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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Gobineau über das klassische Altertum

Unruhe erregen und das ganze öffentliche Leben unsrer Tage sozusagen färben.
Unter diesen Unistünde" müssen nur uns verpflichtet fühlen, unsern Lesern über
jede" Band der jetzt erscheinenden deutschen Ausgabe des epochemachenden
Werkes zu berichten. Den Inhalt der ersten beiden Bände haben wir im
dritten Baude des Jahrgangs 1898 Seite 442 und im ersten Bande des
Jahrgangs 1899 Seite 523 und 586 mitgeteilt. Der erste Band des Werkes
entwickelt die Theorie, die andern drei wenden die Theorie auf die Weltgeschichte
um. Wir haben den Kern der Theorie nud unser Urteil darüber in folgende"
Sätzen zusammengefaßt. Nach Gobineau sind die Menschenrassen an sich un¬
veränderlich; nnr dnrch Blutmischung kaun ein Rasscnthpus abgeändert werden;
auch alle großen politischen, überhaupt alle historischen Veränderungen sind
auf Nasseumischungcu zurückzuführen; nur die weiße Nasse ist fähig, Kultur im
höhern Sinne zu erzeugen, und da ihr Blut, ohnehin nirgends mehr rein
vorhanden, dnrch fortgesetzte Mischungen immer mehr verschlechtert wird, so
entartet der Typus des .Kulturmenschen immer mehr. Dem gegenüber sagen
wir: Gobineau hat sich durch die kräftige Mahnung an die Wichtigkeit des
Blutes und durch die Beleuchtung von Fällen, wo die Wirkungen des Blutes
deutlich hervortreten, el" bedeutendes Verdienst erworben, das aber überall
dort in Mißverdienst umschlägt, wo seine einseitige Theorie unkritisch in Bausch
und Bogen angenommen wird. Auch nach unsrer Ansicht ist die weiße Nasse
die einzige von allseitiger und von der höchsten Begabung und allein fähig,
Kultur im höchsten Sinne des Wortes zu erzeugen. Aber die Nasseucharciktere
sind, obwohl sehr beharrlich, keineswegs ganz unveränderlich, und Verände¬
rungen werden nicht allein durch Blutmischungeu, sondern auch durch klimatische
und geographische Verhältnisse, durch Beschäftigung und Lebensgewohnheiten,
durch soziale und politische Zustände hervorgebracht. Und zwar gilt das sowohl
für die drei Urrassen wie für die Rassen zweiter und dritter Ordnung, d. h.
für die teils durch Mischung, teils durch klimatische und andre Einflüsse ent-
standnen Verzweigungen der Urrassen. Denn auch diese selbst können ans
keine andre Weise als durch klimatische Einwirkungen entstanden gedacht werden.
Neuere Forscher haben die auffallende Größe der Bewohner des Aveyron-
gebietes dem kalkhaltigen Boden zugeschrieben, der die Knochenbildung be¬
günstige. Eine eigentümliche Bodenmischnng muß es auch sein, was bewirkt,
daß die in den Vereinigten Staaten gebornen Kinder, wie versichert wird,
durchschnittlich größer und schlanker geraten als ihre aus Europa eingewanderten
Väter, wie mich Pferde und Rinder derselben Nasse in der einen Gegend hoch¬
beinig, in der ändern langleibig werden, und ebenso macht der Boden das
Haar entweder schlicht oder kraus. Körpergröße und Art des Haarwuchses
werden aber allgemein zu den Rassenkennzeiche" gerechnet, und wenn der Boden



Versuch über die Ungleichheit der Menschenrassen vom Grafen Gobineau.
Deutsche Ausgabe von Ludwig Schemann, Dritter Band. Stuttgart, Fr. Frommmms
Verlag (E. Hauff), 1900.
Gobineau über das klassische Altertum

Unruhe erregen und das ganze öffentliche Leben unsrer Tage sozusagen färben.
Unter diesen Unistünde» müssen nur uns verpflichtet fühlen, unsern Lesern über
jede» Band der jetzt erscheinenden deutschen Ausgabe des epochemachenden
Werkes zu berichten. Den Inhalt der ersten beiden Bände haben wir im
dritten Baude des Jahrgangs 1898 Seite 442 und im ersten Bande des
Jahrgangs 1899 Seite 523 und 586 mitgeteilt. Der erste Band des Werkes
entwickelt die Theorie, die andern drei wenden die Theorie auf die Weltgeschichte
um. Wir haben den Kern der Theorie nud unser Urteil darüber in folgende»
Sätzen zusammengefaßt. Nach Gobineau sind die Menschenrassen an sich un¬
veränderlich; nnr dnrch Blutmischung kaun ein Rasscnthpus abgeändert werden;
auch alle großen politischen, überhaupt alle historischen Veränderungen sind
auf Nasseumischungcu zurückzuführen; nur die weiße Nasse ist fähig, Kultur im
höhern Sinne zu erzeugen, und da ihr Blut, ohnehin nirgends mehr rein
vorhanden, dnrch fortgesetzte Mischungen immer mehr verschlechtert wird, so
entartet der Typus des .Kulturmenschen immer mehr. Dem gegenüber sagen
wir: Gobineau hat sich durch die kräftige Mahnung an die Wichtigkeit des
Blutes und durch die Beleuchtung von Fällen, wo die Wirkungen des Blutes
deutlich hervortreten, el» bedeutendes Verdienst erworben, das aber überall
dort in Mißverdienst umschlägt, wo seine einseitige Theorie unkritisch in Bausch
und Bogen angenommen wird. Auch nach unsrer Ansicht ist die weiße Nasse
die einzige von allseitiger und von der höchsten Begabung und allein fähig,
Kultur im höchsten Sinne des Wortes zu erzeugen. Aber die Nasseucharciktere
sind, obwohl sehr beharrlich, keineswegs ganz unveränderlich, und Verände¬
rungen werden nicht allein durch Blutmischungeu, sondern auch durch klimatische
und geographische Verhältnisse, durch Beschäftigung und Lebensgewohnheiten,
durch soziale und politische Zustände hervorgebracht. Und zwar gilt das sowohl
für die drei Urrassen wie für die Rassen zweiter und dritter Ordnung, d. h.
für die teils durch Mischung, teils durch klimatische und andre Einflüsse ent-
standnen Verzweigungen der Urrassen. Denn auch diese selbst können ans
keine andre Weise als durch klimatische Einwirkungen entstanden gedacht werden.
Neuere Forscher haben die auffallende Größe der Bewohner des Aveyron-
gebietes dem kalkhaltigen Boden zugeschrieben, der die Knochenbildung be¬
günstige. Eine eigentümliche Bodenmischnng muß es auch sein, was bewirkt,
daß die in den Vereinigten Staaten gebornen Kinder, wie versichert wird,
durchschnittlich größer und schlanker geraten als ihre aus Europa eingewanderten
Väter, wie mich Pferde und Rinder derselben Nasse in der einen Gegend hoch¬
beinig, in der ändern langleibig werden, und ebenso macht der Boden das
Haar entweder schlicht oder kraus. Körpergröße und Art des Haarwuchses
werden aber allgemein zu den Rassenkennzeiche» gerechnet, und wenn der Boden



Versuch über die Ungleichheit der Menschenrassen vom Grafen Gobineau.
Deutsche Ausgabe von Ludwig Schemann, Dritter Band. Stuttgart, Fr. Frommmms
Verlag (E. Hauff), 1900.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/137>, abgerufen am 16.06.2024.