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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Drittes Vierteljahr.

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Italienische Volks- und Kirchenfeste

S. Prassede zu Rom eine schwarze Niesenleinwand ausübte, die die gesamte
Chornische abschloß und in kolossalen Maßen lediglich Christus am Kreuz dar¬
stellte. Anderwärts wird man wieder durch eine geradezu märchenhafte Blumen-
pracht überrascht, die an den Altären angebracht wird, und in der weiträumiger
Kirche San Domenico zu Palermo sahen wir unter anderm einen umfang¬
reichen Paradiesgarten mit viel Blumen und Rosenhecken, mit lieblichen Engeln
und viel symbolischen Figuren.

Der Fußwaschung am Gründonnerstag, die ja nördlich von den Alpen,
z. B. in München und Wien eine große Rolle spielt, wohnten wir in der alten
Palastkapelle des Königsschlosses zu Palermo bei. Diese kleine Kirche ist mit
Recht ein wahres Schatzkästlein mittelalterlicher Kunst genannt worden; zu
normannischer Zeit im zwölften Jahrhundert, noch unter arabischem Einfluß
entstanden, hat sie einen unbeschreiblichen Formen- und Farbenreiz, der sich
vor allem in den die sämtlichen Wände bedeckenden goldstrahlenden Mosaiken
zeigt. In dieser wunderbaren Umgebung, die gerade uns Deutsche wegen der
hohenstaufischen Erinnerungen in weihevolle Stimmung zu bringen geeignet
ist, vollzog der Erzbischof zusammen mit etwa einem halben hundert Klerikern
das Hochamt. Bei der geringen Ausdehnung der Kirche, bei der bedeutenden
Erhöhung des Priesterraums über dem Langhaus, und bei der Pracht der
Gewänder gewann diese Handlung in beispielloser Weise an Glanz und Har¬
monie der Farben. Für die Fußwaschung, die sich dem Hochamt anschloß,
waren aus der Gemeinde zwölf uralte unbescholtne Männer ausgesucht, die in
ihren blauen Kitteln mit anerkennenswerter Ergebenheit, fast könnte man sagen
mit strahlendem Stumpfsinn, alles über sich ergehn ließen. Zum Glück war
den Leuten tags zuvor der Körper gründlich gereinigt worden, sodaß der
Herr Erzbischof bei seiner Fußwaschung, um einen militärischen Ausdruck zu
gebrauchen, nur gegen einen markierter Feind kämpfte. Und auch sonst war
diese gesamte Zeremonie mehr ein theatralisches Schauspiel, an dein die eigent¬
liche Volksmenge keinen Anteil hatte, und bei dem die religiösen Empfindungen
gegenüber dem vollendeten künstlerischen Eindruck entschieden zu kurz kamen.

Dafür trat das Volk am Abend des nächsten Tages, des Karfreitags,
um so mehr in Erscheinung und zeigte sich hierbei von einer Seite seines
Charakters, die wir diesen wilden Sizilianern nie und nimmer zugetraut Hütten.
Wir hatten einen Ausflug auf den Monte Pellegrino nnteriiommen, den edel-
geformten hohen Berg, der dem Landschaftsbilde von Palermo ein so bestimmtes
Gepräge verleiht. Es war dunkel geworden, als wir heimkehrten; je mehr
wir uns aber der Stadt näherten, um so dichter waren die Straßen mit
Menschen besetzt. Schließlich konnten wir in dein Gewühl nicht weiter, der
Wagen mußte halten, sogleich wurden wir aber auch über den Grund der
Verkehrsstockung aufgeklärt. Es nahte sich eine lange Prozession; feierlicher
Schmuck und zahlreiche Musikkorps, kostümierte und silberbehüngte Brüder¬
schaften und Kindergruppen, aber nur ab und zu eine brennende Kerze, und
statt fröhlichen Lürmens und Jnbelns ringsum ernstes Schweigen! Und als


Italienische Volks- und Kirchenfeste

S. Prassede zu Rom eine schwarze Niesenleinwand ausübte, die die gesamte
Chornische abschloß und in kolossalen Maßen lediglich Christus am Kreuz dar¬
stellte. Anderwärts wird man wieder durch eine geradezu märchenhafte Blumen-
pracht überrascht, die an den Altären angebracht wird, und in der weiträumiger
Kirche San Domenico zu Palermo sahen wir unter anderm einen umfang¬
reichen Paradiesgarten mit viel Blumen und Rosenhecken, mit lieblichen Engeln
und viel symbolischen Figuren.

Der Fußwaschung am Gründonnerstag, die ja nördlich von den Alpen,
z. B. in München und Wien eine große Rolle spielt, wohnten wir in der alten
Palastkapelle des Königsschlosses zu Palermo bei. Diese kleine Kirche ist mit
Recht ein wahres Schatzkästlein mittelalterlicher Kunst genannt worden; zu
normannischer Zeit im zwölften Jahrhundert, noch unter arabischem Einfluß
entstanden, hat sie einen unbeschreiblichen Formen- und Farbenreiz, der sich
vor allem in den die sämtlichen Wände bedeckenden goldstrahlenden Mosaiken
zeigt. In dieser wunderbaren Umgebung, die gerade uns Deutsche wegen der
hohenstaufischen Erinnerungen in weihevolle Stimmung zu bringen geeignet
ist, vollzog der Erzbischof zusammen mit etwa einem halben hundert Klerikern
das Hochamt. Bei der geringen Ausdehnung der Kirche, bei der bedeutenden
Erhöhung des Priesterraums über dem Langhaus, und bei der Pracht der
Gewänder gewann diese Handlung in beispielloser Weise an Glanz und Har¬
monie der Farben. Für die Fußwaschung, die sich dem Hochamt anschloß,
waren aus der Gemeinde zwölf uralte unbescholtne Männer ausgesucht, die in
ihren blauen Kitteln mit anerkennenswerter Ergebenheit, fast könnte man sagen
mit strahlendem Stumpfsinn, alles über sich ergehn ließen. Zum Glück war
den Leuten tags zuvor der Körper gründlich gereinigt worden, sodaß der
Herr Erzbischof bei seiner Fußwaschung, um einen militärischen Ausdruck zu
gebrauchen, nur gegen einen markierter Feind kämpfte. Und auch sonst war
diese gesamte Zeremonie mehr ein theatralisches Schauspiel, an dein die eigent¬
liche Volksmenge keinen Anteil hatte, und bei dem die religiösen Empfindungen
gegenüber dem vollendeten künstlerischen Eindruck entschieden zu kurz kamen.

Dafür trat das Volk am Abend des nächsten Tages, des Karfreitags,
um so mehr in Erscheinung und zeigte sich hierbei von einer Seite seines
Charakters, die wir diesen wilden Sizilianern nie und nimmer zugetraut Hütten.
Wir hatten einen Ausflug auf den Monte Pellegrino nnteriiommen, den edel-
geformten hohen Berg, der dem Landschaftsbilde von Palermo ein so bestimmtes
Gepräge verleiht. Es war dunkel geworden, als wir heimkehrten; je mehr
wir uns aber der Stadt näherten, um so dichter waren die Straßen mit
Menschen besetzt. Schließlich konnten wir in dein Gewühl nicht weiter, der
Wagen mußte halten, sogleich wurden wir aber auch über den Grund der
Verkehrsstockung aufgeklärt. Es nahte sich eine lange Prozession; feierlicher
Schmuck und zahlreiche Musikkorps, kostümierte und silberbehüngte Brüder¬
schaften und Kindergruppen, aber nur ab und zu eine brennende Kerze, und
statt fröhlichen Lürmens und Jnbelns ringsum ernstes Schweigen! Und als


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[0188] Italienische Volks- und Kirchenfeste S. Prassede zu Rom eine schwarze Niesenleinwand ausübte, die die gesamte Chornische abschloß und in kolossalen Maßen lediglich Christus am Kreuz dar¬ stellte. Anderwärts wird man wieder durch eine geradezu märchenhafte Blumen- pracht überrascht, die an den Altären angebracht wird, und in der weiträumiger Kirche San Domenico zu Palermo sahen wir unter anderm einen umfang¬ reichen Paradiesgarten mit viel Blumen und Rosenhecken, mit lieblichen Engeln und viel symbolischen Figuren. Der Fußwaschung am Gründonnerstag, die ja nördlich von den Alpen, z. B. in München und Wien eine große Rolle spielt, wohnten wir in der alten Palastkapelle des Königsschlosses zu Palermo bei. Diese kleine Kirche ist mit Recht ein wahres Schatzkästlein mittelalterlicher Kunst genannt worden; zu normannischer Zeit im zwölften Jahrhundert, noch unter arabischem Einfluß entstanden, hat sie einen unbeschreiblichen Formen- und Farbenreiz, der sich vor allem in den die sämtlichen Wände bedeckenden goldstrahlenden Mosaiken zeigt. In dieser wunderbaren Umgebung, die gerade uns Deutsche wegen der hohenstaufischen Erinnerungen in weihevolle Stimmung zu bringen geeignet ist, vollzog der Erzbischof zusammen mit etwa einem halben hundert Klerikern das Hochamt. Bei der geringen Ausdehnung der Kirche, bei der bedeutenden Erhöhung des Priesterraums über dem Langhaus, und bei der Pracht der Gewänder gewann diese Handlung in beispielloser Weise an Glanz und Har¬ monie der Farben. Für die Fußwaschung, die sich dem Hochamt anschloß, waren aus der Gemeinde zwölf uralte unbescholtne Männer ausgesucht, die in ihren blauen Kitteln mit anerkennenswerter Ergebenheit, fast könnte man sagen mit strahlendem Stumpfsinn, alles über sich ergehn ließen. Zum Glück war den Leuten tags zuvor der Körper gründlich gereinigt worden, sodaß der Herr Erzbischof bei seiner Fußwaschung, um einen militärischen Ausdruck zu gebrauchen, nur gegen einen markierter Feind kämpfte. Und auch sonst war diese gesamte Zeremonie mehr ein theatralisches Schauspiel, an dein die eigent¬ liche Volksmenge keinen Anteil hatte, und bei dem die religiösen Empfindungen gegenüber dem vollendeten künstlerischen Eindruck entschieden zu kurz kamen. Dafür trat das Volk am Abend des nächsten Tages, des Karfreitags, um so mehr in Erscheinung und zeigte sich hierbei von einer Seite seines Charakters, die wir diesen wilden Sizilianern nie und nimmer zugetraut Hütten. Wir hatten einen Ausflug auf den Monte Pellegrino nnteriiommen, den edel- geformten hohen Berg, der dem Landschaftsbilde von Palermo ein so bestimmtes Gepräge verleiht. Es war dunkel geworden, als wir heimkehrten; je mehr wir uns aber der Stadt näherten, um so dichter waren die Straßen mit Menschen besetzt. Schließlich konnten wir in dein Gewühl nicht weiter, der Wagen mußte halten, sogleich wurden wir aber auch über den Grund der Verkehrsstockung aufgeklärt. Es nahte sich eine lange Prozession; feierlicher Schmuck und zahlreiche Musikkorps, kostümierte und silberbehüngte Brüder¬ schaften und Kindergruppen, aber nur ab und zu eine brennende Kerze, und statt fröhlichen Lürmens und Jnbelns ringsum ernstes Schweigen! Und als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_233233/188>, abgerufen am 19.05.2024.