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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Die Bedeutung des chinesischen Feldzugs für Deutschland

Führung Deutschlands zu folgen, dazu könne" sie sich immer "och nicht recht
entschließen. Jedenfalls würde es wenigstens nicht die Schuld Deutschlands
sein, wenn der Widerstreit der Sonderinteressen eine reinliche und dauerhafte
Lösung der chinesischen Frage verhinderte.

Unsre Nörglerpresse versichert pathetisch unter den üblichen vorwurfsvollen
Anspielungen, die Masse des deutschen Volks stehe den Kämpfen in China ganz
gleichgiltig gegenüber. Ja, wenn ihr die Masse des deutschen Volks, ein¬
schließlich der von der Sozialdemokratie vergifteten Fabrikarbeiters ehrst frage"
wollt, welche Politik denn getrieben werden solle, so würde derselbe erleuchtete
und selbstverständlich unfehlbare Volksverstand, der jüngst in der freien Schweiz
die Arbeiterversicheruugsgesetze zu Falle gebracht hat, weil dieses politisch so
gereifte Volk zu kurzsichtig und selbstsüchtig war, Opfer für die Zukunft ans
sich zu nehmen, euch vielleicht raten, unsre Kriegsflotte einem zweiten Hannibal
Fischer zur Versteigerung an den Mindestbietenden zu überantworten, das
stehende Heer durch eine zwar zuchtlose und unbrauchbare aber "volkstümliche"
Miliz zu ersetzen, unsre Kolonien um ein Billiges loszuschlagen und die so
gewonnenen oder ersparten Summen zu einer glänzenden Feier des 1. Mai
zu verwenden, zu der dann natürlich auch Abordnungen der biedern, fried¬
fertige", so schwer verkannte" Chinesen eingeladen werden müßten, um das er¬
hebende Schauspiel internationaler Verbrüderung zu vervollständigen. Wie
kann ein vernünftiger Mensch verlangen, daß eine so neue und kühne Politik
von der Masse des Volks sofort auch uur begriffen werde! So einfach, wie
die Dinge scheinbar beim Ausbruche des Kriegs von 1870 für die Volks¬
empfindung lagen, können sie nur höchst selten liegen, und in der überseeische"
Politik für unser so lange daheim i" binnenländischer Beschränktheit kläglich
verhocktes Volk gleich gnr nicht. Es ist die Aufgabe einer patriotischen Presse,
das Verständnis dafür nnter ihren Lesern zu verbreiten, statt über den Mangel
darüber zu jammern, und wie der Gothaische Professor Galetti die Königin
Elisabeth nach der Hinrichtung Maria Stuarts so rührend geschildert hat, "in
der einen Hand das Schnupftuch, in der andern die Thräne," vor das Volk
hinzutreten und die Verantwortung für die angebliche Teilnahmlosigkeit andern
aufzubürden.

Zum Glück besteht diese Teilnahmlosigkeit auch nur in der Phantasie ge¬
wisser Journalisten, die in gewohnter Bescheidenheit die Empfindungen ihrer
eignen werten Persönlichkeit für die des Volks ausgeben; in den Volkskreisen,
auf die es hier ankam, in unsrer waffenfähigen Jugend, bestand sie nicht und
besteht sie nicht, die folgte begeistert dem Rufe des Kaisers "zu den Waffen"!
Sie wird auch vor allem dazu wirken, ein gewisses Interesse und Verständnis
für die Weltpolitik in die weitesten Kreise zu tragen, soweit diese nicht künstlich
verhetzt werde", und dadurch helfe", sie aus dein innern Zank und Stank
emporzuheben, in den sich deutsche Menschen zu allen Zeiten so gern vertieft
haben. Deal welche ungeheure Erweiterung des Gesichtskreises thut sich vor
ihnen ans! Diese zehntausende junger Männer, die größtenteils niemals das


Die Bedeutung des chinesischen Feldzugs für Deutschland

Führung Deutschlands zu folgen, dazu könne» sie sich immer »och nicht recht
entschließen. Jedenfalls würde es wenigstens nicht die Schuld Deutschlands
sein, wenn der Widerstreit der Sonderinteressen eine reinliche und dauerhafte
Lösung der chinesischen Frage verhinderte.

Unsre Nörglerpresse versichert pathetisch unter den üblichen vorwurfsvollen
Anspielungen, die Masse des deutschen Volks stehe den Kämpfen in China ganz
gleichgiltig gegenüber. Ja, wenn ihr die Masse des deutschen Volks, ein¬
schließlich der von der Sozialdemokratie vergifteten Fabrikarbeiters ehrst frage»
wollt, welche Politik denn getrieben werden solle, so würde derselbe erleuchtete
und selbstverständlich unfehlbare Volksverstand, der jüngst in der freien Schweiz
die Arbeiterversicheruugsgesetze zu Falle gebracht hat, weil dieses politisch so
gereifte Volk zu kurzsichtig und selbstsüchtig war, Opfer für die Zukunft ans
sich zu nehmen, euch vielleicht raten, unsre Kriegsflotte einem zweiten Hannibal
Fischer zur Versteigerung an den Mindestbietenden zu überantworten, das
stehende Heer durch eine zwar zuchtlose und unbrauchbare aber „volkstümliche"
Miliz zu ersetzen, unsre Kolonien um ein Billiges loszuschlagen und die so
gewonnenen oder ersparten Summen zu einer glänzenden Feier des 1. Mai
zu verwenden, zu der dann natürlich auch Abordnungen der biedern, fried¬
fertige», so schwer verkannte» Chinesen eingeladen werden müßten, um das er¬
hebende Schauspiel internationaler Verbrüderung zu vervollständigen. Wie
kann ein vernünftiger Mensch verlangen, daß eine so neue und kühne Politik
von der Masse des Volks sofort auch uur begriffen werde! So einfach, wie
die Dinge scheinbar beim Ausbruche des Kriegs von 1870 für die Volks¬
empfindung lagen, können sie nur höchst selten liegen, und in der überseeische»
Politik für unser so lange daheim i» binnenländischer Beschränktheit kläglich
verhocktes Volk gleich gnr nicht. Es ist die Aufgabe einer patriotischen Presse,
das Verständnis dafür nnter ihren Lesern zu verbreiten, statt über den Mangel
darüber zu jammern, und wie der Gothaische Professor Galetti die Königin
Elisabeth nach der Hinrichtung Maria Stuarts so rührend geschildert hat, „in
der einen Hand das Schnupftuch, in der andern die Thräne," vor das Volk
hinzutreten und die Verantwortung für die angebliche Teilnahmlosigkeit andern
aufzubürden.

Zum Glück besteht diese Teilnahmlosigkeit auch nur in der Phantasie ge¬
wisser Journalisten, die in gewohnter Bescheidenheit die Empfindungen ihrer
eignen werten Persönlichkeit für die des Volks ausgeben; in den Volkskreisen,
auf die es hier ankam, in unsrer waffenfähigen Jugend, bestand sie nicht und
besteht sie nicht, die folgte begeistert dem Rufe des Kaisers „zu den Waffen"!
Sie wird auch vor allem dazu wirken, ein gewisses Interesse und Verständnis
für die Weltpolitik in die weitesten Kreise zu tragen, soweit diese nicht künstlich
verhetzt werde», und dadurch helfe», sie aus dein innern Zank und Stank
emporzuheben, in den sich deutsche Menschen zu allen Zeiten so gern vertieft
haben. Deal welche ungeheure Erweiterung des Gesichtskreises thut sich vor
ihnen ans! Diese zehntausende junger Männer, die größtenteils niemals das


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[0124] Die Bedeutung des chinesischen Feldzugs für Deutschland Führung Deutschlands zu folgen, dazu könne» sie sich immer »och nicht recht entschließen. Jedenfalls würde es wenigstens nicht die Schuld Deutschlands sein, wenn der Widerstreit der Sonderinteressen eine reinliche und dauerhafte Lösung der chinesischen Frage verhinderte. Unsre Nörglerpresse versichert pathetisch unter den üblichen vorwurfsvollen Anspielungen, die Masse des deutschen Volks stehe den Kämpfen in China ganz gleichgiltig gegenüber. Ja, wenn ihr die Masse des deutschen Volks, ein¬ schließlich der von der Sozialdemokratie vergifteten Fabrikarbeiters ehrst frage» wollt, welche Politik denn getrieben werden solle, so würde derselbe erleuchtete und selbstverständlich unfehlbare Volksverstand, der jüngst in der freien Schweiz die Arbeiterversicheruugsgesetze zu Falle gebracht hat, weil dieses politisch so gereifte Volk zu kurzsichtig und selbstsüchtig war, Opfer für die Zukunft ans sich zu nehmen, euch vielleicht raten, unsre Kriegsflotte einem zweiten Hannibal Fischer zur Versteigerung an den Mindestbietenden zu überantworten, das stehende Heer durch eine zwar zuchtlose und unbrauchbare aber „volkstümliche" Miliz zu ersetzen, unsre Kolonien um ein Billiges loszuschlagen und die so gewonnenen oder ersparten Summen zu einer glänzenden Feier des 1. Mai zu verwenden, zu der dann natürlich auch Abordnungen der biedern, fried¬ fertige», so schwer verkannte» Chinesen eingeladen werden müßten, um das er¬ hebende Schauspiel internationaler Verbrüderung zu vervollständigen. Wie kann ein vernünftiger Mensch verlangen, daß eine so neue und kühne Politik von der Masse des Volks sofort auch uur begriffen werde! So einfach, wie die Dinge scheinbar beim Ausbruche des Kriegs von 1870 für die Volks¬ empfindung lagen, können sie nur höchst selten liegen, und in der überseeische» Politik für unser so lange daheim i» binnenländischer Beschränktheit kläglich verhocktes Volk gleich gnr nicht. Es ist die Aufgabe einer patriotischen Presse, das Verständnis dafür nnter ihren Lesern zu verbreiten, statt über den Mangel darüber zu jammern, und wie der Gothaische Professor Galetti die Königin Elisabeth nach der Hinrichtung Maria Stuarts so rührend geschildert hat, „in der einen Hand das Schnupftuch, in der andern die Thräne," vor das Volk hinzutreten und die Verantwortung für die angebliche Teilnahmlosigkeit andern aufzubürden. Zum Glück besteht diese Teilnahmlosigkeit auch nur in der Phantasie ge¬ wisser Journalisten, die in gewohnter Bescheidenheit die Empfindungen ihrer eignen werten Persönlichkeit für die des Volks ausgeben; in den Volkskreisen, auf die es hier ankam, in unsrer waffenfähigen Jugend, bestand sie nicht und besteht sie nicht, die folgte begeistert dem Rufe des Kaisers „zu den Waffen"! Sie wird auch vor allem dazu wirken, ein gewisses Interesse und Verständnis für die Weltpolitik in die weitesten Kreise zu tragen, soweit diese nicht künstlich verhetzt werde», und dadurch helfe», sie aus dein innern Zank und Stank emporzuheben, in den sich deutsche Menschen zu allen Zeiten so gern vertieft haben. Deal welche ungeheure Erweiterung des Gesichtskreises thut sich vor ihnen ans! Diese zehntausende junger Männer, die größtenteils niemals das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/124>, abgerufen am 16.06.2024.