König
und Ministerium, so tröstete er am 29. Januar Roon, besteht nur in einem
Wie und nicht in einem Was, und ich glaube, daß man noch ein der König¬
lichen Auffassung entsprechendes Wie finden kann."^) Die "Differenz" lag
darin, daß der König sich vom Londoner Protokoll eher lossagen wollte, als
es Bismarck mit Rücksicht auf Österreich und die übrigen Großmächte für
ratsam hielt, und daß er damals noch jeden Gedanken an Annexion ablehnte,
denn er habe kein Recht auf Holstein. ^)

Nach den glänzenden kriegerischen Erfolgen in Schleswig wagte sich der
Annexionsgedanke mehr und mehr heraus und gewann rasch Boden. Zum
erstenmale in einem amtlichen Aktenstücke stellte Bismarck die Annexion als
eine Möglichkeit, nicht als eine Forderung Preußens auf, als er am 21. Mai
an Werther in Wien eine Depesche über die Forderungen richtete, die beide
Großmächte in der Londoner Konferenz erheben könnten, nachdem Dänemark
die Personalunion abgelehnt hatte. Die Einsetzung des Augustenburgers wiesen
damals (28. Mai) die fremden Großmächte einmütig ab.^) In dieser Situation
wagte es Roon am 29. Mai in einem Briefe an Bismarck die Stimmung der
siegreichen Armee mit voller Wucht in die Wagschale zu werfen, indem er
schrieb: "Die Armee würde es als eine tiefe Kränkung empfinden, wenn ... ein
fauler Friede zu stände käme. Volle Genüge würde nur die Einverleibung der
Herzogtümer gewähren. Aber man . . . erwartet . . . nicht das Höchste, sondern
nur Angemessenes und Preußen Würdiges."^) Nachdem der Waffenstillstand
abgelaufen und Alsen am 29. Juni durch eine glänzende Waffenthat erobert
worden war, erhoben Roon, M. Duncker u. a. die bestimmte Forderung, die
Herzogtümer müßten an die beiden Großmächte in Gemeinschaft abgetreten werden,
und diese Forderung, die von dem ausschließlichen Besitzrecht Christians IX. aus¬
ging, also ein Erbrecht des Augustenburgers ablehnte, erfüllte der Wiener Prü-
liminarfriede von 1. Angust 1864.°)







(Schluß folgt)




>) Roon II ', 192.
2) Bernhard- V, 270. 284. 343. 364 (vom 30. Dezember 18S3 bis 24. Januar 1864).
") Sybel III, 321 ff.
-) Denkwürdigkeiten II', 246.
'
) a, a, O. 254 (15. Juli). 257 (16. Juli). Bernhardt VI, 129. Sybel III, 372.
Grenzboten IV 189911
Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen

die ihn zum Bruche mit Ihnen, mit uns führen könnte und damit zur Selbst¬
vernichtung seines Regiments überhaupt/' Weniger trübe sah E. von Manteuffel,
der Generaladjutant des Königs, die Lage an; „die Differenz zwischen König
und Ministerium, so tröstete er am 29. Januar Roon, besteht nur in einem
Wie und nicht in einem Was, und ich glaube, daß man noch ein der König¬
lichen Auffassung entsprechendes Wie finden kann."^) Die „Differenz" lag
darin, daß der König sich vom Londoner Protokoll eher lossagen wollte, als
es Bismarck mit Rücksicht auf Österreich und die übrigen Großmächte für
ratsam hielt, und daß er damals noch jeden Gedanken an Annexion ablehnte,
denn er habe kein Recht auf Holstein. ^)

Nach den glänzenden kriegerischen Erfolgen in Schleswig wagte sich der
Annexionsgedanke mehr und mehr heraus und gewann rasch Boden. Zum
erstenmale in einem amtlichen Aktenstücke stellte Bismarck die Annexion als
eine Möglichkeit, nicht als eine Forderung Preußens auf, als er am 21. Mai
an Werther in Wien eine Depesche über die Forderungen richtete, die beide
Großmächte in der Londoner Konferenz erheben könnten, nachdem Dänemark
die Personalunion abgelehnt hatte. Die Einsetzung des Augustenburgers wiesen
damals (28. Mai) die fremden Großmächte einmütig ab.^) In dieser Situation
wagte es Roon am 29. Mai in einem Briefe an Bismarck die Stimmung der
siegreichen Armee mit voller Wucht in die Wagschale zu werfen, indem er
schrieb: „Die Armee würde es als eine tiefe Kränkung empfinden, wenn ... ein
fauler Friede zu stände käme. Volle Genüge würde nur die Einverleibung der
Herzogtümer gewähren. Aber man . . . erwartet . . . nicht das Höchste, sondern
nur Angemessenes und Preußen Würdiges."^) Nachdem der Waffenstillstand
abgelaufen und Alsen am 29. Juni durch eine glänzende Waffenthat erobert
worden war, erhoben Roon, M. Duncker u. a. die bestimmte Forderung, die
Herzogtümer müßten an die beiden Großmächte in Gemeinschaft abgetreten werden,
und diese Forderung, die von dem ausschließlichen Besitzrecht Christians IX. aus¬
ging, also ein Erbrecht des Augustenburgers ablehnte, erfüllte der Wiener Prü-
liminarfriede von 1. Angust 1864.°)







(Schluß folgt)




>) Roon II ', 192.
2) Bernhard- V, 270. 284. 343. 364 (vom 30. Dezember 18S3 bis 24. Januar 1864).
") Sybel III, 321 ff.
-) Denkwürdigkeiten II', 246.
'
) a, a, O. 254 (15. Juli). 257 (16. Juli). Bernhardt VI, 129. Sybel III, 372.
Grenzboten IV 189911
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0093" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231905"/>
          <fw type="header" place="top"> Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_337" prev="#ID_336"> die ihn zum Bruche mit Ihnen, mit uns führen könnte und damit zur Selbst¬<lb/>
vernichtung seines Regiments überhaupt/' Weniger trübe sah E. von Manteuffel,<lb/>
der Generaladjutant des Königs, die Lage an; &#x201E;die Differenz zwischen König<lb/>
und Ministerium, so tröstete er am 29. Januar Roon, besteht nur in einem<lb/>
Wie und nicht in einem Was, und ich glaube, daß man noch ein der König¬<lb/>
lichen Auffassung entsprechendes Wie finden kann."^) Die &#x201E;Differenz" lag<lb/>
darin, daß der König sich vom Londoner Protokoll eher lossagen wollte, als<lb/>
es Bismarck mit Rücksicht auf Österreich und die übrigen Großmächte für<lb/>
ratsam hielt, und daß er damals noch jeden Gedanken an Annexion ablehnte,<lb/>
denn er habe kein Recht auf Holstein. ^)</p><lb/>
          <p xml:id="ID_338"> Nach den glänzenden kriegerischen Erfolgen in Schleswig wagte sich der<lb/>
Annexionsgedanke mehr und mehr heraus und gewann rasch Boden. Zum<lb/>
erstenmale in einem amtlichen Aktenstücke stellte Bismarck die Annexion als<lb/>
eine Möglichkeit, nicht als eine Forderung Preußens auf, als er am 21. Mai<lb/>
an Werther in Wien eine Depesche über die Forderungen richtete, die beide<lb/>
Großmächte in der Londoner Konferenz erheben könnten, nachdem Dänemark<lb/>
die Personalunion abgelehnt hatte. Die Einsetzung des Augustenburgers wiesen<lb/>
damals (28. Mai) die fremden Großmächte einmütig ab.^) In dieser Situation<lb/>
wagte es Roon am 29. Mai in einem Briefe an Bismarck die Stimmung der<lb/>
siegreichen Armee mit voller Wucht in die Wagschale zu werfen, indem er<lb/>
schrieb: &#x201E;Die Armee würde es als eine tiefe Kränkung empfinden, wenn ... ein<lb/>
fauler Friede zu stände käme. Volle Genüge würde nur die Einverleibung der<lb/>
Herzogtümer gewähren. Aber man . . . erwartet . . . nicht das Höchste, sondern<lb/>
nur Angemessenes und Preußen Würdiges."^) Nachdem der Waffenstillstand<lb/>
abgelaufen und Alsen am 29. Juni durch eine glänzende Waffenthat erobert<lb/>
worden war, erhoben Roon, M. Duncker u. a. die bestimmte Forderung, die<lb/>
Herzogtümer müßten an die beiden Großmächte in Gemeinschaft abgetreten werden,<lb/>
und diese Forderung, die von dem ausschließlichen Besitzrecht Christians IX. aus¬<lb/>
ging, also ein Erbrecht des Augustenburgers ablehnte, erfüllte der Wiener Prü-<lb/>
liminarfriede von 1. Angust 1864.°)</p><lb/>
          <note xml:id="FID_50" place="foot"> &gt;) Roon II ', 192.</note><lb/>
          <note xml:id="FID_51" place="foot"> 2) Bernhard- V, 270. 284. 343. 364 (vom 30. Dezember 18S3 bis 24. Januar 1864).</note><lb/>
          <note xml:id="FID_52" place="foot"> ") Sybel III, 321 ff.</note><lb/>
          <note xml:id="FID_53" place="foot"> -) Denkwürdigkeiten II', 246.<lb/>
'</note><lb/>
          <note xml:id="FID_54" place="foot"> ) a, a, O. 254 (15. Juli). 257 (16. Juli).  Bernhardt VI, 129. Sybel III, 372.</note><lb/>
          <p xml:id="ID_339"> (Schluß folgt)</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 189911</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0093] Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen die ihn zum Bruche mit Ihnen, mit uns führen könnte und damit zur Selbst¬ vernichtung seines Regiments überhaupt/' Weniger trübe sah E. von Manteuffel, der Generaladjutant des Königs, die Lage an; „die Differenz zwischen König und Ministerium, so tröstete er am 29. Januar Roon, besteht nur in einem Wie und nicht in einem Was, und ich glaube, daß man noch ein der König¬ lichen Auffassung entsprechendes Wie finden kann."^) Die „Differenz" lag darin, daß der König sich vom Londoner Protokoll eher lossagen wollte, als es Bismarck mit Rücksicht auf Österreich und die übrigen Großmächte für ratsam hielt, und daß er damals noch jeden Gedanken an Annexion ablehnte, denn er habe kein Recht auf Holstein. ^) Nach den glänzenden kriegerischen Erfolgen in Schleswig wagte sich der Annexionsgedanke mehr und mehr heraus und gewann rasch Boden. Zum erstenmale in einem amtlichen Aktenstücke stellte Bismarck die Annexion als eine Möglichkeit, nicht als eine Forderung Preußens auf, als er am 21. Mai an Werther in Wien eine Depesche über die Forderungen richtete, die beide Großmächte in der Londoner Konferenz erheben könnten, nachdem Dänemark die Personalunion abgelehnt hatte. Die Einsetzung des Augustenburgers wiesen damals (28. Mai) die fremden Großmächte einmütig ab.^) In dieser Situation wagte es Roon am 29. Mai in einem Briefe an Bismarck die Stimmung der siegreichen Armee mit voller Wucht in die Wagschale zu werfen, indem er schrieb: „Die Armee würde es als eine tiefe Kränkung empfinden, wenn ... ein fauler Friede zu stände käme. Volle Genüge würde nur die Einverleibung der Herzogtümer gewähren. Aber man . . . erwartet . . . nicht das Höchste, sondern nur Angemessenes und Preußen Würdiges."^) Nachdem der Waffenstillstand abgelaufen und Alsen am 29. Juni durch eine glänzende Waffenthat erobert worden war, erhoben Roon, M. Duncker u. a. die bestimmte Forderung, die Herzogtümer müßten an die beiden Großmächte in Gemeinschaft abgetreten werden, und diese Forderung, die von dem ausschließlichen Besitzrecht Christians IX. aus¬ ging, also ein Erbrecht des Augustenburgers ablehnte, erfüllte der Wiener Prü- liminarfriede von 1. Angust 1864.°) (Schluß folgt) >) Roon II ', 192. 2) Bernhard- V, 270. 284. 343. 364 (vom 30. Dezember 18S3 bis 24. Januar 1864). ") Sybel III, 321 ff. -) Denkwürdigkeiten II', 246. ' ) a, a, O. 254 (15. Juli). 257 (16. Juli). Bernhardt VI, 129. Sybel III, 372. Grenzboten IV 189911

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231811/93
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231811/93>, abgerufen am 28.05.2024.