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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Politik und Selbstverwaltung

halb des Staats stellen, sodaß sie nicht als Parteien im Staat behandelt
werden können, haben wir schon gehabt, und wir können sie auch wieder
haben. Aber die Grenze kann schwer gezogen werden, wo diese Vater-
landslosigkeit anfangen soll und wo sie aufhört. Zwischen der "gc-
manserten" Sozialdemokratie und der ihr verbündeten radikalen Demokratie
kann man sie überhaupt nicht mehr markieren. Den Leuten zu verbieten, daß
sie die Republik um Stelle der Monarchie herbeiwünschen, hilft gar nichts.
Der Gedanke und die Wünsche sind von Natur straffrei; leider oft so lange,
bis es zu spät ist, die ihnen entspringenden Thaten wirksam zu strafen. Aber
soll man deshalb müßig zusehen, bis Attentate, Lnndfriedensbruch und Landes¬
verrat überhandnehmen, oder bis Aufstande die Gelegenheit geben, das Stand¬
recht zu erklären, mit Lanze, Säbel, Flinte und Geschütz Exempel zu sta¬
tuieren? Soll man das etwa herbeiwünschen? Am bequemsten mag es
manchen erscheinen, aber Gott bewahre uus vor diesem Unglück, vor so
ruchlosen Wünschen. Belehrung und Zureden, diese "geistigen" Waffen, helfen
freilich nicht allein, aber zwischen ihnen und der ultimg. ratio rvAum stehn
uns Preußen denn doch noch Wege genug offen, den Feinden der Monarchie
das Handwerk zu legen.

Zunächst muß die Staatsregierung mit weisem Vorbedacht und voller
Energie die Zwangsmittel anwenden, die ihr die Gesetze zur Verfügung stellen.
Ans dem Gebiet, um das es sich hier handelt, wird sie erwägen müssen, ob
nicht durch strengere Handhabung des Aufsichtsrechts, namentlich des Bc-
stätignngsrechts, den Herren Stndtvätern in den Großstädten Zweck und Wesen
der ihnen anvertrauten Verwaltung "im Interesse des Staats" viel kräftiger
als bisher in Erinnerung gebracht werden kann, und wenn langjährige kom¬
missarische Verwaltung der Gemeindeämter nötig werden sollte. Die Gesetze
sorgen dafür, daß durch die Unvernunft der Stadtverordnetenversammlung die
städtische Verwaltung nicht zum Stillstand gebracht werden kann. Dann ist
ein zeitgemäßer Ausbau der Städteordnung von 1853 doch auch ernstlich in
Betracht zu ziehn. Wenn nur rechter Ernst gemacht wird mit diesem fried¬
lichen Vorgehn, dann werden wahrscheinlich vielen unter den heutigen Feinden
die Augen aufgehn. Die Herren vom "Freisinn" lieben den Krieg der Stadt
gegen den Staat wahrhaftig doch meist nur so weit, als er ihnen zu Amt und
Würden verhilft, wie das jetzt der Fall ist; wenn er sie darum bringt, werden
sie den Frieden lieben. Nur in dieser Beziehung nicht mit halben, sich wider¬
sprechenden Maßregeln fortwursteln in dem Gefühl, daß mau in der Not das
Militär die Arbeit besorgen lassen kann.

Vor allem aber nicht länger Extrem gegen Extrem ausspielen in der
innern Politik. Graf Posadowski hat einmal gesagt, wenn das Agrariertum
nicht da wäre, müßte man es herbeiwünschen, als konservatives Gegenteil der
demokratischen Stantsseindschaft. Soll das heißen: Reaktion gegen Demokratie,
so könnte das Rezept leicht zum Übeln ausschlagen. Vielleicht wäre der Satz
berechtigter: Weil der gesunde, berechtigte, gemäßigte Liberalismus in Preußen


Politik und Selbstverwaltung

halb des Staats stellen, sodaß sie nicht als Parteien im Staat behandelt
werden können, haben wir schon gehabt, und wir können sie auch wieder
haben. Aber die Grenze kann schwer gezogen werden, wo diese Vater-
landslosigkeit anfangen soll und wo sie aufhört. Zwischen der „gc-
manserten" Sozialdemokratie und der ihr verbündeten radikalen Demokratie
kann man sie überhaupt nicht mehr markieren. Den Leuten zu verbieten, daß
sie die Republik um Stelle der Monarchie herbeiwünschen, hilft gar nichts.
Der Gedanke und die Wünsche sind von Natur straffrei; leider oft so lange,
bis es zu spät ist, die ihnen entspringenden Thaten wirksam zu strafen. Aber
soll man deshalb müßig zusehen, bis Attentate, Lnndfriedensbruch und Landes¬
verrat überhandnehmen, oder bis Aufstande die Gelegenheit geben, das Stand¬
recht zu erklären, mit Lanze, Säbel, Flinte und Geschütz Exempel zu sta¬
tuieren? Soll man das etwa herbeiwünschen? Am bequemsten mag es
manchen erscheinen, aber Gott bewahre uus vor diesem Unglück, vor so
ruchlosen Wünschen. Belehrung und Zureden, diese „geistigen" Waffen, helfen
freilich nicht allein, aber zwischen ihnen und der ultimg. ratio rvAum stehn
uns Preußen denn doch noch Wege genug offen, den Feinden der Monarchie
das Handwerk zu legen.

Zunächst muß die Staatsregierung mit weisem Vorbedacht und voller
Energie die Zwangsmittel anwenden, die ihr die Gesetze zur Verfügung stellen.
Ans dem Gebiet, um das es sich hier handelt, wird sie erwägen müssen, ob
nicht durch strengere Handhabung des Aufsichtsrechts, namentlich des Bc-
stätignngsrechts, den Herren Stndtvätern in den Großstädten Zweck und Wesen
der ihnen anvertrauten Verwaltung „im Interesse des Staats" viel kräftiger
als bisher in Erinnerung gebracht werden kann, und wenn langjährige kom¬
missarische Verwaltung der Gemeindeämter nötig werden sollte. Die Gesetze
sorgen dafür, daß durch die Unvernunft der Stadtverordnetenversammlung die
städtische Verwaltung nicht zum Stillstand gebracht werden kann. Dann ist
ein zeitgemäßer Ausbau der Städteordnung von 1853 doch auch ernstlich in
Betracht zu ziehn. Wenn nur rechter Ernst gemacht wird mit diesem fried¬
lichen Vorgehn, dann werden wahrscheinlich vielen unter den heutigen Feinden
die Augen aufgehn. Die Herren vom „Freisinn" lieben den Krieg der Stadt
gegen den Staat wahrhaftig doch meist nur so weit, als er ihnen zu Amt und
Würden verhilft, wie das jetzt der Fall ist; wenn er sie darum bringt, werden
sie den Frieden lieben. Nur in dieser Beziehung nicht mit halben, sich wider¬
sprechenden Maßregeln fortwursteln in dem Gefühl, daß mau in der Not das
Militär die Arbeit besorgen lassen kann.

Vor allem aber nicht länger Extrem gegen Extrem ausspielen in der
innern Politik. Graf Posadowski hat einmal gesagt, wenn das Agrariertum
nicht da wäre, müßte man es herbeiwünschen, als konservatives Gegenteil der
demokratischen Stantsseindschaft. Soll das heißen: Reaktion gegen Demokratie,
so könnte das Rezept leicht zum Übeln ausschlagen. Vielleicht wäre der Satz
berechtigter: Weil der gesunde, berechtigte, gemäßigte Liberalismus in Preußen


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[0135] Politik und Selbstverwaltung halb des Staats stellen, sodaß sie nicht als Parteien im Staat behandelt werden können, haben wir schon gehabt, und wir können sie auch wieder haben. Aber die Grenze kann schwer gezogen werden, wo diese Vater- landslosigkeit anfangen soll und wo sie aufhört. Zwischen der „gc- manserten" Sozialdemokratie und der ihr verbündeten radikalen Demokratie kann man sie überhaupt nicht mehr markieren. Den Leuten zu verbieten, daß sie die Republik um Stelle der Monarchie herbeiwünschen, hilft gar nichts. Der Gedanke und die Wünsche sind von Natur straffrei; leider oft so lange, bis es zu spät ist, die ihnen entspringenden Thaten wirksam zu strafen. Aber soll man deshalb müßig zusehen, bis Attentate, Lnndfriedensbruch und Landes¬ verrat überhandnehmen, oder bis Aufstande die Gelegenheit geben, das Stand¬ recht zu erklären, mit Lanze, Säbel, Flinte und Geschütz Exempel zu sta¬ tuieren? Soll man das etwa herbeiwünschen? Am bequemsten mag es manchen erscheinen, aber Gott bewahre uus vor diesem Unglück, vor so ruchlosen Wünschen. Belehrung und Zureden, diese „geistigen" Waffen, helfen freilich nicht allein, aber zwischen ihnen und der ultimg. ratio rvAum stehn uns Preußen denn doch noch Wege genug offen, den Feinden der Monarchie das Handwerk zu legen. Zunächst muß die Staatsregierung mit weisem Vorbedacht und voller Energie die Zwangsmittel anwenden, die ihr die Gesetze zur Verfügung stellen. Ans dem Gebiet, um das es sich hier handelt, wird sie erwägen müssen, ob nicht durch strengere Handhabung des Aufsichtsrechts, namentlich des Bc- stätignngsrechts, den Herren Stndtvätern in den Großstädten Zweck und Wesen der ihnen anvertrauten Verwaltung „im Interesse des Staats" viel kräftiger als bisher in Erinnerung gebracht werden kann, und wenn langjährige kom¬ missarische Verwaltung der Gemeindeämter nötig werden sollte. Die Gesetze sorgen dafür, daß durch die Unvernunft der Stadtverordnetenversammlung die städtische Verwaltung nicht zum Stillstand gebracht werden kann. Dann ist ein zeitgemäßer Ausbau der Städteordnung von 1853 doch auch ernstlich in Betracht zu ziehn. Wenn nur rechter Ernst gemacht wird mit diesem fried¬ lichen Vorgehn, dann werden wahrscheinlich vielen unter den heutigen Feinden die Augen aufgehn. Die Herren vom „Freisinn" lieben den Krieg der Stadt gegen den Staat wahrhaftig doch meist nur so weit, als er ihnen zu Amt und Würden verhilft, wie das jetzt der Fall ist; wenn er sie darum bringt, werden sie den Frieden lieben. Nur in dieser Beziehung nicht mit halben, sich wider¬ sprechenden Maßregeln fortwursteln in dem Gefühl, daß mau in der Not das Militär die Arbeit besorgen lassen kann. Vor allem aber nicht länger Extrem gegen Extrem ausspielen in der innern Politik. Graf Posadowski hat einmal gesagt, wenn das Agrariertum nicht da wäre, müßte man es herbeiwünschen, als konservatives Gegenteil der demokratischen Stantsseindschaft. Soll das heißen: Reaktion gegen Demokratie, so könnte das Rezept leicht zum Übeln ausschlagen. Vielleicht wäre der Satz berechtigter: Weil der gesunde, berechtigte, gemäßigte Liberalismus in Preußen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/135>, abgerufen am 16.06.2024.