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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Politik und Selbstverwaltung

das dar als ein ""leidliches Attentat auf die gesetzlich garantierte kommunale
Freiheit, man erinnert an die schärfsten Perioden der Bismarckischen Konfliktsära
und des Kulturkampfs, und an die schlimmsten Auswüchse der Manteufselschen
Reaktionszeit. Wer die Bedeutung kennt, die die Selbstverwaltung als poli¬
tisches Schlagwort gewönne" hat, wird sich nicht wundern, daß diese Lamen¬
tationen in der großstädtischen Bürgerschaft reichlich Wiederhall finden, "ut daß
ihre Vertreter beabsichtigen, die Sache durch Interpellationen im Landtage an
die große Glocke zu hängen. Die einzelne" den Lärm veranlassenden Fälle
bieten so wenig Bemerkenswertes, daß es sich kaum lohnt, davon zu reden,
aber für die parlamentarische Behandlung bieten sie immerhin einen ganz
hübschen Stoff. Wahrscheinlich wird dnrch diese Behandlung die Frage in
ihrer allgemeinen und grundsätzlichen Bedeutung, die sehr groß ist, nicht ge¬
klärt werden, man wird sich dabei wohl nur noch mehr nach links und nach
rechts verreuueu und die öffentliche Meinung noch mehr verwirren "ut ver¬
bitter". Wer aber die Sache unbefangen betrachtet, der wird sich überzeuge",
daß zuerst die Staatsregierung, dann aber auch die gebildete Bürgerschaft die
allerdringendstc Pflicht hat, sich um die Politik in der Selbstverwaltung zu
kümmern, und zwar vor allem um die Politik in der großstädtischen Ver¬
waltung.

Der Kampf um die Selbstverwaltung ist nichts neues, er hat die innere
Politik der Übergangszeit vom Mittelalter bis zur Neuzeit fast ganz ausgefüllt.
Der moderne Staat verdankt sein Dnsein dem Siege in diesem Kampfe, den
er gegen die städtischen wie gegen die ständischen "Freiheiten" fuhren mußte.
Nur ein erzreaktionärer Romantiker könnte den Sieg der Staatsgewalt be¬
dauern, der gegen die Zunft- und Junkerwirtschaft ein gewaltiger Fortschritt
in freiheitlicher Richtung war. In Preußen hat dank der Stnatsweisheit,
Energie und Pflichttreue der Hohenzollern der Staat diesen Sieg verhältnis¬
mäßig früh errungen. Die alte, aus dem Mittelalter herübergekommne städtische
Selbstverwaltung war als ein unerträgliches Bollwerk sozialer, wirtschaftlicher
und auch politischer Reaktion und Stagnation schon von den Kurfürsten mit
scharfer Hand augegriffen worden, und König Friedrich Wilhelm 1. hatte dann,
die Stadtgemeinden vollständig unter die Vormundschaft des Staates gestellt.
Ans dem Lande freilich vollzog sich der Bruch mit dem Mittelalter erst später.
Hier blieb die alte feudale Selbstverwaltung in der Patrimonialgerichtsbarkeit,
in der gutsherrlichen Polizeiverwaltung, im Erbschulzentum usw. bis weit ins
neunzehnte Jahrhundert, ja bis in seine zweite Hälfte hinein erhalten, und
streng genommen lebt sie in den Funktionen der Gutsvorstände heute uoch
fort. Früher als wo anders in Deutschland entschloß sich dann auch der auf¬
geklärte Despotismus in Preußen dazu, die Städte wieder mündig zu spreche"
und ihnen die moderne Selbstverwaltung zu verleihen, indem die große Stein-
Hardenbergische Reform durch die Stüdteorduung von 1808 die Absicht zu
verwirklichen versuchte, "den Städten eine selbständige und bessere Verfassung
zu geben, in den Bürgcrgemeinden einen festern Vereinigungspunkt gesetzlich


Politik und Selbstverwaltung

das dar als ein »»leidliches Attentat auf die gesetzlich garantierte kommunale
Freiheit, man erinnert an die schärfsten Perioden der Bismarckischen Konfliktsära
und des Kulturkampfs, und an die schlimmsten Auswüchse der Manteufselschen
Reaktionszeit. Wer die Bedeutung kennt, die die Selbstverwaltung als poli¬
tisches Schlagwort gewönne» hat, wird sich nicht wundern, daß diese Lamen¬
tationen in der großstädtischen Bürgerschaft reichlich Wiederhall finden, »ut daß
ihre Vertreter beabsichtigen, die Sache durch Interpellationen im Landtage an
die große Glocke zu hängen. Die einzelne» den Lärm veranlassenden Fälle
bieten so wenig Bemerkenswertes, daß es sich kaum lohnt, davon zu reden,
aber für die parlamentarische Behandlung bieten sie immerhin einen ganz
hübschen Stoff. Wahrscheinlich wird dnrch diese Behandlung die Frage in
ihrer allgemeinen und grundsätzlichen Bedeutung, die sehr groß ist, nicht ge¬
klärt werden, man wird sich dabei wohl nur noch mehr nach links und nach
rechts verreuueu und die öffentliche Meinung noch mehr verwirren »ut ver¬
bitter». Wer aber die Sache unbefangen betrachtet, der wird sich überzeuge»,
daß zuerst die Staatsregierung, dann aber auch die gebildete Bürgerschaft die
allerdringendstc Pflicht hat, sich um die Politik in der Selbstverwaltung zu
kümmern, und zwar vor allem um die Politik in der großstädtischen Ver¬
waltung.

Der Kampf um die Selbstverwaltung ist nichts neues, er hat die innere
Politik der Übergangszeit vom Mittelalter bis zur Neuzeit fast ganz ausgefüllt.
Der moderne Staat verdankt sein Dnsein dem Siege in diesem Kampfe, den
er gegen die städtischen wie gegen die ständischen „Freiheiten" fuhren mußte.
Nur ein erzreaktionärer Romantiker könnte den Sieg der Staatsgewalt be¬
dauern, der gegen die Zunft- und Junkerwirtschaft ein gewaltiger Fortschritt
in freiheitlicher Richtung war. In Preußen hat dank der Stnatsweisheit,
Energie und Pflichttreue der Hohenzollern der Staat diesen Sieg verhältnis¬
mäßig früh errungen. Die alte, aus dem Mittelalter herübergekommne städtische
Selbstverwaltung war als ein unerträgliches Bollwerk sozialer, wirtschaftlicher
und auch politischer Reaktion und Stagnation schon von den Kurfürsten mit
scharfer Hand augegriffen worden, und König Friedrich Wilhelm 1. hatte dann,
die Stadtgemeinden vollständig unter die Vormundschaft des Staates gestellt.
Ans dem Lande freilich vollzog sich der Bruch mit dem Mittelalter erst später.
Hier blieb die alte feudale Selbstverwaltung in der Patrimonialgerichtsbarkeit,
in der gutsherrlichen Polizeiverwaltung, im Erbschulzentum usw. bis weit ins
neunzehnte Jahrhundert, ja bis in seine zweite Hälfte hinein erhalten, und
streng genommen lebt sie in den Funktionen der Gutsvorstände heute uoch
fort. Früher als wo anders in Deutschland entschloß sich dann auch der auf¬
geklärte Despotismus in Preußen dazu, die Städte wieder mündig zu spreche»
und ihnen die moderne Selbstverwaltung zu verleihen, indem die große Stein-
Hardenbergische Reform durch die Stüdteorduung von 1808 die Absicht zu
verwirklichen versuchte, „den Städten eine selbständige und bessere Verfassung
zu geben, in den Bürgcrgemeinden einen festern Vereinigungspunkt gesetzlich


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[0128] Politik und Selbstverwaltung das dar als ein »»leidliches Attentat auf die gesetzlich garantierte kommunale Freiheit, man erinnert an die schärfsten Perioden der Bismarckischen Konfliktsära und des Kulturkampfs, und an die schlimmsten Auswüchse der Manteufselschen Reaktionszeit. Wer die Bedeutung kennt, die die Selbstverwaltung als poli¬ tisches Schlagwort gewönne» hat, wird sich nicht wundern, daß diese Lamen¬ tationen in der großstädtischen Bürgerschaft reichlich Wiederhall finden, »ut daß ihre Vertreter beabsichtigen, die Sache durch Interpellationen im Landtage an die große Glocke zu hängen. Die einzelne» den Lärm veranlassenden Fälle bieten so wenig Bemerkenswertes, daß es sich kaum lohnt, davon zu reden, aber für die parlamentarische Behandlung bieten sie immerhin einen ganz hübschen Stoff. Wahrscheinlich wird dnrch diese Behandlung die Frage in ihrer allgemeinen und grundsätzlichen Bedeutung, die sehr groß ist, nicht ge¬ klärt werden, man wird sich dabei wohl nur noch mehr nach links und nach rechts verreuueu und die öffentliche Meinung noch mehr verwirren »ut ver¬ bitter». Wer aber die Sache unbefangen betrachtet, der wird sich überzeuge», daß zuerst die Staatsregierung, dann aber auch die gebildete Bürgerschaft die allerdringendstc Pflicht hat, sich um die Politik in der Selbstverwaltung zu kümmern, und zwar vor allem um die Politik in der großstädtischen Ver¬ waltung. Der Kampf um die Selbstverwaltung ist nichts neues, er hat die innere Politik der Übergangszeit vom Mittelalter bis zur Neuzeit fast ganz ausgefüllt. Der moderne Staat verdankt sein Dnsein dem Siege in diesem Kampfe, den er gegen die städtischen wie gegen die ständischen „Freiheiten" fuhren mußte. Nur ein erzreaktionärer Romantiker könnte den Sieg der Staatsgewalt be¬ dauern, der gegen die Zunft- und Junkerwirtschaft ein gewaltiger Fortschritt in freiheitlicher Richtung war. In Preußen hat dank der Stnatsweisheit, Energie und Pflichttreue der Hohenzollern der Staat diesen Sieg verhältnis¬ mäßig früh errungen. Die alte, aus dem Mittelalter herübergekommne städtische Selbstverwaltung war als ein unerträgliches Bollwerk sozialer, wirtschaftlicher und auch politischer Reaktion und Stagnation schon von den Kurfürsten mit scharfer Hand augegriffen worden, und König Friedrich Wilhelm 1. hatte dann, die Stadtgemeinden vollständig unter die Vormundschaft des Staates gestellt. Ans dem Lande freilich vollzog sich der Bruch mit dem Mittelalter erst später. Hier blieb die alte feudale Selbstverwaltung in der Patrimonialgerichtsbarkeit, in der gutsherrlichen Polizeiverwaltung, im Erbschulzentum usw. bis weit ins neunzehnte Jahrhundert, ja bis in seine zweite Hälfte hinein erhalten, und streng genommen lebt sie in den Funktionen der Gutsvorstände heute uoch fort. Früher als wo anders in Deutschland entschloß sich dann auch der auf¬ geklärte Despotismus in Preußen dazu, die Städte wieder mündig zu spreche» und ihnen die moderne Selbstverwaltung zu verleihen, indem die große Stein- Hardenbergische Reform durch die Stüdteorduung von 1808 die Absicht zu verwirklichen versuchte, „den Städten eine selbständige und bessere Verfassung zu geben, in den Bürgcrgemeinden einen festern Vereinigungspunkt gesetzlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/128>, abgerufen am 16.06.2024.