Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

von selbst. Wie in Zeiten der Kriegsgefahr immer die Majestät des Staats-
gednnkens und der Staatsgewalt sichtbarer und wirksamer hervortritt als im
Frieden, so wirkt eben die kaiserliche Majestät unmittelbarer in der großen
auswärtigen als in der sich in zahllose Sonderfragen auflösenden innern
Politik. Denn hier ist wie im Kriege die Einheit der Leitung und des Ent¬
schlusses unentbehrlich, und dafür kann uur eiuer die volle Verantwortung
tragen, weil der Mensch sich nur für das verantwortlich fühlt, was er selbst
will und beschließt, bei einer Körperschaft dagegen die Verantwortlichkeit des
einzelnen hinter irgend welcher Mehrheit verschwindet und darum auch von
ihm selbst nicht so energisch empfunden wird. Das schließt natürlich die Mit¬
wirkung der übrigen Kräfte der Reichsgewalt keineswegs aus, aber mehr als
beratend, modifizierend oder zustimmend werden sie in der auswärtigen Politik
niemals wirken können, am wenigsten in diesen fernen und schwierigen Ver¬
hältnissen; im Vordergründe stehn also thatsächlich und staatsrechtlich für das
Reich und für die Welt der Kaiser und das Auswärtige Amt.

Daß dabei auch manches Subjektive mit unterläuft, ist ganz natürlich,
und darum ist der Eindrnck verschieden. Etwas, wie die Antwort (vom
30. September) auf die fast naive Depesche des Kaisers vou China, der mit
einigen Totenopfern den Frevel gegen unsern Gesandten zu sühnen glaubt,
konnte mir Kaiser Wilhelm II. schreiben, in der That eine Kundgebung, die
Hörner und Zähne hat und in ihrem, man möchte sagen halborientalisch feier¬
lichen Tone gerade auf Orientalen vorzüglich berechnet ist. Wieder einmal
hat der Kaiser damit der gebildeten Welt das Wort von den Lippen genommen.
Andrerseits wäre es ja wohl korrekter, wenn er oder Graf Bülow von dem
Neichsgesandten, der Reichsregierung oder vielleicht gar von den "Verbündeten
Regierungen" spräche, in deren Namen das alles ja geschieht, statt daß
Graf Bülow sich als Vertreter der "kaiserlichen Regierung" einführt und der
Kaiser den Ausdruck "mein Gesandter" anwendet, wie er von "meinem
Feldmarschall" und "meiner Flotte" redet, aber der Wirklichkeit entspricht doch
diese kurze Ausdrucksweise, denn die Gesandten sind auch dem Titel nach
kaiserlich, wie die Flotte nur einen Kriegsherrn hat, den Kaiser. Man sollte
deshalb in mittelstantlichen Kreisen darüber nicht empfindlich sein, wie man
es hier und da zu sein scheint; den Rechten der Reichsfürsten geschieht dadurch
kein Eintrag, sie können sich vielmehr zu der kraftvollen Vertretung der
deutschen Interessen, die ja auch die ihrigen sind, nur Glück wünschen. Darüber
freilich kaun kein Zweifel bestehn, daß die einzelnen Bundesstaaten in der
auswärtigen Politik, und namentlich in der neuen Weltpolitik, hinter dem
obersten Vertreter der Reichsgewalt für die allgemeine Empfindung und in den
Augen der Welt zurückweichen, aber das liegt in der Natur der Dinge, und
das wird auch weiter so fortgehn, denn in der nächsten Zeit wird die aus¬
wärtige Politik die innere an Wichtigkeit unzweifelhaft weit überragen. Da¬
gegen hilft kein Sträuben. Der Partikularismus freilich empfindet diese Wen¬
dung peinlich und giebt seinein Verdruß in Hohnreden und Sticheleien Ausdruck;


von selbst. Wie in Zeiten der Kriegsgefahr immer die Majestät des Staats-
gednnkens und der Staatsgewalt sichtbarer und wirksamer hervortritt als im
Frieden, so wirkt eben die kaiserliche Majestät unmittelbarer in der großen
auswärtigen als in der sich in zahllose Sonderfragen auflösenden innern
Politik. Denn hier ist wie im Kriege die Einheit der Leitung und des Ent¬
schlusses unentbehrlich, und dafür kann uur eiuer die volle Verantwortung
tragen, weil der Mensch sich nur für das verantwortlich fühlt, was er selbst
will und beschließt, bei einer Körperschaft dagegen die Verantwortlichkeit des
einzelnen hinter irgend welcher Mehrheit verschwindet und darum auch von
ihm selbst nicht so energisch empfunden wird. Das schließt natürlich die Mit¬
wirkung der übrigen Kräfte der Reichsgewalt keineswegs aus, aber mehr als
beratend, modifizierend oder zustimmend werden sie in der auswärtigen Politik
niemals wirken können, am wenigsten in diesen fernen und schwierigen Ver¬
hältnissen; im Vordergründe stehn also thatsächlich und staatsrechtlich für das
Reich und für die Welt der Kaiser und das Auswärtige Amt.

Daß dabei auch manches Subjektive mit unterläuft, ist ganz natürlich,
und darum ist der Eindrnck verschieden. Etwas, wie die Antwort (vom
30. September) auf die fast naive Depesche des Kaisers vou China, der mit
einigen Totenopfern den Frevel gegen unsern Gesandten zu sühnen glaubt,
konnte mir Kaiser Wilhelm II. schreiben, in der That eine Kundgebung, die
Hörner und Zähne hat und in ihrem, man möchte sagen halborientalisch feier¬
lichen Tone gerade auf Orientalen vorzüglich berechnet ist. Wieder einmal
hat der Kaiser damit der gebildeten Welt das Wort von den Lippen genommen.
Andrerseits wäre es ja wohl korrekter, wenn er oder Graf Bülow von dem
Neichsgesandten, der Reichsregierung oder vielleicht gar von den „Verbündeten
Regierungen" spräche, in deren Namen das alles ja geschieht, statt daß
Graf Bülow sich als Vertreter der „kaiserlichen Regierung" einführt und der
Kaiser den Ausdruck „mein Gesandter" anwendet, wie er von „meinem
Feldmarschall" und „meiner Flotte" redet, aber der Wirklichkeit entspricht doch
diese kurze Ausdrucksweise, denn die Gesandten sind auch dem Titel nach
kaiserlich, wie die Flotte nur einen Kriegsherrn hat, den Kaiser. Man sollte
deshalb in mittelstantlichen Kreisen darüber nicht empfindlich sein, wie man
es hier und da zu sein scheint; den Rechten der Reichsfürsten geschieht dadurch
kein Eintrag, sie können sich vielmehr zu der kraftvollen Vertretung der
deutschen Interessen, die ja auch die ihrigen sind, nur Glück wünschen. Darüber
freilich kaun kein Zweifel bestehn, daß die einzelnen Bundesstaaten in der
auswärtigen Politik, und namentlich in der neuen Weltpolitik, hinter dem
obersten Vertreter der Reichsgewalt für die allgemeine Empfindung und in den
Augen der Welt zurückweichen, aber das liegt in der Natur der Dinge, und
das wird auch weiter so fortgehn, denn in der nächsten Zeit wird die aus¬
wärtige Politik die innere an Wichtigkeit unzweifelhaft weit überragen. Da¬
gegen hilft kein Sträuben. Der Partikularismus freilich empfindet diese Wen¬
dung peinlich und giebt seinein Verdruß in Hohnreden und Sticheleien Ausdruck;


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0126" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/291203"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_461" prev="#ID_460"> von selbst. Wie in Zeiten der Kriegsgefahr immer die Majestät des Staats-<lb/>
gednnkens und der Staatsgewalt sichtbarer und wirksamer hervortritt als im<lb/>
Frieden, so wirkt eben die kaiserliche Majestät unmittelbarer in der großen<lb/>
auswärtigen als in der sich in zahllose Sonderfragen auflösenden innern<lb/>
Politik. Denn hier ist wie im Kriege die Einheit der Leitung und des Ent¬<lb/>
schlusses unentbehrlich, und dafür kann uur eiuer die volle Verantwortung<lb/>
tragen, weil der Mensch sich nur für das verantwortlich fühlt, was er selbst<lb/>
will und beschließt, bei einer Körperschaft dagegen die Verantwortlichkeit des<lb/>
einzelnen hinter irgend welcher Mehrheit verschwindet und darum auch von<lb/>
ihm selbst nicht so energisch empfunden wird. Das schließt natürlich die Mit¬<lb/>
wirkung der übrigen Kräfte der Reichsgewalt keineswegs aus, aber mehr als<lb/>
beratend, modifizierend oder zustimmend werden sie in der auswärtigen Politik<lb/>
niemals wirken können, am wenigsten in diesen fernen und schwierigen Ver¬<lb/>
hältnissen; im Vordergründe stehn also thatsächlich und staatsrechtlich für das<lb/>
Reich und für die Welt der Kaiser und das Auswärtige Amt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_462" next="#ID_463"> Daß dabei auch manches Subjektive mit unterläuft, ist ganz natürlich,<lb/>
und darum ist der Eindrnck verschieden. Etwas, wie die Antwort (vom<lb/>
30. September) auf die fast naive Depesche des Kaisers vou China, der mit<lb/>
einigen Totenopfern den Frevel gegen unsern Gesandten zu sühnen glaubt,<lb/>
konnte mir Kaiser Wilhelm II. schreiben, in der That eine Kundgebung, die<lb/>
Hörner und Zähne hat und in ihrem, man möchte sagen halborientalisch feier¬<lb/>
lichen Tone gerade auf Orientalen vorzüglich berechnet ist. Wieder einmal<lb/>
hat der Kaiser damit der gebildeten Welt das Wort von den Lippen genommen.<lb/>
Andrerseits wäre es ja wohl korrekter, wenn er oder Graf Bülow von dem<lb/>
Neichsgesandten, der Reichsregierung oder vielleicht gar von den &#x201E;Verbündeten<lb/>
Regierungen" spräche, in deren Namen das alles ja geschieht, statt daß<lb/>
Graf Bülow sich als Vertreter der &#x201E;kaiserlichen Regierung" einführt und der<lb/>
Kaiser den Ausdruck &#x201E;mein Gesandter" anwendet, wie er von &#x201E;meinem<lb/>
Feldmarschall" und &#x201E;meiner Flotte" redet, aber der Wirklichkeit entspricht doch<lb/>
diese kurze Ausdrucksweise, denn die Gesandten sind auch dem Titel nach<lb/>
kaiserlich, wie die Flotte nur einen Kriegsherrn hat, den Kaiser. Man sollte<lb/>
deshalb in mittelstantlichen Kreisen darüber nicht empfindlich sein, wie man<lb/>
es hier und da zu sein scheint; den Rechten der Reichsfürsten geschieht dadurch<lb/>
kein Eintrag, sie können sich vielmehr zu der kraftvollen Vertretung der<lb/>
deutschen Interessen, die ja auch die ihrigen sind, nur Glück wünschen. Darüber<lb/>
freilich kaun kein Zweifel bestehn, daß die einzelnen Bundesstaaten in der<lb/>
auswärtigen Politik, und namentlich in der neuen Weltpolitik, hinter dem<lb/>
obersten Vertreter der Reichsgewalt für die allgemeine Empfindung und in den<lb/>
Augen der Welt zurückweichen, aber das liegt in der Natur der Dinge, und<lb/>
das wird auch weiter so fortgehn, denn in der nächsten Zeit wird die aus¬<lb/>
wärtige Politik die innere an Wichtigkeit unzweifelhaft weit überragen. Da¬<lb/>
gegen hilft kein Sträuben. Der Partikularismus freilich empfindet diese Wen¬<lb/>
dung peinlich und giebt seinein Verdruß in Hohnreden und Sticheleien Ausdruck;</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0126] von selbst. Wie in Zeiten der Kriegsgefahr immer die Majestät des Staats- gednnkens und der Staatsgewalt sichtbarer und wirksamer hervortritt als im Frieden, so wirkt eben die kaiserliche Majestät unmittelbarer in der großen auswärtigen als in der sich in zahllose Sonderfragen auflösenden innern Politik. Denn hier ist wie im Kriege die Einheit der Leitung und des Ent¬ schlusses unentbehrlich, und dafür kann uur eiuer die volle Verantwortung tragen, weil der Mensch sich nur für das verantwortlich fühlt, was er selbst will und beschließt, bei einer Körperschaft dagegen die Verantwortlichkeit des einzelnen hinter irgend welcher Mehrheit verschwindet und darum auch von ihm selbst nicht so energisch empfunden wird. Das schließt natürlich die Mit¬ wirkung der übrigen Kräfte der Reichsgewalt keineswegs aus, aber mehr als beratend, modifizierend oder zustimmend werden sie in der auswärtigen Politik niemals wirken können, am wenigsten in diesen fernen und schwierigen Ver¬ hältnissen; im Vordergründe stehn also thatsächlich und staatsrechtlich für das Reich und für die Welt der Kaiser und das Auswärtige Amt. Daß dabei auch manches Subjektive mit unterläuft, ist ganz natürlich, und darum ist der Eindrnck verschieden. Etwas, wie die Antwort (vom 30. September) auf die fast naive Depesche des Kaisers vou China, der mit einigen Totenopfern den Frevel gegen unsern Gesandten zu sühnen glaubt, konnte mir Kaiser Wilhelm II. schreiben, in der That eine Kundgebung, die Hörner und Zähne hat und in ihrem, man möchte sagen halborientalisch feier¬ lichen Tone gerade auf Orientalen vorzüglich berechnet ist. Wieder einmal hat der Kaiser damit der gebildeten Welt das Wort von den Lippen genommen. Andrerseits wäre es ja wohl korrekter, wenn er oder Graf Bülow von dem Neichsgesandten, der Reichsregierung oder vielleicht gar von den „Verbündeten Regierungen" spräche, in deren Namen das alles ja geschieht, statt daß Graf Bülow sich als Vertreter der „kaiserlichen Regierung" einführt und der Kaiser den Ausdruck „mein Gesandter" anwendet, wie er von „meinem Feldmarschall" und „meiner Flotte" redet, aber der Wirklichkeit entspricht doch diese kurze Ausdrucksweise, denn die Gesandten sind auch dem Titel nach kaiserlich, wie die Flotte nur einen Kriegsherrn hat, den Kaiser. Man sollte deshalb in mittelstantlichen Kreisen darüber nicht empfindlich sein, wie man es hier und da zu sein scheint; den Rechten der Reichsfürsten geschieht dadurch kein Eintrag, sie können sich vielmehr zu der kraftvollen Vertretung der deutschen Interessen, die ja auch die ihrigen sind, nur Glück wünschen. Darüber freilich kaun kein Zweifel bestehn, daß die einzelnen Bundesstaaten in der auswärtigen Politik, und namentlich in der neuen Weltpolitik, hinter dem obersten Vertreter der Reichsgewalt für die allgemeine Empfindung und in den Augen der Welt zurückweichen, aber das liegt in der Natur der Dinge, und das wird auch weiter so fortgehn, denn in der nächsten Zeit wird die aus¬ wärtige Politik die innere an Wichtigkeit unzweifelhaft weit überragen. Da¬ gegen hilft kein Sträuben. Der Partikularismus freilich empfindet diese Wen¬ dung peinlich und giebt seinein Verdruß in Hohnreden und Sticheleien Ausdruck;

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/126
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/126>, abgerufen am 15.06.2024.