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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Drittes Vierteljahr.

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schlecht bestanden. Wohl haben sich in diesen letzten Tagen in Nordamerika
auch Stimmen für England erhoben, aber weitaus die meisten und gewichtigsten
Organe der Presse und vor allein die Stimmung der Massen haben sich für
die Buren erklärt; ja vielleicht haben die Engländer es nur Mac Kinleys vor¬
sichtiger Politik zu danken, daß die Teilnahme Nordamerikas an der Buren¬
sache bis jetzt rein platonisch geblieben ist. So begreift man denu auch den
elegischen Ton, der jetzt aus denselben englischen Blättern hervorklingt, die
einst am lautesten für die angelsächsische Allianz ins Horn stießen, die Klage
über den Undank des amerikanischen Vetters, der die freundliche Haltung Eng¬
lands im spanischen Kriege vergessen hat und es jetzt verläßt, wo es bei der
allgemeinen Verurteilung seiner Handlungsweise ein wenig moralische Unter¬
stützung bitter nötig hätte.

Daß das amerikanische Volk die Partei der Buren ergreift, ist nun freilich
kein Wunder. Mag der Krieg in Südafrika wirklich ein Kampf der höher"
Kultur gegen eine niedre, des modernen Staates gegen eine mittelalterliche
Bauernaristokratie sein -- nicht das ist für das Gefühl der Massen entscheidend,
sondern der Zug, der in dem Kampfe um die Goldfelder Transvaals am
meisten hervortritt: die brutale Vergewaltigung des kleinen, sich tapfer um
seine Freiheit wehrenden Volkes durch den übermächtigen Nachbar. Da stellt
sich das natürliche Gefühl von selber ans die Seite des Schwachen, und für
die Amerikaner kommt noch eins hinzu: ihre Väter haben gegen dieselbe Macht
vor nrehr als hundert Jahren den Freiheitskrieg gewagt und gewonnen, wie
sollten die Nachkommen nicht ihre Sympathie" dem Burenvolk zuwende", das
jetzt in derselben Lage ist?

Daß aber auch die amerikanische Regierung eine so korrekte Haltung gegen
England annimmt, die sich in nichts von dem Benehmen der europäischen
Mächte unterscheidet lind sehr von der freundlichen Neutralität Englands im
Kampf um Kuba absticht, das ist allerdings befremdlich. Vielleicht wirft die
am Ende des Jahres stattfindende Präsidentenwahl schon jetzt ihren Schatten
voraus. Seit die Aussichten auf eine Spaltung der demokratische"! Partei
sehr gering geworden sind, bleibt William Vrhan für die jetzige Regierung
ein uicht zu verachtender Gegner, und es läßt sich nicht leugnen, daß er ganz
geschickt operiert. In der richtigen Erkenntnis der Sympathien des ameri¬
kanische" Volkes, und vor allem, um die Stimmen der Deutschen und Iren
für sich zu gewinnen, hat er sich auf die Seite der Buren gestellt. Die meiste"
und schärfste" Kundgebungen gegen England kommen ans deu Staaten, in
denen die Demokratie das Ruder führt. Da gilt es nun für Mac Kiuley
doppelt vorsichtig zu sei", und so wird seine Zurückhaltung E"gla"d gegenüber
einigermaßen begreiflich. Aber der eigentliche Grund liegt tiefer, es ist der,
daß in Amerika mehr und mehr der Gedanke an Boden gewinnt, man brauche
sich um die Freundschaft Englands gar nicht zu kümmern, da diesem ein gutes
Einvernehmen mit den Vereinigten standen so notwendig sei wie das täg¬
liche Brot.


schlecht bestanden. Wohl haben sich in diesen letzten Tagen in Nordamerika
auch Stimmen für England erhoben, aber weitaus die meisten und gewichtigsten
Organe der Presse und vor allein die Stimmung der Massen haben sich für
die Buren erklärt; ja vielleicht haben die Engländer es nur Mac Kinleys vor¬
sichtiger Politik zu danken, daß die Teilnahme Nordamerikas an der Buren¬
sache bis jetzt rein platonisch geblieben ist. So begreift man denu auch den
elegischen Ton, der jetzt aus denselben englischen Blättern hervorklingt, die
einst am lautesten für die angelsächsische Allianz ins Horn stießen, die Klage
über den Undank des amerikanischen Vetters, der die freundliche Haltung Eng¬
lands im spanischen Kriege vergessen hat und es jetzt verläßt, wo es bei der
allgemeinen Verurteilung seiner Handlungsweise ein wenig moralische Unter¬
stützung bitter nötig hätte.

Daß das amerikanische Volk die Partei der Buren ergreift, ist nun freilich
kein Wunder. Mag der Krieg in Südafrika wirklich ein Kampf der höher»
Kultur gegen eine niedre, des modernen Staates gegen eine mittelalterliche
Bauernaristokratie sein — nicht das ist für das Gefühl der Massen entscheidend,
sondern der Zug, der in dem Kampfe um die Goldfelder Transvaals am
meisten hervortritt: die brutale Vergewaltigung des kleinen, sich tapfer um
seine Freiheit wehrenden Volkes durch den übermächtigen Nachbar. Da stellt
sich das natürliche Gefühl von selber ans die Seite des Schwachen, und für
die Amerikaner kommt noch eins hinzu: ihre Väter haben gegen dieselbe Macht
vor nrehr als hundert Jahren den Freiheitskrieg gewagt und gewonnen, wie
sollten die Nachkommen nicht ihre Sympathie» dem Burenvolk zuwende», das
jetzt in derselben Lage ist?

Daß aber auch die amerikanische Regierung eine so korrekte Haltung gegen
England annimmt, die sich in nichts von dem Benehmen der europäischen
Mächte unterscheidet lind sehr von der freundlichen Neutralität Englands im
Kampf um Kuba absticht, das ist allerdings befremdlich. Vielleicht wirft die
am Ende des Jahres stattfindende Präsidentenwahl schon jetzt ihren Schatten
voraus. Seit die Aussichten auf eine Spaltung der demokratische«! Partei
sehr gering geworden sind, bleibt William Vrhan für die jetzige Regierung
ein uicht zu verachtender Gegner, und es läßt sich nicht leugnen, daß er ganz
geschickt operiert. In der richtigen Erkenntnis der Sympathien des ameri¬
kanische» Volkes, und vor allem, um die Stimmen der Deutschen und Iren
für sich zu gewinnen, hat er sich auf die Seite der Buren gestellt. Die meiste»
und schärfste» Kundgebungen gegen England kommen ans deu Staaten, in
denen die Demokratie das Ruder führt. Da gilt es nun für Mac Kiuley
doppelt vorsichtig zu sei», und so wird seine Zurückhaltung E»gla»d gegenüber
einigermaßen begreiflich. Aber der eigentliche Grund liegt tiefer, es ist der,
daß in Amerika mehr und mehr der Gedanke an Boden gewinnt, man brauche
sich um die Freundschaft Englands gar nicht zu kümmern, da diesem ein gutes
Einvernehmen mit den Vereinigten standen so notwendig sei wie das täg¬
liche Brot.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_233233/154>, abgerufen am 18.05.2024.