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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

durch das "Was" seiner Aphorismen imponieren lassen, höchstens bewundert er die
Form, wenn sie auch nicht cillcnuil nach seinem Geschmack ist; dem Belesenen ist
aber anch diese nicht einmal immer so neu wie denen, die Nietzsche nnr aus Nietzsche
kennen. Von einer zusammenhängenden Philosophie, einem System, einer Welt-
auffassiiug kaun gar nicht die Rede sein, und an Widersprüchen, Parndvxien und
Thorheiten hat keiner mehr geleistet als dieser hochbegabte Mann. Das sieht,
weiß und zeigt auch Lyon, und seine durchaus selbständige Stellung zu Nietzsche
belegt den zweiten Teil des oben angeführten Satzes. An einer Stelle seines
Buchs meint er, die heutige Schätzung des französischen klassischen Dramas -- gegen¬
über der Verurteilung durch Lessing -- gehe auf Nietzsche zurück, der ja in seiner
"zweiten Periode" alles Lateinische und Romanische liber das Griechische und
namentlich much über das Germanische erhob, "Also muh hier bereits der Einfluß
Nietzsches" (S, 38). Das ist nicht richtig. Den Standpunkt der Dramatiker
Ludwigs XIV. hat in neuerer Zeit zuerst der Gießener Karl Hillebraud, der 1884
in Florenz starb, mit großem Nachdruck vertreten, und von diesem geistreichen
Schriftsteller stammt auch eine andre These des spätern Nietzsche. Hillebraud hatte
im Anfang der siebziger Jahre eine Reihe von Zeituugsaufsätzcn liber die Unzu-
verlässigkeit aller geschichtliche" Überlieferung veröffentlicht, die damals viel Aufsehen
machten, und bei Nietzsche erscheint die Historie als "Afterwissenschaft" wieder.
Zu Nietzsches Quellen gehört übrigens auch Carlhlc, den er später wegwarf und
beschimpfte, wie er es mit Richard Wnguer machte: dort haben wir den Herren¬
kult, den Edelmeuscheu, der die andern beherrschen muß, die Vorliebe für das Alte
Testament und noch viel andres. Es gehört eben zu den vielen Konfusionen des
heutigen Sprachgebrauchs, daß Nietzsche immer als "Denker" bezeichnet wird; seiue
Gebaut'en sind Reproduktionen. Wenn Lyon bedauert, daß dieselben Kreise, die
ihn einst mit den schärfsten Streichen abgewehrt hätten (Herr Friedrich Nietzsche
und die deutsche Kultur, Grenzboten 1873), sich heute bereits vor ihm beugen
(S. 38), so hat er dabei wahrscheinlich an die Aufsätze von Carl Jentsch im Jahr¬
gange 1898 gedacht. Er konnte aber aus der wichtigen und interessanten Notiz:
Nietzsche und Novalis (IV. Quartal, S. 111) sehen, daß sich Jentsch keineswegs
beugt, sondern nur die Fähigkeit hat, einem Gegner auf seinen Gedankengängen
recht weit zu folgen, bis er ihm die Absage erteilt. Sonst würde er nicht Nietzsche
mit Novalis so verglichen haben, daß jener dabei schließlich platt zu Boden fällt.
Novalis hat mehr positives Wissen und mehr künstlerische Leistung, ebensoviel Para-
doxie, aber keinen Pessimismus, sondern Versöhnung der Gegensätze. Er schätzte
die Schriftstellerei gering und schrieb nnr nebenher, aber dabei manches, was
bleibenden Wert hat, "während von Nietzsche im nächsten Jahrtausend wahrscheinlich
nichts mehr gelesen wird." Und ganz zuletzt drückt sich Jentsch noch einmal deut¬
lich genug dahin aus, daß die Überschätzung Nietzsches zum Teil in der Unbeleseu-
hcit derer, die sich mit ihm beschäftigen, ihren Grund haben möge.

Ein ganz leichtgeschürztes und sehr anmutiges Buch, eine wirkliche Plauderei,
wie der Nebentitel sagt, ist "Vom Geschmack," zweite Auflage, von F. Bettex (Halle
und Bremen, Müller). Der Verfasser ist positiver Christ wie Eremita, und seine
Richtung ist etwa dieselbe, nur handelt er weniger von Kunst und Litteratur und
mehr von Lebensfrage". Er will gegenüber der bekannten Ausrede von der Will¬
kürlichkeit des Geschmacks zeigen, wie sich im Leben ans dem Wahren, Guten und
Natürlichen gewisse Verbindlichkeiten ergeben, deren Nichtachtung innerhalb eines
bestimmten Kreises als Geschmacklosigkeit empfunden wird. Der Kreis umschreibt
nicht gerade die obern Zehntausend Hörmanns, vielleicht ist er weiter, wahrschein¬
lich aber enger, jedenfalls möchte man gern dazu gerechnet werden, denn seine
Boraussetzungen sind fein und nobel, seine Schlußfolgerungen verständig und ein-


Maßgebliches und Unmaßgebliches

durch das „Was" seiner Aphorismen imponieren lassen, höchstens bewundert er die
Form, wenn sie auch nicht cillcnuil nach seinem Geschmack ist; dem Belesenen ist
aber anch diese nicht einmal immer so neu wie denen, die Nietzsche nnr aus Nietzsche
kennen. Von einer zusammenhängenden Philosophie, einem System, einer Welt-
auffassiiug kaun gar nicht die Rede sein, und an Widersprüchen, Parndvxien und
Thorheiten hat keiner mehr geleistet als dieser hochbegabte Mann. Das sieht,
weiß und zeigt auch Lyon, und seine durchaus selbständige Stellung zu Nietzsche
belegt den zweiten Teil des oben angeführten Satzes. An einer Stelle seines
Buchs meint er, die heutige Schätzung des französischen klassischen Dramas — gegen¬
über der Verurteilung durch Lessing — gehe auf Nietzsche zurück, der ja in seiner
„zweiten Periode" alles Lateinische und Romanische liber das Griechische und
namentlich much über das Germanische erhob, „Also muh hier bereits der Einfluß
Nietzsches" (S, 38). Das ist nicht richtig. Den Standpunkt der Dramatiker
Ludwigs XIV. hat in neuerer Zeit zuerst der Gießener Karl Hillebraud, der 1884
in Florenz starb, mit großem Nachdruck vertreten, und von diesem geistreichen
Schriftsteller stammt auch eine andre These des spätern Nietzsche. Hillebraud hatte
im Anfang der siebziger Jahre eine Reihe von Zeituugsaufsätzcn liber die Unzu-
verlässigkeit aller geschichtliche» Überlieferung veröffentlicht, die damals viel Aufsehen
machten, und bei Nietzsche erscheint die Historie als „Afterwissenschaft" wieder.
Zu Nietzsches Quellen gehört übrigens auch Carlhlc, den er später wegwarf und
beschimpfte, wie er es mit Richard Wnguer machte: dort haben wir den Herren¬
kult, den Edelmeuscheu, der die andern beherrschen muß, die Vorliebe für das Alte
Testament und noch viel andres. Es gehört eben zu den vielen Konfusionen des
heutigen Sprachgebrauchs, daß Nietzsche immer als „Denker" bezeichnet wird; seiue
Gebaut'en sind Reproduktionen. Wenn Lyon bedauert, daß dieselben Kreise, die
ihn einst mit den schärfsten Streichen abgewehrt hätten (Herr Friedrich Nietzsche
und die deutsche Kultur, Grenzboten 1873), sich heute bereits vor ihm beugen
(S. 38), so hat er dabei wahrscheinlich an die Aufsätze von Carl Jentsch im Jahr¬
gange 1898 gedacht. Er konnte aber aus der wichtigen und interessanten Notiz:
Nietzsche und Novalis (IV. Quartal, S. 111) sehen, daß sich Jentsch keineswegs
beugt, sondern nur die Fähigkeit hat, einem Gegner auf seinen Gedankengängen
recht weit zu folgen, bis er ihm die Absage erteilt. Sonst würde er nicht Nietzsche
mit Novalis so verglichen haben, daß jener dabei schließlich platt zu Boden fällt.
Novalis hat mehr positives Wissen und mehr künstlerische Leistung, ebensoviel Para-
doxie, aber keinen Pessimismus, sondern Versöhnung der Gegensätze. Er schätzte
die Schriftstellerei gering und schrieb nnr nebenher, aber dabei manches, was
bleibenden Wert hat, „während von Nietzsche im nächsten Jahrtausend wahrscheinlich
nichts mehr gelesen wird." Und ganz zuletzt drückt sich Jentsch noch einmal deut¬
lich genug dahin aus, daß die Überschätzung Nietzsches zum Teil in der Unbeleseu-
hcit derer, die sich mit ihm beschäftigen, ihren Grund haben möge.

Ein ganz leichtgeschürztes und sehr anmutiges Buch, eine wirkliche Plauderei,
wie der Nebentitel sagt, ist „Vom Geschmack," zweite Auflage, von F. Bettex (Halle
und Bremen, Müller). Der Verfasser ist positiver Christ wie Eremita, und seine
Richtung ist etwa dieselbe, nur handelt er weniger von Kunst und Litteratur und
mehr von Lebensfrage». Er will gegenüber der bekannten Ausrede von der Will¬
kürlichkeit des Geschmacks zeigen, wie sich im Leben ans dem Wahren, Guten und
Natürlichen gewisse Verbindlichkeiten ergeben, deren Nichtachtung innerhalb eines
bestimmten Kreises als Geschmacklosigkeit empfunden wird. Der Kreis umschreibt
nicht gerade die obern Zehntausend Hörmanns, vielleicht ist er weiter, wahrschein¬
lich aber enger, jedenfalls möchte man gern dazu gerechnet werden, denn seine
Boraussetzungen sind fein und nobel, seine Schlußfolgerungen verständig und ein-


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[0113] Maßgebliches und Unmaßgebliches durch das „Was" seiner Aphorismen imponieren lassen, höchstens bewundert er die Form, wenn sie auch nicht cillcnuil nach seinem Geschmack ist; dem Belesenen ist aber anch diese nicht einmal immer so neu wie denen, die Nietzsche nnr aus Nietzsche kennen. Von einer zusammenhängenden Philosophie, einem System, einer Welt- auffassiiug kaun gar nicht die Rede sein, und an Widersprüchen, Parndvxien und Thorheiten hat keiner mehr geleistet als dieser hochbegabte Mann. Das sieht, weiß und zeigt auch Lyon, und seine durchaus selbständige Stellung zu Nietzsche belegt den zweiten Teil des oben angeführten Satzes. An einer Stelle seines Buchs meint er, die heutige Schätzung des französischen klassischen Dramas — gegen¬ über der Verurteilung durch Lessing — gehe auf Nietzsche zurück, der ja in seiner „zweiten Periode" alles Lateinische und Romanische liber das Griechische und namentlich much über das Germanische erhob, „Also muh hier bereits der Einfluß Nietzsches" (S, 38). Das ist nicht richtig. Den Standpunkt der Dramatiker Ludwigs XIV. hat in neuerer Zeit zuerst der Gießener Karl Hillebraud, der 1884 in Florenz starb, mit großem Nachdruck vertreten, und von diesem geistreichen Schriftsteller stammt auch eine andre These des spätern Nietzsche. Hillebraud hatte im Anfang der siebziger Jahre eine Reihe von Zeituugsaufsätzcn liber die Unzu- verlässigkeit aller geschichtliche» Überlieferung veröffentlicht, die damals viel Aufsehen machten, und bei Nietzsche erscheint die Historie als „Afterwissenschaft" wieder. Zu Nietzsches Quellen gehört übrigens auch Carlhlc, den er später wegwarf und beschimpfte, wie er es mit Richard Wnguer machte: dort haben wir den Herren¬ kult, den Edelmeuscheu, der die andern beherrschen muß, die Vorliebe für das Alte Testament und noch viel andres. Es gehört eben zu den vielen Konfusionen des heutigen Sprachgebrauchs, daß Nietzsche immer als „Denker" bezeichnet wird; seiue Gebaut'en sind Reproduktionen. Wenn Lyon bedauert, daß dieselben Kreise, die ihn einst mit den schärfsten Streichen abgewehrt hätten (Herr Friedrich Nietzsche und die deutsche Kultur, Grenzboten 1873), sich heute bereits vor ihm beugen (S. 38), so hat er dabei wahrscheinlich an die Aufsätze von Carl Jentsch im Jahr¬ gange 1898 gedacht. Er konnte aber aus der wichtigen und interessanten Notiz: Nietzsche und Novalis (IV. Quartal, S. 111) sehen, daß sich Jentsch keineswegs beugt, sondern nur die Fähigkeit hat, einem Gegner auf seinen Gedankengängen recht weit zu folgen, bis er ihm die Absage erteilt. Sonst würde er nicht Nietzsche mit Novalis so verglichen haben, daß jener dabei schließlich platt zu Boden fällt. Novalis hat mehr positives Wissen und mehr künstlerische Leistung, ebensoviel Para- doxie, aber keinen Pessimismus, sondern Versöhnung der Gegensätze. Er schätzte die Schriftstellerei gering und schrieb nnr nebenher, aber dabei manches, was bleibenden Wert hat, „während von Nietzsche im nächsten Jahrtausend wahrscheinlich nichts mehr gelesen wird." Und ganz zuletzt drückt sich Jentsch noch einmal deut¬ lich genug dahin aus, daß die Überschätzung Nietzsches zum Teil in der Unbeleseu- hcit derer, die sich mit ihm beschäftigen, ihren Grund haben möge. Ein ganz leichtgeschürztes und sehr anmutiges Buch, eine wirkliche Plauderei, wie der Nebentitel sagt, ist „Vom Geschmack," zweite Auflage, von F. Bettex (Halle und Bremen, Müller). Der Verfasser ist positiver Christ wie Eremita, und seine Richtung ist etwa dieselbe, nur handelt er weniger von Kunst und Litteratur und mehr von Lebensfrage». Er will gegenüber der bekannten Ausrede von der Will¬ kürlichkeit des Geschmacks zeigen, wie sich im Leben ans dem Wahren, Guten und Natürlichen gewisse Verbindlichkeiten ergeben, deren Nichtachtung innerhalb eines bestimmten Kreises als Geschmacklosigkeit empfunden wird. Der Kreis umschreibt nicht gerade die obern Zehntausend Hörmanns, vielleicht ist er weiter, wahrschein¬ lich aber enger, jedenfalls möchte man gern dazu gerechnet werden, denn seine Boraussetzungen sind fein und nobel, seine Schlußfolgerungen verständig und ein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/113>, abgerufen am 16.06.2024.