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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Kultur Alteuglnnds, Doch davon wäre ein Buch zu schreiben, und ich habe
heute noch einige Beobachtungen mitzuteilen.

Dem deutschen Bürgertum ist die frische Luft des weiten Reiches in erster
Linie zu gute gekommen. Es war am weitesten hinuntergedrückt und ist am
raschesten gestiegen. Aber mir scheint, daß es nicht minder ein Segen des
neuen Reiches war, daß es Deutschland seine hohe Aristokratie zurückgegeben
hat, die ihre natürliche Aufgabe, die soziale Spitze der deutscheu Gesellschaft
zu sein, über einer politischen vergaß, für die ihre Staaten viel zu klein waren.
Hoffentlich kommen die Zeiten nie wieder, wo der Aufwand für ein Miniatur¬
heer und eine lächerliche Diplomatie diese Länder bedrückt. Wie viel besser ist
es für alle, wenn die Reichsfürsten in der Armee und der Diplomatie des
Reiches ihre Männer stellen. Es wäre schon früher manches besser gewesen,
wenn wir mehr Bernharde von Weimar, Leopolde von Anhalt, Ludwige von
Baden gehabt hätten. Das Beispiel der Hohenlohe und der Hohenzollern muß
unter "Regierenden" noch viel mehr Nachahmung finden! Wieviel Heldenkraft ist
auf deutschen Fürstenschlvssern verdumpft und vermodert. Irgendwo in Deutsch¬
land regiert ein Herr mit den Einkünften eines mittlern Bankiers, der Not
hat, seine paar Schlösser zu erhalten, und seinen Hofstaat längst aufgelöst
hätte, wenn nicht der kleine Adel des Landes bereit wäre, für weniges mehr
als nichts die Erbümter zu bekleiden. Er behält so wenig übrig, daß er nicht
einmal seinen Herzenswunsch erfüllen kann, den Kaiser in seine Jagdreviere
einzuladen, die ihres gleichen suchen. Was wunder, daß der früh der preu¬
ßischen Armee entzogne Fürst Buddha zu seinem Lieblingsheiligen erkürt und
erst anstand, wenn man ihm von dem indischen Königssohn spricht, der Bettler
wurde.

Das Reich hat zunächst die Kleinfürsten wieder mehr auf ihre Völker
oder Völkchen zurückgedrängt, mit denen sie sich zu vertragen haben. Die
Landtage stützen sich mit seltner Einmütigkeit auf Preußen, aus dessen schnei¬
diger Bureaukratie die besten Verwalter hervorgegangen sind, die das Interesse
des Landes auch unter absolutistischen Formen ganz anders vertreten als die
gefügigen Höflinge, die sonst die ersten Stellen als Erdstellen zu bekleiden
pflegten. "Preußen hat ein Auge auf uns," "Preußen sorgt dafür, daß man
uns uicht wie früher auspreßt." In Domänen- und Veräußerungsfragen hat
sich Preußen in der Regel für das Land thätig gezeigt. "Wir werden doch
eines Tages an Preußen fallen, das weiß man dort so gut wie hier, und
Preußen will uns auch nicht ausgesogen wissen." Diesen Satz habe ich nicht
selten gehört. Ja, wenn mich meine süddeutsche" Erfahrungen nicht trügen, giebt
es sogar zwischen den Vogesen und dem Böhmerwald Leute, die pietätlos genug
sind, zu sagen: Wir sind in der glücklichen Lage, durch Preußen gegen Will¬
kürlichkeiten unsrer Dynasten und innern Politiker gesichert zu sein, wenn sie
noch so partikularistisch fühlen, mit einem Auge schielen sie doch vor jeder
"That" nach Berlin.

Um nach Thüringen zurückzukehren: die Stellung der kleinen Fürsten


Kultur Alteuglnnds, Doch davon wäre ein Buch zu schreiben, und ich habe
heute noch einige Beobachtungen mitzuteilen.

Dem deutschen Bürgertum ist die frische Luft des weiten Reiches in erster
Linie zu gute gekommen. Es war am weitesten hinuntergedrückt und ist am
raschesten gestiegen. Aber mir scheint, daß es nicht minder ein Segen des
neuen Reiches war, daß es Deutschland seine hohe Aristokratie zurückgegeben
hat, die ihre natürliche Aufgabe, die soziale Spitze der deutscheu Gesellschaft
zu sein, über einer politischen vergaß, für die ihre Staaten viel zu klein waren.
Hoffentlich kommen die Zeiten nie wieder, wo der Aufwand für ein Miniatur¬
heer und eine lächerliche Diplomatie diese Länder bedrückt. Wie viel besser ist
es für alle, wenn die Reichsfürsten in der Armee und der Diplomatie des
Reiches ihre Männer stellen. Es wäre schon früher manches besser gewesen,
wenn wir mehr Bernharde von Weimar, Leopolde von Anhalt, Ludwige von
Baden gehabt hätten. Das Beispiel der Hohenlohe und der Hohenzollern muß
unter „Regierenden" noch viel mehr Nachahmung finden! Wieviel Heldenkraft ist
auf deutschen Fürstenschlvssern verdumpft und vermodert. Irgendwo in Deutsch¬
land regiert ein Herr mit den Einkünften eines mittlern Bankiers, der Not
hat, seine paar Schlösser zu erhalten, und seinen Hofstaat längst aufgelöst
hätte, wenn nicht der kleine Adel des Landes bereit wäre, für weniges mehr
als nichts die Erbümter zu bekleiden. Er behält so wenig übrig, daß er nicht
einmal seinen Herzenswunsch erfüllen kann, den Kaiser in seine Jagdreviere
einzuladen, die ihres gleichen suchen. Was wunder, daß der früh der preu¬
ßischen Armee entzogne Fürst Buddha zu seinem Lieblingsheiligen erkürt und
erst anstand, wenn man ihm von dem indischen Königssohn spricht, der Bettler
wurde.

Das Reich hat zunächst die Kleinfürsten wieder mehr auf ihre Völker
oder Völkchen zurückgedrängt, mit denen sie sich zu vertragen haben. Die
Landtage stützen sich mit seltner Einmütigkeit auf Preußen, aus dessen schnei¬
diger Bureaukratie die besten Verwalter hervorgegangen sind, die das Interesse
des Landes auch unter absolutistischen Formen ganz anders vertreten als die
gefügigen Höflinge, die sonst die ersten Stellen als Erdstellen zu bekleiden
pflegten. „Preußen hat ein Auge auf uns," „Preußen sorgt dafür, daß man
uns uicht wie früher auspreßt." In Domänen- und Veräußerungsfragen hat
sich Preußen in der Regel für das Land thätig gezeigt. „Wir werden doch
eines Tages an Preußen fallen, das weiß man dort so gut wie hier, und
Preußen will uns auch nicht ausgesogen wissen." Diesen Satz habe ich nicht
selten gehört. Ja, wenn mich meine süddeutsche» Erfahrungen nicht trügen, giebt
es sogar zwischen den Vogesen und dem Böhmerwald Leute, die pietätlos genug
sind, zu sagen: Wir sind in der glücklichen Lage, durch Preußen gegen Will¬
kürlichkeiten unsrer Dynasten und innern Politiker gesichert zu sein, wenn sie
noch so partikularistisch fühlen, mit einem Auge schielen sie doch vor jeder
„That" nach Berlin.

Um nach Thüringen zurückzukehren: die Stellung der kleinen Fürsten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/100>, abgerufen am 16.06.2024.