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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Nachdem wieder anderthalb Jahre vergangen waren, war Nagna abermals
mit einem zwei Monate alten Kinde in ihrer Kajüte beschäftigt. Das warf Sonnen¬
schein über die Dunkelheit der vergangnen Tage. Aber es gab trotzdem noch
drohende Wolken am Himmel, denn das Kind war schwächlich. Die Mutter hatte
den Schrecken jener Nacht noch nicht überwinden können, und so teilte das junge
Lebe" das Unglück der Eltern. Es war auch wieder ein Knabe, und der Vater
hatte ihn alsbald als eine Gabe Gottes zum Ersatz für das Verlorne begrüßt.
Aber der Unterschied zwischen dem Verlornen und dem Wiedergewonnenen zeigte
sich bald; und in einem Anfall von Kummer sielen ihm das neue Unglück und das
alte mit doppelter Schwere aufs Herz und riefen eine bittere Stimmung in seinem
Herzen hervor.

Es wird wohl auch sterben, sagte er, nachdem er lange schweigend das kleine
magere Gesichtchen betrachtet hatte.

O sag das nicht! rief die Mutter und beugte sich weinend über das Kind.

Da flog der schwarzgeflügelte Gedankenvogel des Unglücks durch seiue Seele,
und er verwünschte den Vater, weil er all das Gute, dessen seiue Frau und sein
Kind entbehrten, für sich allein behalte.

Um des Heilands willen! schrie Ragna, nun bist du von Sinnen, Asmund!

Und er war es auch. Er stieß sie von sich, als sie ihn halten wollte, sprang
auf und setzte sich droben aufs Verdeck, wo er sich einem Schmerzensausbruch hingab,
der seinen kräftigen Korper erschütterte, wie der Sturm einen einsamen Baum ans
dem Berge schüttelt.

Etwa einen Monat nach diesem Ausbruch -- der übrigens eine Schwermut
zur Folge hatte, die Asmund wortkarg und teilnahmlos mochte -- bekam er von
seinem Vater den Auftrag, das Schiff unverzüglich einem zuverlässigen Manne zu
übergeben und für ihn eine Reise anzutreten. Die "Firma H. Bjerke und Sohn,"
ein Ausdruck, der vom Vater zum erstenmal gebraucht wurde, stand nämlich in
Gefahr, eine bedeutende Geldsumme zu verlieren, und da der Vater den eignen
Augenschein für besser hielt als den eines Rechtsanwalts, bat er den Sohn/sich
zu beeilen und alles andre in den Hintergrund zu stellen, um die Angelegenheit
zu erledigen.

Asmund war gerade in einem der größern Handelsvrte eingelaufen, um eine
neue Fracht zu suche", da ihm aber die Verhältnisse nicht erlaubten, einen Fremden
an Bord zu nehmen, steuerte er sofort einem andern Orte zu, wo er ruhig alles
dem Schiffsjungen überlassen konnte, und wo zugleich die Einsamkeit herrschte, die
notwendig war, Frau und Kind zudringlicher Neugierde zu entziehn.

Dann aber mußte er sich beeilen, das Dampfschiff zu erreichen, denn Christians-
snnd war das Ziel seiner Reise. Es war, als ob Mann und Frau sich nie wieder
sehen sollten, so schwer und hoffnungslos war dieser -- ihr erster Abschied. Es
war ihnen, als müßten sie über einen tiefen Abgrund. Aber die Notwendigkeit
reichte ihnen die derbe Hand, und so kamen sie auch hinüber.

(Schluß folgt)




Nachdem wieder anderthalb Jahre vergangen waren, war Nagna abermals
mit einem zwei Monate alten Kinde in ihrer Kajüte beschäftigt. Das warf Sonnen¬
schein über die Dunkelheit der vergangnen Tage. Aber es gab trotzdem noch
drohende Wolken am Himmel, denn das Kind war schwächlich. Die Mutter hatte
den Schrecken jener Nacht noch nicht überwinden können, und so teilte das junge
Lebe» das Unglück der Eltern. Es war auch wieder ein Knabe, und der Vater
hatte ihn alsbald als eine Gabe Gottes zum Ersatz für das Verlorne begrüßt.
Aber der Unterschied zwischen dem Verlornen und dem Wiedergewonnenen zeigte
sich bald; und in einem Anfall von Kummer sielen ihm das neue Unglück und das
alte mit doppelter Schwere aufs Herz und riefen eine bittere Stimmung in seinem
Herzen hervor.

Es wird wohl auch sterben, sagte er, nachdem er lange schweigend das kleine
magere Gesichtchen betrachtet hatte.

O sag das nicht! rief die Mutter und beugte sich weinend über das Kind.

Da flog der schwarzgeflügelte Gedankenvogel des Unglücks durch seiue Seele,
und er verwünschte den Vater, weil er all das Gute, dessen seiue Frau und sein
Kind entbehrten, für sich allein behalte.

Um des Heilands willen! schrie Ragna, nun bist du von Sinnen, Asmund!

Und er war es auch. Er stieß sie von sich, als sie ihn halten wollte, sprang
auf und setzte sich droben aufs Verdeck, wo er sich einem Schmerzensausbruch hingab,
der seinen kräftigen Korper erschütterte, wie der Sturm einen einsamen Baum ans
dem Berge schüttelt.

Etwa einen Monat nach diesem Ausbruch — der übrigens eine Schwermut
zur Folge hatte, die Asmund wortkarg und teilnahmlos mochte — bekam er von
seinem Vater den Auftrag, das Schiff unverzüglich einem zuverlässigen Manne zu
übergeben und für ihn eine Reise anzutreten. Die „Firma H. Bjerke und Sohn,"
ein Ausdruck, der vom Vater zum erstenmal gebraucht wurde, stand nämlich in
Gefahr, eine bedeutende Geldsumme zu verlieren, und da der Vater den eignen
Augenschein für besser hielt als den eines Rechtsanwalts, bat er den Sohn/sich
zu beeilen und alles andre in den Hintergrund zu stellen, um die Angelegenheit
zu erledigen.

Asmund war gerade in einem der größern Handelsvrte eingelaufen, um eine
neue Fracht zu suche», da ihm aber die Verhältnisse nicht erlaubten, einen Fremden
an Bord zu nehmen, steuerte er sofort einem andern Orte zu, wo er ruhig alles
dem Schiffsjungen überlassen konnte, und wo zugleich die Einsamkeit herrschte, die
notwendig war, Frau und Kind zudringlicher Neugierde zu entziehn.

Dann aber mußte er sich beeilen, das Dampfschiff zu erreichen, denn Christians-
snnd war das Ziel seiner Reise. Es war, als ob Mann und Frau sich nie wieder
sehen sollten, so schwer und hoffnungslos war dieser — ihr erster Abschied. Es
war ihnen, als müßten sie über einen tiefen Abgrund. Aber die Notwendigkeit
reichte ihnen die derbe Hand, und so kamen sie auch hinüber.

(Schluß folgt)




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[0107] Nachdem wieder anderthalb Jahre vergangen waren, war Nagna abermals mit einem zwei Monate alten Kinde in ihrer Kajüte beschäftigt. Das warf Sonnen¬ schein über die Dunkelheit der vergangnen Tage. Aber es gab trotzdem noch drohende Wolken am Himmel, denn das Kind war schwächlich. Die Mutter hatte den Schrecken jener Nacht noch nicht überwinden können, und so teilte das junge Lebe» das Unglück der Eltern. Es war auch wieder ein Knabe, und der Vater hatte ihn alsbald als eine Gabe Gottes zum Ersatz für das Verlorne begrüßt. Aber der Unterschied zwischen dem Verlornen und dem Wiedergewonnenen zeigte sich bald; und in einem Anfall von Kummer sielen ihm das neue Unglück und das alte mit doppelter Schwere aufs Herz und riefen eine bittere Stimmung in seinem Herzen hervor. Es wird wohl auch sterben, sagte er, nachdem er lange schweigend das kleine magere Gesichtchen betrachtet hatte. O sag das nicht! rief die Mutter und beugte sich weinend über das Kind. Da flog der schwarzgeflügelte Gedankenvogel des Unglücks durch seiue Seele, und er verwünschte den Vater, weil er all das Gute, dessen seiue Frau und sein Kind entbehrten, für sich allein behalte. Um des Heilands willen! schrie Ragna, nun bist du von Sinnen, Asmund! Und er war es auch. Er stieß sie von sich, als sie ihn halten wollte, sprang auf und setzte sich droben aufs Verdeck, wo er sich einem Schmerzensausbruch hingab, der seinen kräftigen Korper erschütterte, wie der Sturm einen einsamen Baum ans dem Berge schüttelt. Etwa einen Monat nach diesem Ausbruch — der übrigens eine Schwermut zur Folge hatte, die Asmund wortkarg und teilnahmlos mochte — bekam er von seinem Vater den Auftrag, das Schiff unverzüglich einem zuverlässigen Manne zu übergeben und für ihn eine Reise anzutreten. Die „Firma H. Bjerke und Sohn," ein Ausdruck, der vom Vater zum erstenmal gebraucht wurde, stand nämlich in Gefahr, eine bedeutende Geldsumme zu verlieren, und da der Vater den eignen Augenschein für besser hielt als den eines Rechtsanwalts, bat er den Sohn/sich zu beeilen und alles andre in den Hintergrund zu stellen, um die Angelegenheit zu erledigen. Asmund war gerade in einem der größern Handelsvrte eingelaufen, um eine neue Fracht zu suche», da ihm aber die Verhältnisse nicht erlaubten, einen Fremden an Bord zu nehmen, steuerte er sofort einem andern Orte zu, wo er ruhig alles dem Schiffsjungen überlassen konnte, und wo zugleich die Einsamkeit herrschte, die notwendig war, Frau und Kind zudringlicher Neugierde zu entziehn. Dann aber mußte er sich beeilen, das Dampfschiff zu erreichen, denn Christians- snnd war das Ziel seiner Reise. Es war, als ob Mann und Frau sich nie wieder sehen sollten, so schwer und hoffnungslos war dieser — ihr erster Abschied. Es war ihnen, als müßten sie über einen tiefen Abgrund. Aber die Notwendigkeit reichte ihnen die derbe Hand, und so kamen sie auch hinüber. (Schluß folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/107>, abgerufen am 16.06.2024.